Wer war Hoyerswerdas erster Chefarchitekt?

Hoyerswerda. Der Termin für den offiziellen Start eines kombinierten Großvorhabens fiel vor 70 Jahren auf einen Mittwoch. Es war der 31. August 1955; am Vormittag um 10 Uhr setzte der Minister für Schwerindustrie der DDR, Fritz Selbmann (1899 – 1975) mithilfe einer Planierraupe sowjetischer Bauart den ersten „Spatenstich“ für das Kombinat Schwarze Pumpe. Vier Stunden später folgte Festakt zwei in Hoyerswerda.
Im Maxim-Gorki-Haus, dort, wo heute das Cinemotion-Kino steht, boten Kinder ein Kulturprogramm. Dann ging es in die August-Bebel-Straße zur Grundsteinlegung nicht nur für ein einzelnes Gebäude. Am Haus mit der Nummer 16 findet man heute eine Gedenktafel; Aufschrift: „Hier erfolgte am 31. August 1955 die Grundsteinlegung des Neuaufbaues der Stadt Hoyerswerda – Leitung Ferdinand Rupp, Chefarchitekt“.

In der Chronik steht für den besagten Mittwoch im August 1955 recht einfach: „Beginn des Aufbaues des Kombinates Schwarze Pumpe und der Erweiterung der Stadt Hoyerswerda“. Der Prozess sollte 35 Jahre anhalten – bis zur Fertigstellung des WK X; darüber sind inzwischen Bücher gefüllt. Weit weniger weiß man jedoch über den Namen von der Gedenktafel. In städtischen Publikationen taucht er höchstens im Zusammenhang mit Ehrenbürger Jürgen von Woyski (1929 – 2000) auf.
Rupp, heißt es da, habe junge Künstler aufgefordert, die neu entstehende Stadt mitzugestalten. So sei auch Woyski nach Hoyerswerda gekommen. Ansonsten scheint der Mann, dessen Name mit der Stadterweiterung verbunden ist, jedoch mehr oder weniger vergessen zu sein. Im Archiv des Leibnitz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner bei Berlin sowie im Archiv der Stadt Neubrandenburg finden sich jedoch einige Daten zu Leben und Wirken von Ferdinand August Rupp.
Geboren ist er am 28. März 1902 in Frankfurt am Main. In einem Aufnahmeantrag für den Bund der Architekten der DDR gibt er an, sein Vater sei Steinmetzmeister gewesen; so ergriff auch der Sohn zunächst diesen Beruf, machte seine Gesellenprüfung und lernte anschließend von 1919 bis 1922 an einer Staatsbauschule. Vermutlich war es jene in seiner Geburtsstadt, die heutige Frankfurt University of Applied Sciences. Belegen lässt sich das jedoch nicht, denn das dortige Archiv reicht nicht so weit zurück.
Allerdings ist es wahrscheinlich, denn der Lebenslauf führt als Arbeitgeber für die Jahre von 1925 bis 1927 ein Frankfurter Architekturbüro auf. Für die Zeit zwischen Studienabschluss und Arbeitsbeginn sind Aufenthalte in Österreich und in Italien vermerkt. Später fand Rupp Beschäftigung zum Beispiel in Schleswig-Holstein beim Stadtbauamt Neumünster, in einem Architekturbüro in Halle/Saale oder in der Architektur-Abteilung der Schering AG in Eberswalde, der späteren Chemischen Fabrik Finowtal.
Dort, im Brandenburgischen, hat Ferdinand Rupp 1939 auch geheiratet. Seine Ehefrau Erika war eine geborene Kermbach. Im Krieg war Rupp offensichtlich nicht, denn seine berufliche Vita verzeichnet für diese Zeit durchgehend Anstellungen, zuletzt von 1943 bis 1945 in der Architekturabteilung eines Stahlwerkes in Mannheim. Die frühere Residenzstadt in der Kurpfalz war danach Mittelpunkt seiner freiberuflichen Tätigkeit von 1946 bis 1953.
Wie genau Rupp in die DDR geriet, lässt sich aus den hoyte24.de vorliegenden Unterlagen nicht ersehen. Vermuten darf man persönliche gesellschaftspolitische Überzeugungen. Rupp hat jedenfalls im Juni 1954 in Neubrandenburg einen Aufnahmeantrag in den Bund Deutscher Architekten ausgefüllt. Und darin führt er neben einer Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei KPD auch die Zugehörigkeiten zu den DDR-Organisationen Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED, Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDGB, Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft DSF und Kulturbund auf.

Seine Mitwirkung am 31. August 1955 scheint ihm rückwirkend selbst nicht so wichtig gewesen zu sein, denn in einen Karteibogen für den Bund der Architekten der DDR schrieb er 1972 lediglich: „1953 bis 1958: verschiedene Projektierungsbüros, Chefarchitekt“. Er hat Hoyerswerda auch bereits 1957 wieder hinter sich gelassen, im Jahr zuvor war der Aufbaustab unter Richard Paulick (1903 – 1979) gegründet worden. Architektin und Stadtkennerin Dorit Baumeister erzählt bei ihren Führungen, sie habe gehört, Rupp sei hier „über ein Frauenbein gestolpert“.
Seinen Lebensmittelpunkt hatte Ferdinand Rupp in Neubrandenburg, zufälligerweise also dort, wohin Autorin Brigitte Reimann (1933 – 1973), die sich nicht nur literarisch so sehr an der Hoyerswerdaer Architektur abgearbeitet hat, nach ihrem Aufenthalt hier 1968 umzog. Rupp war in der Nachbarstadt Friedland von 1960 bis 1964 als Stadtbaudirektor tätig. Er starb am 28. Mai 1984, also im Alter von 82 Jahren, in Neubrandenburg. Das dortige Standesamt vermerkte 4.30 Uhr als Zeitpunkt seines Todes.
Mirko Kolodziej
Einen Kommentar schreiben
Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.