Wenn ein Schmetterlingsflügel kleiner wird


von Tageblatt-Redaktion

Der Schmetterling am Haus Braugasse symbolisiert Alt- und Neustadt.
Der Schmetterling am Haus Braugasse symbolisiert Alt- und Neustadt.

Ist die industriell gefertigte, auf der klaren Trennung von Lebensfunktionen beruhende Neustadt der Quell aller Hoyerswerdaer Probleme? Ist sie ein kranker, übergroßer Wasserkopf? Und ist hingegen die in der Tradition der europäischen Städte stehende, „natürlich gewachsene“ Altstadt ein Aktivposten, der ohne die Neustadt viel besser dastehen würde? Das sind einige der Fragen, die Nina Gribat in ihrer englischsprachigen Dissertation an der Hallam University im britischen Sheffield aufwirft. Der Titel der 290 Seiten starken Arbeit lautet ins Deutsche übersetzt: „Das Regieren der Zukunft einer schrumpfenden Stadt: Hoyerswerda, Ostdeutschland“. Es geht der Stadtplanerin darum, welche Vorstellungen von Vergangenheit und Zukunft verschiedener Stadträume und ihrer Bewohner entwickelt wurden, seit es hier um Schrumpfung geht.
Zwischen 2007 und 2009 hat Nina Gribat dazu geforscht, Dokumente ausgewertet und 28 direkt sowie indirekt Beteiligte befragt. Im November 2010 war die Doktorarbeit fertig, inzwischen ist sie auch erfolgreich verteidigt und liegt gebunden vor. Mittlerweile ist natürlich ein wenig Zeit ins Land gegangen und so sind etwa einige Aussagen von Interviewpartnern nicht mehr brandaktuell, aber der Versuch, das Auftauchen einer Sicht auf Schrumpfung und ihre Entwicklung zu fassen, ist dennoch nachzuvollziehen.
Sie reicht vom ersten städtebaulichen Leitbild, das die Gruppe Hardtberg und das Ingenieurbüro Gröbe 1999 noch vorlegten, als weder Bund noch Land sich überhaupt bewusst gewesen wären, dass es ein Problem gibt, über das Stadtumbauprogramm und verschiedene Ansätze, die sich der Erzeugung von Wachstum widmen bis hin zu eher künstlerischen Versuchen, einfach kreativ damit umzugehen. Doch über all die Jahre, das fiel Nina Gribat in offiziellen Dokumenten wie in Gesprächen auf, gab es bei den Entscheidungsträgern unter anderem eine Hoffung: Wäre die Neustadt doch ein wenig mehr wie die Altstadt (siehe unter anderem den Wettbewerb „Von der Wohnsiedlung zur Stadt für den WK VIII im Jahr 1997), ginge es Hoyerswerda wohl wesentlich besser.
Und das, hat die nunmehrige Doktorin herausgearbeitet, überträgt sich sogar auf die Vorstellungen über die Bewohner und deren Verhalten: So würden Altstädter von vielen Verantwortlichen als freie, selbstbestimmte Menschen mit Grundeigentum und damit mit Bindung an die Stadt wahrgenommen, während Neustädter als eher passiv und ohne Bindung an die Stadt verstanden werden. Ironischerweise, sagt Nina Gribat, werde „richtiges Verhalten“ des Neustädters zumindest im Abrissgebiet aber auch fremdbestimmt gesehen: Er solle am besten in seiner Wohnung sitzen, bis sein Vermieter ihm mitteilt, wohin er zu ziehen habe. Selbstbestimmt mit frühzeitigem Fortziehen oder Widerstand gegen die Umsiedlung den geplanten Ablauf des Stadtumbaus gefährden, soll er hingegen nicht. Eine der entscheidenden Fragen steht auf Seite 228 der Arbeit: „Was, wenn freie Wohnungen in der Altstadt und im Stadtzentrum nicht mehr mit Umzügen aus Abrissgebieten »gefüllt« werden können?“ Ist es also klug, in der Entwicklung für die Zukunft ausschließlich an Zuse und kleines Handwerk, also an die Altstadt anzuknüpfen? Sind die Neustadt und ihre Geschichte eine Barriere? Oder sollte man sie vielleicht doch als Basis sehen und zum Beispiel versuchen, an ihrer Rolle als (künftig natürlich attraktiverer) Wohnstadt für Industrieansiedlungen von Schwarze Pumpe bis Dresden und Schwarzheide anzuknüpfen. Denn auch solcherlei Gedankengänge vollzieht Nina Gribat in ihrer Doktorarbeit nach: War es nicht die Neustadt, die Hoyerswerda erst aus seiner jahrhundertelangen Bedeutungslosigkeit als verschlafenes, abgeschiedenes Städtchen geholt hat?

Aussagen aus Interviews für die Dissertation

Planer Thomas Gröbe:
„Wir wissen, wo die Leute weggehen. Die gehen nur aus der Neustadt weg. Also die Altstadt bleibt immer [gleich] ... selbst, wenn aus der Altstadt Leute weggehen, würden sofort wieder welche herkommen. Da ist urbane Struktur.“

Architektin Dorit Baumeister:
„Sie [die Stadtverwaltung] machen sich etwas vor, wenn sie glauben, das Schrumpfungsproblem ist nur ein Problem der Neustadt. Verkehrt gedacht. Die Altstadt liegt mit ihren ganzen Funktionen genauso nieder.“

Architekt Uwe Mildner (†):
„Man hat das Herz der Stadt kaputt gemacht. Die Leute, die noch umgesiedelt werden müssen, die eventuell bleiben würden, denen kann man jetzt nichts Alternatives mehr bieten. Man hat im Kernbereich nichts mehr.“



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Kommentare zum Artikel:

Harald Wukasch schrieb am

Dieser Artikel widerspiegelt das Versagen der Stadtverwaltung und Vertreter des Stadtrates die Stadt als eine Einheit zu betrachten und zu entwickeln. Viele Dinge sind unverständlich und wirken kontraproduktiv zu einer gesammten Stadtentwicklung (auch die Aussage von Herrn Gröbe),wird da nicht auch eine lebenswerte Zukunft für junge Leute verbaut. Man kann sich nur der Meinung von Frau Baumeister und Herrn Mildner anschließen. Hat man nicht schon Teile der Altstadt (Bahnhofsvorplatz und Schulplatz mit Umgebung) zu einem reinen Wohngebiet mit schlechter Imfrastruktur geschaffen.Wurden Bewohner der Neustadt bei Abriss in der Neustadt nur Wohnraum in der Altstadt angeboten,obwohl es auch freie Wohnungen in der Neustadt gab ? Warum nur Abriss ? Besser ist Umgestaltung nach Bedarf, bleibt da doch Leben in der Stadt. Da war doch mit dem OB Ahrent und Baubürgermeister Hamacher eine eine ganz andere positive Entwicklung zu erkennen, auch wenn es schon länger her ist. Ich fühle mich wohler am kleinen Dienstleistungszentrum im Erhebensbezirk 2. Wie lautet das Logo der Stadt "Wir lieben Ideen" also ich meine "Neue Leute bracht die Stadt". Für die Zukunft der Stadt im Lausitzer Seenland muß mehr Stärke und Verantwortung für beide Flügel des Schmetterling gezeigt werden. Wurde doch auch schon viel Geld für zukunftsorienterte Projekte ausgegeben. Noch ist ein Umdenken nicht zu spät, soll es doch bald ein neues Stadtleitbild geben. Jetzt haben wir nicht mal einen offenen Bahnhof !

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