Erinnerung in drei Metern Basalt


von Tageblatt-Redaktion

Knapp hundert Menschen verfolgten gestern die Einweihung des Denkmals im Stadtzentrum von Hoyerswerda. Unter ihnen waren zahlreiche Frauen und Männer mit Filmkameras, Mikrofonen, Notizblöcken und Fotoapparaten.
Knapp hundert Menschen verfolgten gestern die Einweihung des Denkmals im Stadtzentrum von Hoyerswerda. Unter ihnen waren zahlreiche Frauen und Männer mit Filmkameras, Mikrofonen, Notizblöcken und Fotoapparaten.

Von Mirko Kolodziej

Am 19. September 1991, in der zweiten Tageshälfte, standen vor dem Vertragsarbeiterwohnheim in Hoyerswerdas Albert-Schweitzer-Straße 500 Menschen. Einige schlugen Krawall, andere sahen zu. Hundert Polizisten konnten nicht verhindern, dass von unten nach oben und von oben nach unten Molotowcocktails flogen. Größere Brände gab es nicht, dafür aber zwanzig Verletzte. Am Tatort wird derzeit von der Wohnungsgesellschaft abgerissen.

Exakt 23 Jahre später: Von einem Balkon des Hochhausteils, der stehenbleibt, wehte gestern die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und ein paar hundert Meter weiter hatte sich unter die Festgäste zur Einweihung des Denkmals, das an die Gewalttage im Herbst ’91 erinnern soll, auch ein tätowierter Mann in einem Pullover in denselben Farben gemischt. Aufschrift: „Division Sachsen“. Seine ebenfalls tätowierten Begleiter waren in Kleidung gehüllt, auf der „Sturmheer“ beziehungsweise „Schlechte Gesellschaft“ zu lesen stand. Vorher hatte eine Mitarbeiterin des Rathauses dutzende Papierschnipsel weggeräumt, die auf der Wiese um das drei Meter hohe Basalt-Tor verstreut lagen. Aufschrift hier: „Nein zum Denkmal!!!! Hoyerswerda Bleibt Deutsch“ (sic!)

Vor dem Denkmal stand zur Feier am gestrigen Nachmittag unter anderem Sachsens Ausländerbeauftragter Martin Gillo und sprach angesichts des Einweihungsfestes von einem „konstruktiven Tag“. Er nahm für ein positives Zeichen, was oben ins Denkmal eingemeißelt worden ist: „Hoyerswerda vergisst nicht – Wir erinnern“. Scannt man mit seinem Smartphone einen an der Seite angebrachten QR-Code, so gelangt man auf eine Internetseite, die Denkmal und historische Geschehnisse beleuchtet. Der erste Satz lautet: „Der September 1991 machte Hoyerswerda auf die schrecklichste Weise bekannt.“ Ein junger Mann von der sogenannten „Initiative Pogrom '91“, deren Mitglieder meinen, namentlich anonym bleiben zu müssen, sieht die Sache denn auch so, dass Hoyerswerda sich an der Straße des Friedens (!) selbst ein Denkmal setzt. Die Situation der Betroffenen spiele kaum eine Rolle, heißt es in einer schriftlichen Mitteilung der Gruppe.

Immerhin: Das Rathaus nahm den besagten jungen Mann in die Liste der Redner auf und „Pogrom '91“ fand Erwähnung in den Reden von Gillo und Oberbürgermeister Stefan Skora. Der erinnerte nicht nur an die Dinge, an die Hoyerswerda in diesen Zusammenhängen immer gern erinnert, also etwa an das Wirken von Mobiler Jugendarbeit und RAA, an „Wider das Vergessen“ und andere Toleranz- und Demokratie-Projekte der hiesigen Kinder- und Jugendarbeit. Er wiederholte auch seine Entschuldigung an die Menschen, die 1991 mehr oder weniger aus der Stadt gejagt worden sind. „Zu diesen Worten stehe ich auch noch heute“, so der OB. Allerdings: Es war keiner der Betreffenden anwesend. Von drei eingeladenen Afrikanern konnten zwei kurzfristig nicht aus Afrika nach Deutschland kommen. Der Dritte lebt in Hessen und war wohl anderweitig verhindert. Jedenfalls war er in den letzten Jahren schon mehrfach als Gast von Ex-OB Horst-Dieter Brähmig in die Stadt gekommen.

Martina Rohrmoser-Müller, von der das Denkmal stammt, machte gestern noch einmal die Bedeutung von „Offene Tür“ klar: „Es ist als Willkommensgruß gedacht.“ Und so fühlten sich offenbar auch die drei Tätowierten gestern willkommen. Skora sagt, für Extremismus gebe es keine Toleranz. Allerdings macht er wohl einen feinen Unterschied zwischen Extremismus und Extremisten. Als Christ, sagt er, akzeptiere er alle Menschen. Und es sei ihm durchaus klar, dass das mitunter schwierig mit erwähnter Nulltoleranz harmoniert.



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