Warum ein Ex-Genosse heute CDU-Politiker ist


von Tageblatt-Redaktion

Jürgen Schröter - hier in den 90ern - ist in Hoyerswerda seit Langem aktiv. Neuerdings ist er Kreisrat.
Jürgen Schröter - hier in den 90ern - ist in Hoyerswerda seit Langem aktiv. Neuerdings ist er Kreisrat.

Von Mirko Kolodziej

Besonders freundlich ist die Meinung, die der ehemalige Seidewinkler Bürgermeister (1965 bis 1978) Wilfried Storch zu seinem Nachfolger Jürgen Schröter hegt, nicht. In einem Brief an diese Zeitung schreibt er, Schröter sei ein Wendehals – früher Kapitalismusgegner, heute ein Kapitalismusbefürworter. Der einstmals angeblich 300-prozentige DDR-Staatsdiener habe heute seine jahrelange politische Gesinnung abgelegt. Starker Tobak, abgeschickt eine Woche vor der Kommunalwahl im Mai, nach der Schröter nun CDU-Kreisrat ist. Storch schrieb, dem Wähler müsse „reiner Wein eingeschenkt werden“. Der Brief sollte Jürgen Schröter diskreditieren.

Es gibt ein Foto vom Mai 1989. Es zeigt den letzten soeben gewählten Rat des Kreises Hoyerswerda. Darauf ist unter anderem Jürgen Schröter abgebildet. Er war nach seiner Bürgermeisterzeit in Seidewinkel in der Behörde, die etwa einem Landratsamt entsprach, von 1983 bis 1990 Ratsmitglied für Jugendfragen, Körperkultur und Sport. Das Foto zeigt zum Beispiel auch Horst-Dieter Brähmig, der zwischen 1995 und 2006 Oberbürgermeister war. Es zeigt auch Evelin Hüselitz, die lange das Arbeitsamt Hoyerswerda leitete. Und es zeigt zum Beispiel Petra Heine und Ratschef Heinz Auerswald, die in den 90ern im Stadtrat saßen.

Vor ein paar Jahren erschien ein Buch von Gunnar Hinck über „Eliten in Ostdeutschland“. Die, die nach der friedlichen Revolution wichtige Positionen oder Funktionen besetzen, werden darin in drei Gruppen eingeteilt: Seiteneinsteiger, westdeutsche „Aufbauhelfer“ und – ehemalige DDR-Funktionsträger, die 1989 jung genug waren, sich auf die veränderten Verhältnisse einzustellen, und alt genug, um Organisationserfahrung zu besitzen. Denn auf die kommt es stets an. „Ich habe nur versucht, mich einzubringen“, sagt Jürgen Schröter. Damals wie heute gehe es weniger um Parteipolitik als um konkrete Sachfragen.

Schröter hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er von 1974 bis 1989 Mitglied der Staatspartei SED war. Diese Angabe fand sich 2006 in einem Werbeblatt zu seiner Oberbürgermeister-Kandidatur ebenso wie der komplette Berufsweg. Und Schröter findet nach wie vor nicht alles falsch, was zu DDR-Zeiten Standard war. „Bestimmte Dinge wie die Kinderbetreuung oder das Sozialsystem waren besser als heute“, sagt er. Den früheren Ratschef Heinz Auerswald achtet er bis heute. „Er war eine Vaterfigur für mich“, erklärt der 64-Jährige. Schröter hat auch kein Problem damit, die Gründe für seinen Eintritt in die CDU 2011 zu erläutern. Er hat viel mit dem Landtagsabgeordneten Frank Hirche zu tun, einem persönlichen Freund Schröters. Er hat ihn mehr oder weniger geworben.

„Mir gefällt, wie offen und ehrlich er Sachen anpackt“, sagt Schröter. Hirches Werben gab er allerdings erst nach, als er die Tätigkeit in der Stadtverwaltung hinter sich hatte, wo er nacheinander Kultur-, Grünflächen-, Haupt- und Jugendamt geleitet hat. Er habe, sagt er, nicht dem Vorwurf begegnen wollen, dass ein Partei-Eintritt sein berufliches Fortkommen sichern soll. Diesen Vorwurf hatte ihm Wilfried Storch gemacht: Schröter sei nur auf sein persönliches Wohl bedacht. Dass der langjährige Chef des Stadtsportbundes noch heute als Schatzmeister von dessen Förderverein, als Schatzmeister beim Lausitzer Handballverein sowie als Vorstandsmitglied im Traditionsverein Schwarze Pumpe im Ehrenamt sicher mehr Amt als Ehre hat, scheint dazu aber nicht zu passen.

Die Theorie, dass die CDU in Sachsen ebenso wie die SED in der Endphase der DDR eher eine Funktionspartei ist, in der es vorrangig um Ressourcen-Verteilung geht, aber weniger um ideologische Lehrsätze, kann Jürgen Schröter zumindest zum Teil nachvollziehen. Zur positiven Umschreibung, es gehe in beiden Fällen um das Funktionieren des Gemeinwesens Kommune, nickt er. Im Raum steht hier das Bild des „Sich-in-die-Pflicht-nehmen-Lassens“. Und Menschen bewusst zu schädigen sei damals ebenso ein Tabu für ihn gewesen, wie es heute eines sei. „Ich sehe immer die Sache an sich“, erklärt der frisch gewählte CDU-Kreisrat über sein gesellschaftliches Engagement, das 1966 als Übungsleiter im Sport begann. Seine Frau hofft, dass es 2019 als Kreisrat endet. Sie hätte ganz gern mehr Zeit mit ihm.

Jürgen Schröter – Lebensstationen
1950: geboren in Reinsdorf/Unstrut (Thüringen)
1970: Abschluss Lehre als Chemieanlagenbauer, drei Jahre NVA-Dienst
1974: Eintritt in die SED zum Studienbeginn
1977: Abschluss Studium Staat und Recht, ein Jahr Instrukteur beim Rat des Kreises Hoyerswerda
1978-82 Bürgermeister der Gemeinde Seidewinkel
1983-90: Ratsmitglied beim Rat des Kreises
1989: SED-Austrittp 1990-95 Leitender Mitarbeiter des Landratsamtes
1993-2010 Präsident von Kreis- bzw. Stadtsportbund Hoyerswerda
1996-2011 Leitender Mitarbeiter der Stadtverwaltung Hoyerswerda
1999: Übergangsgeschäftsführer des Lausitzbades Hoyerswerda
2002-06: Wahlleiter der Stadt Hoyerswerda
2006: Kandidatur bei der Oberbürgermeisterwahl als Unabhängiger
2011: Eintritt in die CDU
2013: Vorstandsmitglied beim Handballverein LHV
2014: Kreisrat



Zurück

Einen Kommentar schreiben

Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.

Bitte rechnen Sie 9 plus 4.