Vor 35 Jahren begann die Ära eines Dreifach-Erfolges


von Tageblatt-Redaktion

Rennen in Lohsa - Roland Richter führt vor seinem Sportfreund, Clubkameraden und eigentlich ja Piloten Günter Raßmussen das Feld an. Später widmete sich Richter vor allem der Mechanik an Raßmussens Kart.
Rennen in Lohsa - Roland Richter führt vor seinem Sportfreund, Clubkameraden und eigentlich ja Piloten Günter Raßmussen das Feld an. Später widmete sich Richter vor allem der Mechanik an Raßmussens Kart.

Von Uwe Jordan

"Nö! Damit soll ich Rennen fahren? Nö!“ Der 17-jährige Günter Raßmussen, fest geplant als Fahrer des wunderwunderschönen nagelneuen K-Wagens, will plötzlich nicht mehr. „Mir hat auf einmal die Traute gefehlt“, gibt der heute 68-jährige Hoyerswerdaer lächelnd zu. Dabei hat er eine Menge Zeit investiert, als sie 1962/63 im KIB, dem Kraftfahrzeug-Instandsetzungs-Betrieb Hoyerswerda, einen Rennwagen gebaut haben; allen voran Meister Sonneberger, ein Motorsportfanatiker. Aus Schrottteilen, einer 311er-Wartburg-Motorhaube sowie einem Zündmagneten der AWO-Sport als technischer Krönung, also aus dem Nichts, ist ein K-Wagen entstanden. So weit, so gut, so schön – doch selber fahren? Nein; das nun denn doch nicht!

Sonderlich böse dürften ihm die Mit-Enthusiasten nicht gewesen sein. Es gab vier, fünf Bewerber um den Platz im Cockpit, das einem in heutigen Rennwagen in fast nichts ähnelt. Oft genug wird das Gefährt mit wechselnden Nummern von mehreren Piloten in verschiedenen Wettbewerben genutzt. Günter Raßmussen bleibt gerne Helfer und Mechaniker. Erlebt mit, wie „sein“ Wagen unter Volker Häußler bei seiner Renn-Premiere am 26. Mai 1963 auf Anhieb einen zweiten Platz herausfährt. Aber selber einsteigen? Nö!Am besten versteht er sich mit Roland Richter. Der schraubt auch. Für Klaus Schurig; das Idol der hiesigen motorsportbegeisterten Jugend, DDR-Meister von 1965. Allmählich findet Günter, mittlerweile verheiratet und Vater, Gefallen an der Sache nicht nur am Streckenrand. Dann gibt es zwei Zäsuren. Eine ganz bittere: Am 20. August 1968 verunglückt Klaus Schurig im ungarischen Szeged in einem völlig bedeutungslosen Rennen tödlich (*). Dann muss Roland Richter zur Armee. Grundwehrdienst. Er übersteht’s und kommt zurück; auch an die Rennstrecken.Für Richter steht fest: Er will das fortsetzen, was die beiden gemeinsam begonnen haben. Er organisiert sich einen völlig neuen Rennwagen; einen der neuen Generation, die nicht mehr mit den großen Hochrädern ausgestattet sind, sondern mit den kleinen, viel günstigeren, wie sie heute noch im Kartsport verwendet werden. Dieses Auto ist der entscheidende Punkt beim Sinneswandel von Günter Raßmussen. Er streicht behutsam über einen lackschwarzen, grip-verheißend „klebrigen“ Reifen und sagt leise: „So einen würde ich mal fahren wollen.“ Roland Richters Reaktion: „Das können wir haben.“ Denn in Mortka, in der dortigen Werkstatt, steht das vorletzte Modell, mit dem Klaus Schurig angetreten war. Der Wagen sollte als Erinnerungsstück unangetastet bleiben, aber beide glauben (zu Recht), dass es für einen Rennwagen und seinen Vorbesitzer eine bessere Ehrerweisung ist, wenn sein Auto wieder auf den Strecken auftaucht. Zwar hat das Schurig-Modell noch große Räder, aber mit irgendetwas muss man, also Raßmussen, ja beginnen, muss sein Talent beweisen, um später technisch Neuestes anvertraut zu bekommen. Raßmussen willigt ein.

Sein erstes Rennen bestreitet er 1973 für den MC Lohsa als Anfänger in der Leistungsklasse II, in der Rennserie DDR-Besten-Ermittlung, der Zweiten Liga des Kartsports. In Friedersdorf bei Berlin muss er sich auf einer Art Radrennbahn mit überhöhten Kurven bewähren. „Ich war noch nie unter Wettkampfbedingungen gefahren, aber im Zeittraining reichte es für einen Platz in der ersten Reihe.“ Doch der Herr lässt die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Defekt im Rennen. Günter Raßmussen ist wütend: Wie kann denn an einem K-Wagen etwas kaputtgehen? (Er sollte später noch oft Gelegenheit bekommen, die verwunderlichsten Störungen kennen zu lernen, bis hin zu einem Kieselstein im Vergaser. Eigentlich vollkommen unmöglich. Aber in der Praxis, also uneigentlich, eben doch.) Einige laute Flüche-Serien später war der Ehrgeiz erst recht angefacht.Aber Roland Richter ist ein strenger Mentor: „Wo du bei schwacher Konkurrenz leicht gewinnst, fährst du mir nicht. Du sollst ja was lernen!“ Also die Mühen der Ebene. Fünf Rennen später kam die erste große Stunde: Heim-Veranstaltung in Lohsa! Betreuer Siegfried Kahl lobt eine Art Prämie aus: „Wenn du mit deinem alten Hochrader hier mindestens Fünfter wirst, kriegst du einen Wagen mit kleinen Rädern; ich weiß, wer einen verkauft.“ Raßmussen wurde Fünfter inmitten technisch überlegener Konkurrenz. Der Wagen wird gekauft und mit den Schurig-Motoren bestückt: Vierganggetriebe und ES- beziehungsweise RT-Gehäuse. „Die gingen richtig gut.“ Auch außerhalb Lohsas wird man auf den Neuen aufmerksam.

Die Weinböhlaer Kartsport- und Bastler-Legende Lutz Döpmann († 2012) arbeitet an einer neuen Motoren-Generation mit großen Gehäusen. Ein Nullserien-Exemplar überlässt er Raßmussen. Der Hoyerswerdaer setzt den neuen Vortrieb erstmals in Harzgerode ein. Die Strecke war furchtbar, wie der Schweizer Bremgartenwald: eine eng baumgesäumte Kopfsteinpflaster-Bahn. Der Motor streikt. Wird über Nacht in einer Dorfschmiede wieder funktionstüchtig gemacht. Und Raßmussen: gewinnt! Die DDR-Serie seiner Leistungsklasse II schließt er als Dritter ab. Im ersten Rennfahrer-Jahr. Heißt: Er kann 1974 nicht nur in der Leistungsklasse I antreten, der Ersten Liga, in der der DDR-Meister ermittelt wird; er darf auch international fahren. Zwar noch nicht als Mitglied der DDR-Nationalmannschaft, sondern nur als Solist, aber immerhin. Im ungarischen Dunaújváros stellt er fest, dass er mit der (ost)europäischen Elite mithalten kann. Da er die DDR-Meisterschaft als Dritter abschließt, hat er sich für 1975 einen Platz im Nationalkader erkämpft. Nur ein Titel fehlt ihm noch. Der des DDR-Meisters. Den wird er aber so schnell nicht erringen. 1975 wird er Zweiter hinter dem Lauchhammeraner Klaus Hentschel.

1976 wird er Zweiter hinter dem Lauchhammeraner Klaus Hentschel. Aber: es ist anders als im Vorjahr. Nach dem Ende der Saison streichen die Offiziellen das Rennen in Schwedt, das Raßmussen gewonnen hatte, komplett aus dem Kalender – wegen irgendwelcher nicht näher erläuterter Regel-Nichtkonformitäten der Strecke. Damit streichen sie Raßmussen die Punkte zur schon sicher geglaubten Meisterschaft.Raßmussen wechselt nach Lauchhammer. Denn Lohsa hat schon vier Fahrer „unter Vertrag“, in Lauchhammer aber wird durch das Karriere-Ende von Karl Heinz Genz die Nr. 2 frei. Da sind die materiellen Bedingungen besser. Doch 1977 wird ein Seuchenjahr. Die Umstellung von Zschopauer MZ- auf tschechische CZ-Motoren gelingt anderen besser. Günter Raßmussen wirft schließlich sogar Lutz Döpmann sein Triebwerk vor die Füße. Dann nimmt er es doch wieder mit. Aber der 4. Platz in der Endabrechnung ist sein schlechtestes Meisterschafts-Ergebnis all dieser Jahre.1978 gibt es ein Déjà-vu: Der CZ hat sich eingespielt, drei Läufe sind gewonnen und im vierten, in Lohsa, ist Raßmussen zwischenzeitlich Zweiter: Vor ihm liegt „nur“ ein Gaststarter; jemand, der einzelne Rennen, aber nicht die gesamte Serie dabei ist und daher laut Regelwerk wohl den Pokal des Rennens, aber keine Meisterschafts-Punkte erhalten kann. Raßmussen hat von Roland Richter, eingedenk der Schurig-Tragödie, dies gelernt: „Spar’ dir Extravaganzen; bedeutungslose Pokalläufe und riskante Positionskämpfe, die unterm Strich nichts bringen. Tue das Nötige – und tue es richtig.“ Raßmussen hält also den zur Meisterschaft reichenden Platz, attackiert nicht nach vorn. Er tut das Nötige. Aber, denkste: Später entscheiden die Offiziellen entgegen der Satzung: Der Gastfahrer erhält Punkte! Da die Plätze hinter dem Sieger abgestuft weniger Zähler bekommen, fehlen Günter Raßmussen in der Endabrechnung genau jene drei Pünktchen. Wieder Vize ...

Doch jede Serie endet einmal. 1979, 1980 und 1981 holt Günter Raßmussen den Titel; 1981 wird er auf Vorschlag von Siegfried Kahl „Meister des Sports“, eine der höchsten Auszeichnungen, die die DDR in dieser Sparte vergeben kann. Im selben Jahr wird Turn-Legende Maxi Gnauck neben Günter Raßmussen solcherart geadelt.1982 hört er als Aktiver auf, denn nun kommen neue Reifentypen auf den Markt. „Die Zeit, die man mit anderen Reifen einbüßte, konnte man mit Chassis und Motor nicht wettmachen.“ Besagte konkurrenzfähige Reifen kosteten pro Satz 400 Mark. West! Aber wer hatte die? Und als Meister chancenlos hinterherfahren? Dann lieber ein Abschied in Würde! Wobei: Abschied stimmt nicht, denn Raßmussen wird Mechaniker der DDR-Kart-Nationalmannschaft; später, bis zur Wende, Mannschaftsleiter („harter Tobak“). Das wäre dann schon wieder eine Extra-Geschichte wert.

P.S.: Hier war weniger von Siegen und Triumphen die Rede als von Schwierigkeiten, Pechsträhnen und Ungerechtigkeiten. Aber genau das ist die Geschichte hinter jedem wirklich großen Sportler: Talent alleine genügt nicht, und Fortuna ist vielleicht einmal gnädig, aber zehn Mal hartherzig. Erfolge wollen mit Hartnäckigkeit, Selbstüberwindung, Ausdauer und stetem Training erkämpft sein – und es braucht Freunde. Im Motorsport in ganz besonderem Maße, aber vor allem: im Leben selbst.

* = Am 10. August 2013 erinnerte TAGEBLATT mit einer Extra-Seite (10) ehrend an Klaus Schurig. 



Zurück

Einen Kommentar schreiben

Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.

Was ist die Summe aus 1 und 4?