Das Ende des bedrückten Schweigens


von Tageblatt-Redaktion

Zehn Jahre ist es her, dass die Merzdorfer Straße 14 bis 18 Schauplatz für den Superumbau wurde. Das Haus existiert ebenso lange nicht mehr. Doch von hier ging ein gesellschaftlicher Dialog aus, der bis heute anhält.
Zehn Jahre ist es her, dass die Merzdorfer Straße 14 bis 18 Schauplatz für den Superumbau wurde. Das Haus existiert ebenso lange nicht mehr. Doch von hier ging ein gesellschaftlicher Dialog aus, der bis heute anhält.

Dass vor zwei Wochen in Hoyerswerdas KulturFabrik-ZwischenBelegung die Senioren-Theatergruppe „die her zogen“ die Premiere ihres neuen Stückes „Mitbewohner gesucht“ feiern konnten, hat auch mit der Kulturstiftung des Bundes zu tun. Sie finanzierte 2003, kurz nach ihrer Gründung, ein Projekt im Hoyerswerdaer WK VIII, das damals nicht nur Wohlwollen hervorrief, das aber mit dem Abstand von zehn Jahren wohl unbestritten als erstes Kunstprojekt zur Schrumpfung der Stadt gelten kann – den „Superumbau“. Die Theatergruppe fand sich damals, um mit Regisseurin Andrea Moses das Stück „Kap der Unruhe“ zu inszenieren.


„Ich erinnere mich an Starre, Lethargie, ein In-Sich-Zurückziehen der Hoyerswerdaer“, entsinnt sich Dorit Baumeister. Die Architektin hatte sich vor einem Jahrzehnt schon länger mit dem Gedanken getragen, den Schrumpfungs-Schock irgendwie öffentlich zu thematisieren. Da erzählte ihr der Berliner Architektur-Kritiker Wolfgang Kil von der Bundeskulturstiftung, und sie stellte mit Hilfe des Vereins „Spirit of Zuse“ einen Antrag. Der bis dato fast ausschließlich auf den Wohnungsabriss fokussierten Schrumpfung sollte die menschliche Komponente zur Seite gestellt werden. Aus heutiger Sicht ist klar, was der damals für viele etwas sperrige Name „Superumbau“ bedeuten sollte: Der Abriss von Häusern ist nicht alles. Ein Verlust an Menschen ändert vieles mehr – vom Bedarf an Schulen und Geschäften über die Mitgliederzahl von Vereinen bis hin zur Organisation von Familienleben über viele Kilometer hinweg.


„Wir müssen den Dialog anfangen, darüber reden – auch weil es wehtut und Angst macht“, erklärt Dorit Baumeister den Ansatz von damals, mit Hilfe von Schauspiel, Film, Fotografie und Installationen, aber auch von Gesprächsrunden das Schweigen in der Stadt über dieses Thema zu brechen. Ausdrücklich sollte es nicht nur um wohnungspolitische, sondern eben auch um infrastrukturelle, soziale, demografische und kulturelle Folgen der Schrumpfung gehen. „Man konnte am Beispiel von Hoyerswerda gut erklären, was für ein komplexer Prozess das ist“, sagt Dorit Baumeister. Auch deshalb interessierten sich zahllose Journalisten aus aller Welt dafür, was da im Spätsommer 2003 mit und neben dem Haus Merzdorfer Straße 14 bis 18 passierte. Denn der „Superumbau“ konzentrierte sich in einer ehemaligen Kita, während nebenan das Haus fiel.


Geblieben sind Filme, Tonaufnahmen, Zeitungsartikel, ein Buch, zehn dicke Leitz-Ordner Material und natürlich „die her zogen“. Geblieben ist aber auch die Debatte, die der „Superumbau“ damals anregen wollte. Und im Wortsinn ist er ja bis heute nicht beendet. Hoyerswerda schrumpft bekanntlich noch immer. Also sagt Dorit Baumeister mit Blick auf Projekte wie „Hier bin ich geboren“, „Die dritte Stadt“, „Malplatte“, „Auszeit-Block“ oder die Tanzstücke zur Schrumpfung, heute gebe es einen wunderbaren Dialog: „Kunst, Kultur, Bürgerbeteiligung aber auch einfach Lebensfreude wie bei der »Picknickwiese« werden als wichtige Aufgaben begriffen.“ Das gilt heute auch für diejenigen von Baumeisters Freunden aus der KulturFabrik, die damals wie andere sehr skeptisch waren. Mittlerweile hat sich der gesamte Verein die Beschäftigung mit den Auswirkungen der Schrumpfung auf die Fahnen geschrieben.


Dass die 2003 begonnene Debatte noch immer nicht am Ende ist, macht Baumeister an einem Beispiel klar. So habe es damals bei Verantwortungsträgern die Scheu gegeben, die Dimensionen des Problems offen anzusprechen: „Die Angst war, dass es zu panikartigen und nicht handhabbaren Entwicklungen kommen könnte.“ Heute ist zwar fast jedem klar, wie und in welche Richtung sich die Stadt entwickelt, und KuFa-Projekte zum Thema werden von vielen Offiziellen aus der Stadt unterstützt. Doch die seit 2011 vorliegende Studie „Hoyerswerda 2050“ bleibt vorsichtshalber unter Verschluss. Die unterschiedlichen Szenarien, die zu Bevölkerungsprognosen zwischen 9 000 und 21 500 für das Jahr 2050 führen, können so nicht offen besprochen werden. Dorit Baumeister glaubt aber, dass das nötig wäre. „Erst wenn es bei Leuten ein Bewusstsein für eine Sache gibt, kann man darauf aufbauend mit positivem Engagement rechnen“, sagt sie.



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Kommentare zum Artikel:

Michael Albert schrieb am

Tja, im Herzen bin ich immer noch Hoyerswerdscher und werde es auch bleiben. Finde es sehr schade, dass soviele wegziehen. HY ist eine schöne Stadt geworden mit dem Luxus von erstklassigen Einkaufmöglichkeiten! Das hat man teilweise noch nicht mal in München. Erst in der Ferne merkt man was man an HY so sehr vermisst: Die schöne Lausitzhalle, das freundliche Globus Warenhaus, das immer volle und schöne Lausitzcenter, meine geliebte SZ mit Tageblatt, die ehrlichen Gespräche, die Platte, das schöne Kinocenter, dass Restaurant " Stadt Hoyerswerda " im WK IX mit den leckeren Gerichten, die leckere, sächsische Wurst ( hier in Bayern schmeckt einfach die Wurst nicht! ), den neuen Luxus - Rummelplatz usw....Ich vermisse einfach all das und noch vieles mehr. Vor allem meine Familie. Aber irgendwie muss man ja auch Kohle verdienen die ich dann gerne in HY ausgeben möchte wenn ich 2 - 3 mal in meine olle Heimatstadt komme. Was ich aber überhaupt nicht vermisse ist das schlechteste Klinikum alles Zeiten von HY. Nee, dahin würde ich keinen empfehlen!

grizzlybearunderwear schrieb am

... ohje; war das nun Klamauk oder Kunst oder sollten die Ghettobewohnern getröstet werden? Also ich glaube, den Architekten und Künstlern fehlt da immer noch der Realitätssinn in Hinsicht auf die Breitenwirkung ihres Happenings. In meiner Erinnerung hieß es, daß damals eine handvoll berliner Spinner ne Menge Fördergelder für ihren Unfug verbraten hätten. Einige der realen Plattenbewohner fühlten sich eher verulkt denn zu einem Dialog hingezogen, wenn sich "Kulturfremde" in ihre Lage versetzen wollen. Na und das Vertrauen in Architekten und Stadtplanern war eh nie optimal. Die Leute erinnern sich da eher an den Tag der Sachsen mit MDR-Bühne, Wurstbuden und Rummel; wen interessiert da schon die vollgekackte Wiese in meiner Schmidtchenstraße ...

Mirko Kolodziej schrieb am

Sehr geehrter Herr, sehr gehrte Frau "grizzlybearunderwear", sie dürfen sich hier gern äußern. Wir möchten Sie jedoch bitten, dabei die Grenzen des Anstands und des guten Geschmacks zu wahren. Das Wort "Ghettobewohner" hat einen stark pejorativen Charakter und ist daher sicher nicht angebracht. Es gibt für jemanden, der sich in der Öffentlichkeit (und nichts anderes stellt diese Webseite dar) äußert, eigentlich auch keinen Grund, dies nicht unter seinem echten Namen zu tun. MfG, der Autor des obigen Artikels zum "Superumbau"

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