Von industriellem Bauen und Kaufen


von Tageblatt-Redaktion

Hier findet Ulrich Thormann es schön: Den kleinen Gartenteich auf dem Gelände des Qualifizierungs- und Trainings- Zentrums QTZ im Industriegelände.
Hier findet Ulrich Thormann es schön: Den kleinen Gartenteich auf dem Gelände des Qualifizierungs- und Trainings- Zentrums QTZ im Industriegelände.

Von Mirko Kolodziej

Am Geburtsort eines Großteils der Hoyerswerdaer Neustadt fühlt Ulrich Thormann sich wohl. Das Qualifizierungs- und Trainingszentrum QTZ befindet sich im früheren Betonwerk, wo man einst industriell die Bestandteile für Plattenbauten fertigte. Angetan hat es dem 68-jährigen Thormann der Außenbereich der „Kantine“, die das ist, wonach sie heißt. „Hier ist es grün, man hat Bäume und diesen sehr schönen Teich, man sieht etwas von der Geschichte des Ortes. Es gibt sogar Bänke, um sich draußen hinzusetzen – und man sieht hier vor allem keine Automassen“, schwärmt Thormann.

Der Hamburger Architekt ist seit November in der Stadt. Das hat mit dem Haus August-Bebel-Straße 6 zu tun. Es gehörte einst seiner Urgroßtante, der Frau von Museumsgründer und Ehrenbürger Otto Damerau (1877 - 1961). Die Geschichte dazu ist verzwickt. Thormann erbte einst ein Sechstel des Gebäudes. Dann ersteigerte er den Rest. Nun hat er sich mit dem darin wohnenden Ehepaar auf die Sanierung der vier vorhandenen Wohnungen verständigt.

Seit November wird gebaut. Der Architekt packt teils selbst an, teils vergibt er Aufträge. „Die Handwerker hier sind alle wunderbar. Das ist eine schöne Überraschung“, sagt Thormann. Im Herbst soll alles fertig sein. Dann müssen nur noch Mieter gefunden werden. In der Altstadt wird das sicher nicht schwer werden.

Weil Ulrich Thormann mehr oder weniger zur Arbeit in Hoyerswerda ist, sieht er sonst nicht viel. Neben dem QTZ mag er besonders KuFa und Kunstverein. Und dann muss er als tätiger Bauherr häufiger zum Globus – aus seiner Sicht leider. Von einer „ästhetischen Anstrengung“ schreibt er in einem Hoyerswerda-Tagebuch für seine Kinder. So etwas wie Globus kennt Thormann aus Hamburg nicht. „Da sind genügend Leute, dass es auch kleiner geht“, sagt er. Die „lange Blechfassade des Globus ohne einladende Fenster und vor allem ohne Sehnsucht nach dem Schönen“ geht ihm auf den Keks. „Apparat“ nennt er die rund 6 000 Quadratmeter überdachte Handelsfläche, die Perfektion der industriellen Versorgung ohne großen gestalterischen Anspruch. „Visuell ist alles tot. Sinnliches Vergnügen wird so abgestumpft.“

Ulrich Thormann denkt in diesen Tagen oft an seine Tante Liesel in Boxberg. Als Kind war er häufig dort. Seinen Kindern schildert er das Eier-Suchen im Stall und den Einkauf in der Dorf-HO – ohne lange Kassenschlange, ohne schwere Taschen und vor allem in Kürze. Am Globus dagegen hat er beobachtet, wie der Konsum heute Zeit frisst, wie er zur Zeremonie wird. „Da reisen Leute an wie zu einem Camping-Urlaub, einem Freizeit-Event“, wundert sich der Architekt.

Die Größe des Parkplatzes erschreckt ihn jedes Mal. Doch Thormann will gar nicht so sehr über den Einzelfall schimpfen. Es geht ihm mehr um das, wofür er ihm beispielhaft steht: totalen Konsum. „Gebaute Rücksichtslosigkeit“ von heutigem Einzelhandel zeige: „Hier geht es ums Kaufen und um sonst nichts.“ Da ist Hoyerswerda nicht Ausnahme, sondern Mainstream. An vielen Stellen in vielen Städten spielt es nach Thormanns Beobachtung mittlerweile keine Rolle mehr, ob eine Gestaltung, ob eine Funktion dem jeweiligen Ort auch angemessen ist.

Ulrich Thormann fragt sich, was es eigentlich über uns aussagt, dass so eine Konsum-Maschine wie der Globus für viele Leute der wimmelige Mittelpunkt des Lebens in Hoyerswerda zu sein scheint, während die von ihm als „sympathisch, unkapriziös, einfach und nicht muffig“ empfundene Altstadt im Schnitt mit deutlich weniger Menschen auskommen muss. Er fragt sich, ob freundliche Verkäuferinnen nicht lieber in weniger funktionellen als vielmehr ebenfalls freundlichen Gebäuden arbeiten würden. Das wünscht er zum Beispiel der netten Dame, die am Globus die 1-Euro-Bratwürstchen verkauft. Das erzählt er bei einem Essen an der „Kantine“, wo im Gartenteich die Frösche quaken. Der Tümpel strahlt aus Sicht des Ästheten Thormann das aus, was man ihm beim Einkauf im Globus immer aus Lautsprechern verkündet: „Da ist die Welt noch in Ordnung.“



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