Wie eine Soldatenmutter Ehrenbürgerin wurde


von Tageblatt-Redaktion

Ehrenbürgerin Jekaterina Ponomarjowa an Hoyerswerdas Ehrenhain. Foto: Gudrun Kubenz
Ehrenbürgerin Jekaterina Ponomarjowa an Hoyerswerdas Ehrenhain. Foto: Gudrun Kubenz

Von Mirko Kolodziej

Während der Maitage des Jahres 1975, also vor genau 40 Jahren, gab es in Hoyerswerda zwei Ereignisse, die zumindest in den folgenden anderthalb Jahrzehnten in keiner Stadtchronik fehlen durften: Am 4. Mai wurde der zentrale Platz im Wohnkomplex VIII nach dem sowjetischen Partner-Oblast des Bezirkes Cottbus benannt. Bis heute heißt er auch so, nämlich Lipezker Platz. Zwei Tage später gab es erneut einen Festakt. In der Ende der 1970er vom Stadtmuseum herausgegebenen Broschüre „Wissenswertes zur Geschichte der Stadt Hoyerswerda“ liest man unter dem Datum vom 6.5.1975: „Einweihung des neugestalteten Ehrenhains aus Anlass des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus in Anwesenheit der Heldenmutter J. G. Ponomarjowa“. Die damals 87-jährige Russin ist ausweislich der städtischen Internet-Seite seit ihrem Besuch zu diesem Anlass Ehrenbürgerin der Stadt.

Zwei Jahre zuvor war die Seniorin aus Serow bei Swerdlowsk ohne großes Federlesens am Bahnhof angekommen. In der Hand hielt sie einen Zettel. Jekaterina Georgiewna Ponomarjowa war auf der Suche nach dem Grab ihres Sohnes Pjotr Iwanowitsch Ponomarjow. Er war Kommandeur einer Panzerkompagnie und am 28. April 1945 bei Kämpfen rund um Hoyerswerda umgekommen. An diesem Tag nahm die Rote Armee Uhyst und das 1978/79 für den Tagebau Bärwalde abgerissene Merzdorf ein. Die Soldatenmutter, so berichtet die Stadtchronik, war bereits bei dieser ersten Visite 1973 dabei, als die 15. Polytechnische Oberschule im WK VIII (2006 als Mittelschule „Kühnichter Heide“ geschlossen und abgerissen) nach ihrem Sohn benannt wurde. Und man konnte ihr auch seine letzte Ruhestätte im Stadtzentrum zeigen.

Denn zunächst waren zwar die bei den Kämpfen rund um die Stadt gestorbenen Sowjetsoldaten an Ort und Stelle begraben worden. Aber schon 1946 befahl die sowjetische Militäradministration des Landes Sachsen, die Toten auf Ehrenfriedhöfe umzubetten. In Hoyerswerda fiel die Wahl auf einen Teilbereich des damaligen Städtischen Friedhofs, also des heutigen Parks am Martin-Luther-King-Haus.

1949, noch vor Gründung der DDR, ging die Verantwortung für die Grabstätten an die Stadt Hoyerswerda über. Mitte der 1950er-Jahre wurden das Gräberfeld umgestaltet und eine Gedenktafel angebracht – steht im Neuen Hoyerswerdaer Geschichtsheft Nummer 4 von 2001. Dort ist auch von der Einweihung eines Ehrenmals sowie eines Ehrenhains sowohl für die umgekommenen Sowjetsoldaten als auch für andere Opfer des Krieges und der Naziherrschaft im Jahr 1967 die Rede. Immer wieder wurden hier seit 1946 Menschen bestattet, die im Zusammenhang mit dem Kriegsende starben. Darunter waren zum Beispiel 135 polnische KZ-Häftlinge, die 1950 in Massengräbern in Spohla sowie in Tettau gefunden worden waren. Es handelte sich bei ihnen um ermordete Gefangene aus Außenstellen des Konzentrationslagers Groß Rosen.

Mitte der 1970er-Jahre beschloss die Stadt schließlich, den so immer wieder erweiterten Ehrenhain zu rekonstruieren. Entwurf und Modell stammten vom Hoyerswerdaer Künstler und späteren Ehrenbürger Jürgen von Woyski (1929–2000) sowie vom Architekten Siegbert Langner von Hatzfeld, der bis heute in Dresden tätig ist. Jürgen von Woyski hat in diesem Zusammenhang auch die am Ehrenhain aufgestellte Bronzeskulptur „Kniender“ geschaffen. Tätig waren zudem die Steinmetze Josef Grellert und Dietmar Oehme. Am Sockel des 1975 errichteten Sandstein-Obelisken (er ist zehn Meter hoch) findet man die Worte „Den Lebenden zur Mahnung, den Toten zum Gedenken“.

Und so saß an jenem 6. Mai 1975 Jekaterina Ponomarjowa – das Gesicht vom Kopftuch umrahmt – auf einem Stühlchen, hinter sich eine Reihe Offizieller, wehende Fahnen, das (2001 abgerissene) Hochhaus Einsteinstraße 1 bis 5 und die damals größte Brache der Stadt (an deren Stelle heute das Lausitz-Center steht). Sie blickte auf die neu gestaltete Anlage, die auch die sterblichen Überreste ihres Sohnes enthält. Ein Tuch voll Hoyerswerdaer Erde vom Ehrenhain sollte das letzte Andenken sein, das sie an Pjotr zu Hause hatte. Jekaterina Ponomarjowa starb um den Jahreswechsel 1979/80 im Alter von 92 Jahren. „Am Tage ihrer Beisetzung war am Grabe das Banner der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft mit einer Trauerschleife entfaltet“, stand ein paar Tage später in der Lokalausgabe der „Lausitzer Rundschau“.

Der Ehrenhain aber wuchs auch nach 1975 weiter. Erst 1997 wurde das sogenannte Feld III eingeweiht. Es erinnert an weitere 260 Menschen, die ebenfalls in den Apriltagen des Jahres 1945 ums Leben kamen.



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