Warten auf 120 neue Nachbarn


von Tageblatt-Redaktion

Der ewige Wunsch nach Frieden - Dieses Wandbild stammt noch aus DDR-Zeiten und ziert daher aktuell eher zufällig eine Außenwand des Asylbewerberheims in der Dillinger Straße. Und doch ist es ein Bild voller Symbolik.
Der ewige Wunsch nach Frieden - Dieses Wandbild stammt noch aus DDR-Zeiten und ziert daher aktuell eher zufällig eine Außenwand des Asylbewerberheims in der Dillinger Straße. Und doch ist es ein Bild voller Symbolik.

Von Mirko Kolodziej

Einer Art Staatsaffäre gleicht die bevorstehende Eröffnung eines simplen Wohnheims für Asylbewerber in Hoyerswerda. „Hoyerswerda streitet über Flüchtlinge“, meldete schon im Dezember der Deutschlandfunk. „Ausgerechnet Hoyerswerda ...!“ hieß es jüngst beim ZDF. Ganz klar: Der Resonanzboden ist der Herbst 1991, als Gewalt letztlich auch die Schließung des bisher letzten Hoyerswerdaer Asylbewerber-Wohnheims im WK IX erwirkte. Nun sind alle neugierig, wie das, was Kolumnist Gerhard Walter eine „zweite Chance“ (siehe hier ) nannte, genutzt wird. Deshalb gibt es morgen (ab 14 Uhr) in der zum Wohnheim umgebauten Schule an der Dillinger Straße einen Tag der offenen Tür. Deshalb wird der Kulturbund dabei Präsente für die künftigen Bewohner übergeben. Deshalb lädt die Stadt danach (ab 19 Uhr im Neuen Rathaus) schon zum zweiten Mal zu einem Bürgerforum zum Thema ein. Deshalb hat sich das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ gegründet. Dem seit dem 19. November existierenden Bündnis gehören gut hundert Menschen an, die sich aktiv in den Prozess der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen einbringen wollen. Sechs von ihnen stellen wir Ihnen hier vor:

Der Hoyerswerdaer mit polnischen Wurzeln
Er sei, sagt Andrzej Serwecinski, ein optimistischer Realist. Er stammt aus Polen, aus der Gegend um £ódŸ – ist aber dieses Jahr seit 40 Jahren Hoyerswerdaer. Seit fast zwei Jahrzehnten betreibt er hier sein Deutsch-Polnisches Infobüro, das für wirtschaftliche und kulturelle Kontakte sorgt. Seine größte Befürchtung im Zusammenhang mit der Eröffnung des Wohnheims ist, dass jemand „mit Steinen schmeißen“ und damit „den Ruf der Hoyerswerdaer noch mehr in den Dreck ziehen“ könnte. Deshalb engagiert er sich im Bündnis. Natürlich, sagt er, könnten Probleme auftreten. Natürlich gebe es Ängste. Aber er selbst sehe eher die positiven Seiten der Ankunft von Menschen aus anderen Weltgegenden: „Unsere Kinder sehen Leute mit vielleicht anderer Hautfarbe, vor denen man keine Angst haben braucht.“ Und wer weiß, meint Serwecinski, womöglich würde der eine oder andere Heimbewohner ja so wie er selbst sogar langfristig Fuß fassen. „Unsere Stadt braucht noch Ärzte, Muttersprachler für Englisch und einfach mehr Einwohner“, sagt er.

Die Lehrerin mit Vor-Ort-Erfahrung
Das nunmehrige Wohnheim für Asylbewerber kennt Cornelia Apel schon länger von innen. Die 51-Jährige ist Lehrerin und hat hier gearbeitet. Deshalb konnte sie Bekannten, die sich über die schon in den Medien gezeigte, recht hübsche Wohnheim-Küche wunderten, berichten, dass es sich um einen Altbestand der früheren Förderschule handelt: „Da habe ich auch schon drin gekocht.“ Sie sagt, es seien solcherlei Fragen und „an den Haaren herbeigezogene Aussagen“ beim ersten Bürgerforum im Jugendklubhaus Ossi gewesen, die sie zu der Überlegung gebracht hätten, sich dem Bündnis anzuschließen. Ihr Ziel: „Die Stadt soll lebenswert bleiben.“ Die Pädagogin gehört der Gruppe „Aktive Hilfe für die Heimbewohner“ an und will sich vor allem für die Belange von Kindern und Jugendlichen einsetzen: „Die Situation für sie wird sicher nicht einfach sein.“ Cornelia Apel ist jedenfalls ziemlich überzeugt davon, dass das Zusammenleben mit den Asylanten gelingen kann: „Wenn man offen ist für andere Leute, klappt das auch“, sagt sie.

Die Frau der ersten Stunde
„Dass so viele mitmachen, begeistert mich“, sagt Grit Maroske über das Bündnis. Die 45-jährige Werbetexterin gehört zu seinen Mitinitiatoren. Ihr Name stand bereits im November unter dem Aufruf zur Mitwirkung an dem damals noch „Netzwerk“ genannten Zusammenschluss. Zuvor hatte Grit Maroske im Internet die Gruppe „Pro Asyl Hoyerswerda“ ins Leben gerufen. Nun leitet sie im Bündnis die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit. „Es geht um die Weitergabe von Informationen, um Aufklärung, um Gespräche und um die Suche nach Partnern“, sagt sie und fügt an, es wäre gut, wenn die Hoyerswerdaer erst einmal die Ruhe bewahren und abwarten würden, was denn nun genau passieren wird. Grit Maroske zeigt sich überzeugt, dass 120 zusätzliche Bewohner der Stadt auszuhalten sein dürften. Und – sagt sie – sie habe durchaus auch selbst etwas gelernt: „Zum Beispiel, dass nicht alle, die gegen das Heim sind, etwas gegen Ausländer haben.“ Nur: Am Umstand, dass zentral statt dezentral untergebracht wird, könne man nun erst einmal nichts ändern.

Die Frau mit dem Herz für Kinder
Ursprünglich, erzählt Kerstin Freyer, sei sie ja gegen die Lage des Wohnheims gewesen. „Aber ich bin katholisch, fühle mich aus menschlicher Sicht einfach verpflichtet, zu helfen. Und je mehr ich mich mit der Sache beschäftige, desto tiefer werden die Einblicke“, sagt die 38-jährige Heilerziehungspflegerin. Schon als sich das Bündnis Mitte November zum ersten Mal traf, stellte sie ihre Idee einer „Kinderstube“ für die jüngsten Heimbewohner vor. Auch in der nicht ganz einfachen Situation nach einer Flucht, findet sie, sollten Kinder ein Stück Kindheit haben können. Kerstin Freyer geht auch davon aus, dass die Eltern nötige Freiräume bekommen können, während sie und andere sich mit den Kindern beschäftigen: „In einer Notsituation braucht man auch einmal Zeit, um zur Ruhe zu kommen.“ Um Flüchtlings-Kinder mit Hoyerswerdaer Mädchen und Jungen zusammenbringen zu können, hat Kerstin Freyer schon mit Lehrern gesprochen. Und ihre Freunde, berichtet sie, würden sie in ihrem Tun ausdrücklich bestärken.

Der Schöpfer der Internet-Seite
Der Kindheit so eben entwachsen war René Köhlert, als in seiner Heimatstadt Ausländer angegriffen wurden. Er kann sich an den Herbst 1991 noch ganz gut erinnern. „Es war nicht schön“, sagt der 37-Jährige heute – und möchte unter keinen Umständen, dass sich wiederholt, was damals passierte. Für das Bündnis, dessen Gruppe für Öffentlichkeitsarbeit Köhlert angehört, hat er die Internetseite gestaltet. Man kann darauf zum Beispiel unter dem Stichwort „Asyl einfach erklärt“ Hintergründe zum Asylrecht in Deutschland nachlesen. Es gibt aber auch eine Vorstellung des Bündnisses oder Kontaktdaten für potenzielle Unterstützer. Man hat den als Wachmann beschäftigten René Köhlert schon mehr oder weniger ernsthaft als „Gutmenschen“ bezeichnet, was ihn aber nicht weiter anficht. Er ist fest davon überzeugt, dass sich die Ereignisse des Herbstes 1991 definitiv negativ ausgewirkt haben. Und er glaubt auch, dass das eine Mehrzahl der Hoyerswerdaer heute ebenso sieht wie er. „Die Leute sind älter geworden, da reift man ja auch“, sagt Köhlert.

Der praktisch veranlagte Pädagoge
Eines ist mal sicher: Steffen Apel ist weder kontakt- noch konfliktscheu. Das ist schon wegen seines Berufs nicht möglich. Der 51-Jährige ist als Pädagoge im Strafvollzug beschäftigt. Hier hat er dienstlich Kontakt sowohl zu Ausländern als auch zu Ausländer-Hassern. Steffen Apel hat also zumindest eine Ahnung davon, was sowohl die Einen als auch die Anderen in ihrem Inneren beschäftigt. Im Bündnis gehört er zu denen, die ganz praktische Hilfe leisten wollen. Seine erste Idee war zum Beispiel die Vermittlung von kaputten Computern, die in einem Haft-Projekt wieder flottgemacht werden. Steffen Apel ist sich aber auch bewusst, dass es nötig werden könnte, sich vor die Heimbewohner zu stellen, sollten sie attackiert werden. „Sonst sitzen die hinter den Fenstern und haben Angst“, sagt er – und steckt andere damit an. „Also das wird ihm gar nicht so bewusst sein. Aber wie ich ihn erlebe, dann hätte ich neben ihm keine Furcht, mich im Ernstfall auf die Straße zu stellen“, sagt Carmen Beyer, die sich auch im Bündnis engagiert.

www.hoyerswerda-hilft-mit-herz.de



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