Eine Zeitung und ein kleiner Schwatz


von Tageblatt-Redaktion

Bärbel Rosenberg betreibt den letzten aus DDR-Zeiten stammenden Kiosk im WK I. Viele Kunden kommen, um dort Zeitungen zu kaufen, wie Joachim Vogel.
Bärbel Rosenberg betreibt den letzten aus DDR-Zeiten stammenden Kiosk im WK I. Viele Kunden kommen, um dort Zeitungen zu kaufen, wie Joachim Vogel.

Von Silke Richter

Jemand da? Kunden, die nicht so oft bei Zeitungsverkäuferin Bärbel Rosenberg am Kiosk vorbeischauen, müssen schon etwas genauer hinsehen, ob wirklich geöffnet ist. Von Weitem ist nämlich nur schwer ersichtlich, ob die Verkaufsluke nun offen ist oder nicht. Es sei denn, Bärbel Rosenberg schaut gerade mit ihrem Kopf heraus. Zwischen bunten Zeitungen und Comic-Heften bewegt sich drinnen etwas. Der rote Pullover, den Bärbel Rosenberg an diesem Dienstag unter einer warmen Weste trägt, fällt auf. „Guten Morgen!“, ruft sie aus ihrer kleinen Luke, Atemwölkchen vorm Gesicht. Sehr warm ist es im Inneren des gelben Zeitungskiosks jedenfalls nicht, trotz der kleinen Heizung.

Der Kiosk steht im WK I, gleich neben dem Kreisverkehr. Er ist der letzte seiner Art im Stadtbild, stammt aus DDR-Zeiten, wurde Anfang der 60er-Jahre gebaut. Bärbel Rosenberg kaufte ihn vor 20 Jahren. Überhaupt scheint dieser Kiosk seinen ganz eigenen, unverwechselbaren Charme zu haben. Alles scheint anders zu sein, als es heutzutage in Supermärkten oder in Bäckerfilialen üblich ist. Das beginnt schon mit den Öffnungszeiten. Bärbel Rosenberg öffnet täglich nur für ein paar Stunden. Dafür steht die Seniorin wochentags jeden Morgen 4 Uhr früh auf. Schließlich müssen die Warenlieferungen entgegengenommen und im Kiosk verteilt werden.

Die ersten Stammkunden kommen bereits um halb sieben, um ihre Morgenlektüre zu kaufen. Die wenigsten nehmen ihre Zeitungen und gehen gleich wieder. Hier wird gern geplaudert. So auch an jenem Morgen, als Joachim Vogel mit seinem Transporter auf dem Parkplatz vor dem Kiosk hält. Der Hoyerswerdaer ist ein alter Freund von Bärbel Rosenberg. Der Mann will eigentlich nichts kaufen. Nur reden. „Weißt du noch?“, fragt er Bärbel Rosenberg lachend. Die beiden erinnern sich an ihre gemeinsame Jugendzeit: Zigaretten- rauchen, Gitarrenmusik und Lagerfeuer. Die Arbeit – Bärbel Rosenberg war als Maschinistin in Schwarze Pumpe tätig. Riesige Töpfe, in denen auf dem Gasherd Babywindeln ausgekocht wurden. Stundenlanges Anstehen beim Fleischer, um Rouladen zu ergattern. Wochenkrippen, in denen Kinder von Schichtarbeiterinnen wie Bärbel Rosenberg, die schon sechs Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gingen, betreut wurden. Das jahrelange Warten auf einen Trabant und die spontane Reparatur mit einer Nylonstrumpfhose, wenn der Keilriemen gerissen war auf dem Weg zum sogenannten Gewerkschaftsurlaub… Beide lachen viel bei dem Gespräch. „Wie schnell doch die Zeit vergeht…“

Im verganenen Jahr musste Bärbel Rosenberg viele Todesanzeigen in „ihren“ Kioskzeitungen lesen. Namen von Menschen, die sie als Kunden sehr gut kannte. Und um die sich die Hoyerswerdaerin Sorgen machte, wenn sie nicht wie üblich jeden Morgen zum Kiosk gekommen waren, um etwas zu kaufen. Oder einfach nur, um zu reden. Denn das, was dort im Vertrauen unter vier oder manchmal auch mehr Augen erzählt wird, findet keinen Weg nach draußen.Bis vor einigen Jahren kam sogar noch ein 100-jähriger Mann aus der Nachbarschaft zu Bärbel Rosenberg. Jetzt lebt er in einem Pflegeheim. Und trotzdem weiß die Kioskbetreiberin immer noch, was der betagte Herr gern liest.

Das trifft auch auf jenen Mann zu, der nun vor die Verkaufsluke tritt. Er muss nichts sagen. Ein „Guten Morgen“ reicht. Bärbel Rosenberg weiß, was er möchte. Sie greift zum Hoyerswerdaer TAGEBLATT und nimmt das Geld in Empfang. Passend. So wie jeden Morgen. Von montags bis samstags.

Ein Radfahrer fährt langsam am Kiosk vorbei. Zeit zum Absteigen findet der Mann nicht, aber für den fröhlichen Gruß „Guten Morgen, meine Sonne!“ schon. Eine „Knutschkugel“ ist im Anmarsch. So ist es jedenfalls auf dem Geschirr eines kleinen Hundes zu lesen, der von einem Mädchen ausgeführt wird. Bärbel Rosenberg ist froh, dass wenigstens der „Pinkelbaum“ gleich rechts neben dem Kiosk für ihre Besucher auf vier Pfoten jüngst bei den Fällarbeiten stehen geblieben ist. „Die haben in der Stadt ganz schön viele Bäume abgesägt. Bald werden wir wissen, ob es nicht zu viel des Guten war“, meint Bärbel Rosenberg nachdenklich.

Wenn man sich nur mal etwas Zeit nimmt, kann man buntes Leben an diesem alten gelben Verkaufsstand beobachten. Bärbel Rosenbergs Entscheidung damals war wohl richtig. Ursprünglich wollte sie nämlich von der früheren Kioskbetreiberin nur den Garten kaufen. Gut, dass sie sich stattdessen zum Kauf des Kiosks entschlossen hat. Und weitermachen will…

 



Zurück

Einen Kommentar schreiben

Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.

Bitte addieren Sie 1 und 8.