Wenn es zweimal an der Haustür klopft


von Tageblatt-Redaktion

Weihnachtsmann Franz Reus aus Burghammer hatte am Heiligen Abend gut zu tun. Hier wartete sein nächster Bescher-Termin im benachbarten Burgneudorf auf ihn.
Weihnachtsmann Franz Reus aus Burghammer hatte am Heiligen Abend gut zu tun. Hier wartete sein nächster Bescher-Termin im benachbarten Burgneudorf auf ihn.

Von Rainer Könen

Der Weihnachtsmann ist auch nur ein Mensch. Franz Reus weiß daher, wie er den Heiligabend nach getaner Arbeit beschließen wird. Daheim. Ganz entspannt und gemütlich, bei einem Bier. Er wird in seinem Wohnzimmer die Füße hochlegen und versuchen, in diesen besinnlichen Zustand zu kommen, in den er Stunden zuvor etliche Familien versetzt hat. Der 59-Jährige weiß aus langjähriger Erfahrung, dass auch bei Weihnachtsmännern immer der erste Eindruck zählt. Denn ob und wie die Vertreter dieser Branche bei der Kundschaft ankommen, darüber entscheidet in die Regel das äußere Erscheinungsbild. Darauf legt er großen Wert. So hatte sich Franz Reus schon vor vielen Jahren von seinem knallroten Weihnachtsmantel verabschiedet. „Denn trägt nur der Knecht Ruprecht“, meint er. Der „Hiwi“ des Weihnachtsmannes. Also hatte er sich ein samtrotes, zweiteiliges Weihnachtsmann-Outfit zugelegt. Modemäßig sei er mit diesem Kleidungsstück in der Weihnachtszeit „absolut trendy“, wie er sagt.Als sich Franz Reus am Heiligabend um kurz vor 14 Uhr für seine Bescher-Tour bereitmacht, wirft er zuvor noch mal einen Blick auf seinen Routenplan. Zuerst geht es nach Lohsa zu einer vierköpfigen Familie. „Da kennt man mich schon lange.“ Er hat sich für diesen Tag, an dem er, wie er betont, „restlos ausgebucht“ ist, vorbereitet. Schon Wochen vorher hat er in Gesprächen geklärt, wer was warum geschenkt bekommt. Die Eltern haben ihm geschildert, wie sich ihre Sprösslinge in den vergangenen Monaten entwickelt haben, ihm beschrieben, was ihnen gefallen hat, was nicht, worauf er als Weihnachtsmann mit erhobenem Zeigefinger hinweisen möge. Da ist Reus‘ kreative Seite gefragt. Lobendes und Mahnendes in Reimform zu setzen, das liegt ihm.Seit 1998 ist der gebürtige Solinger im Weihnachtsmann-Business. Wie er in die Branche geraten ist, darüber mag er nicht plaudern. Privatsache. In seiner Weihnachtsmann-Rolle lebe er auf, ein Grund, warum er schon so lange dabei ist. „Jedes Mal“, so Franz Reus, „freue ich mich über die frohen, leuchtenden Kinderaugen bei der Bescherung.“

Um kurz nach 14 Uhr ist er in Lohsa eingetroffen. Die Geschenke, er kennt das aus den Vorjahren, die habe man ihm bereits in einen Sack vor die Haustür gestellt. Mit einer Glocke bimmelnd geht er die wenigen Meter von seinem Auto bis zum Haus. Klopft heftig an die Tür. Keine Reaktion. Klopft noch einmal, noch kräftiger. Ein älterer Herr öffnet ihm. Franz Reus wird ins Wohnzimmer geführt, wo ihn zwei Kinder und fünf Erwachsene, alle mit Zipfelmützen auf dem Kopf, gebannt anstarren. Nach der Begrüßung will Reus wissen, „mit wem wir jetzt anfangen wollen“. Mit Max, einem der beiden Kinder. Der Weihnachtsmann lässt Revue passieren, was in den vergangenen Monaten im Leben des Kindes prägend war. Hebt seine charakterlichen Vorzüge hervor, aber auch, dass er zum Leidwesen seiner Eltern zu häufig vor dem Computer sitzt. Der Weihnachtsmann ist ein wenig nervös. „Ich habe da immer Lampenfieber“, hat er kurz zuvor erzählt. Er muss ja erst einmal in die Rolle hineinkommen. Franz Reus schwimmt sich bei seinem ersten Auftritt frei, nicht zuletzt auch wegen seiner lockeren, ungezwungenen Art, die in diesen Momenten nicht an den Weihnachtsmann, sondern an den Menschen Reus erinnert. Aber das kommt an. Auch, dass er die Kinder auffordert, ihre Eltern, die Großeltern zu umarmen, sie darum bittet, ihnen künftig nicht immer so viel Kummer zu bereiten. Zum Schluss, nach einer knappen halben Stunde, ist seine Zeit dort vorüber. Man stimmt gemeinsam ein Weihnachtslied an. Zum Abschied drückt ihm der Großvater noch einen Umschlag in die Hand. Im Auto wartet Ehefrau Marlis auf ihn. Es geht nach Burgneudorf. „Ich bin schon ein wenig mit der Zeit im Verzug“, meint er, drückt aufs Gaspedal.

Der Besitzer einer Imbissbude erzählt unterwegs, dass er seit Jahren bei seinen Bescherungen ein Ritual durchführt, mit dem sich manche in der von ihm aufgesuchten Familien anfangs etwas schwertun. „Nähe zuzulassen, das ist oft nicht einfach“ meint er. Bevor er geht, nimmt er alle an die Hand. „Wir stellen uns in einem Kreis und wünschen uns ein frohes Weihnachtsfest“, beschreibt er dieses Ritual. Für ihn einer der Höhepunkte der Bescherung.

Die Familie, die ihn gebucht hat, wohnt in Burgneudorf. Fünf Kinder und einige Erwachsene erwarten ihn. Man kennt sich. Seit knapp zehn Jahren ist Weihnachtsmann Reus an Heiligabend dort Stammgast. Folglich geht es bei der Bescherung ungewöhnlich entspannt zu. „Mach‘ mal hinne“, ruft er einem der Kinder zu, als das nur zögerlich zu ihm kommt, um sich ein Geschenk abzuholen. Seinen rheinischen Akzent lässt er hier etwas deutlicher anklingen. Der Grund: Man ist sozusagen unter sich. Der Vater sei ein Kölner, hatte er zu Beginn der Tour erzählt. Und er sei ein „bergischer Jung“, das habe doch verbindenden landsmannschaftlichen Charakter. Reus soll sich wie zu Hause fühlen. Man holt einen bequemen Sessel für ihn, und so hält der Weihnachtsmann aus dem benachbarten Burghammer nun Audienz. Während er Hof hält, ist in dem geräumigen Wohnzimmer zu spüren, dass seine Gegenwart das Weihnachtsfest dieser Familie vervollkommnet. Ob denn noch Zeit für ein Gedicht bleibe?, fragt er nach erfolgter Bescherung den Hausherrn. Und gibt sich gleich selbst die Antwort. „Leute, ich muss mich sputen, ich muss weiter.“ So bleiben noch ein paar Minuten für ein Weihnachtslied. Für welches? Natürlich für den Klassiker. Es erklingt „O Tannenbaum“, danach müssen alle aufstehen, einen Kreis bilden, sich an den Händen fassen. In diesem Augenblick sind es die Augen von Reus, die leuchten, die zeigen, wie sehr er sein Weihnachtsmann-Dasein in diesem Augenblick genießt. Weil er hier Freude, Frieden und Gemeinsamkeit stiften kann. Wenigstens für diesen Abend. Später, auf dem Weg zum Auto, erkundigt er sich noch beim Hausherrn, ob es gefallen habe. Natürlich, was denn sonst. An der Gartentür verabschieden sie sich. Frohes Fest! Es geht weiter, an diesem Nachmittag nach Hoyerswerda, nach Wittichenau nach Seidewinkel und Neuwiese. Allerdings ist sein Job erst am nächsten Tag für dieses Jahr erledigt. Da hat er noch zwei Termine in Hoyerswerda. Er wird auch eine holländische Reisegruppe bescheren. Kann er das? Was für eine Frage. Er hat seinen Rauschebart abgenommen: „Ik spreek de Nederlanders heel goed“, meint er schmunzelnd. Natürlich kann er ein wenig Niederländisch sprechen. Die Wagentür schlägt zu. Kurz darauf ist der Weihnachtsmann in der Dunkelheit verschwunden.



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