Dicke Lippen vom Blasen


von Tageblatt-Redaktion

Die Lippen aufs Mundstück gepresst und nun kräftig pusten: Karl Tillich ist Blechbläser und hat derzeit mit den frostigen Temperaturen beim Zampern zu kämpfen.
Die Lippen aufs Mundstück gepresst und nun kräftig pusten: Karl Tillich ist Blechbläser und hat derzeit mit den frostigen Temperaturen beim Zampern zu kämpfen.

In Neuwiese habe es eine Krisensitzung gegeben, erzählt Karl Tillich. Der Hoyerswerdaer sollte am vergangenen Sonnabend mit einigen Blechbläsern die Zampergruppe des Elsterheider Ortsteiles musikalisch begleiten. Doch daraus wurde nichts.

Weil die Meteorologen für das Wochenende Temperaturen im zweistelligen Minusbereich angekündigt hatten, wies der 75-Jährige die Organisatoren darauf hin, dass „es mit der Musik an diesem Tag gefährlich werden kann“. Gefährlich heißt in dem Fall: Der ehemalige Berufsmusiker befürchtete, dass im Laufe des Umzugs die Ventile der Musikinstrumente einfrieren würden. Eine Argumentation, welche die Veranstalter überzeugte. Denn Zampern ohne Polka, Walzer oder Marsch, das ist nur ein halbes Vergnügen. Ergo sagten die Neuwieser ihren Umzug ab.

Die arktische Kälte ist in diesen Tagen für das musikalische Begleitpersonal der Zamperumzüge eine echte Herausforderung. Wie soll man sein Instrument gegen die arktische Kälte schützen? Bei den derzeit vorherrschenden Minusgraden lässt der Atem, der in die Musikinstrumente geblasen wird, die Ventile schnell zufrieren. Und die Lippen der Musiker sind ebenfalls gefährdet. Wer nicht aufpasst, dem frieren sie am Mundstück fest.
Karl Tillich findet, dass es vor allem die Laienmusiker schwer haben. Schließlich, so Tillich, der über drei Jahrzehnte im Staatlichen Ensemble für Sorbische Volkskultur, dem heutigen Sorbischen Nationalensemble, Klarinette und Dudelsack spielte, „kennen die ja nicht alle Tricks, wie man Blechinstrumente warm hält“. Er schon. Der gebürtige Spohlaer, der vor 50 Jahren das Königswarthaer Blasorchester gründete und seit mehr als 30 Jahren mit einigen Mitgliedern dieses Ensembles Zampergruppen in Hoyerswerda und der näheren Umgebung begleitet, weiß, worauf es bei den Auftritten in der Kälte ankommt. „Das Mundstück wird nach jedem gespielten Stück abgenommen, in der Hand warm gehalten.“ Die drei- bis vierminütigen Lieder kürze man auf eine Minute, so Tillich. Länger werde nicht gespielt, schließlich ziehe man doch von Haus zu Haus. Damit die Ventile der Trompete oder des Tenorhorns nicht zufrieren, wird diese kälteempfindliche Mechanik umwickelt. Der frühere Berufsmusiker kennt Kollegen, die ihr Tenorhorn bei den Umzügen fast komplett mit wärmendem Material umhüllen und obendrein noch eine kleine Wärmflasche hineinlegen. „Da kann dann nichts mehr passieren“, steht für Tillich fest, der vor zwei Wochen beim Bröthener Umzug dabei war.

So kalt wie in diesem Jahr sei es in den zurückliegenden drei Jahrzehnten eigentlich nicht gewesen, findet Tillich. „Ich meine damit, dass wir noch nie so kalte Samstage hatten“, sagt der Rentner. Das seien die kältesten Tage gewesen, die er bisher erlebt habe. Zum Verständnis für diejenigen, die sich mit diesem Brauch nicht auskennen: Samstag ist hier in der Region der klassische Zampertag.
Für ihn liege die Schmerzgrenze zwischen fünf und acht Grad minus. „Aber auch da muss man schon auf die Instrumente achtgeben, sie wärmen.“ Wenn die Temperaturen jedoch in den zweistelligen Bereich gingen, werde es für Blechbläser „ganz problematisch“.

Am Samstag wird er mit seinen blechblasenden Kollegen in Terpe sein, einem kleinen Ort bei Spremberg. Vorausgesetzt, man sagt auch dort den Umzug nicht ab. Denn die Temperaturen für dieses Wochenende werden aus Sicht der Musiker auf jeden Fall erneut grenzwertig sein. Aber Tillich und seine Kollegen wissen ja, wie sie ihre Instrumente schützen können. Das dürfte dann alles kein Problem werden. Oder?
Nicht ganz. Am nächsten Tag aber werde er mit Sicherheit seine Lippen spüren. „Die“, so die Erfahrung des Hoyerswerdaers, „werden dann wieder dicker als sonst sein.“ Vom stundenlangen Blasen.



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