Von den Christen in Frankreich lernen


von Tageblatt-Redaktion

Zum Weltgebetstag findet heute um 14 Uhr ein Seniorennachmittag im Martin-Luther-King-Haus in der Bonhoefferstraße statt. Um 19 Uhr folgt der Hauptgottesdienst an gleicher Stelle.
Zum Weltgebetstag findet heute um 14 Uhr ein Seniorennachmittag im Martin-Luther-King-Haus in der Bonhoefferstraße statt. Um 19 Uhr folgt der Hauptgottesdienst an gleicher Stelle.

Traditionell am ersten Freitag im März ist Weltgebetstag. Er gilt als größte ökumenische Basisbewegung von Christinnen weltweit. In über 170 Ländern organisieren Frauen diesen Tag. Er ist offen für alle. Durch Gebet, Gesang, Tanz, Landeskunde und urtypische Speisen entdecken die Teilnehmer das Themenland. Dies ist diesmal Frankreich. „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“, nimmt das Thema Bezug auf die Bibel. Über Vorbereitung und Inhalt und die verbindende Kraft des Gebetes sprach TAGEBLATT mit Antje Kruse-Michel, Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Hoyerswerda-Neustadt.

Frau Kruse-Michel, wie intensiv bereitet die Kirchengemeinde derzeit den Weltgebetstag vor?
Jährlich gibt es ein Vorbereitungskomitee. Rund 15 Frauen engagieren sich aktuell. Sie kommen aus unserer Gemeinde, aus der evangelischen Johanneskirchen-Gemeinde und aus der katholischen Gemeinde. Dieses Jahr bringen sich auch Mitarbeiterinnen des Diakonie-Sozialwerks Lausitz ein. Aber auch in allen umliegenden Orten werden ökumenische Gottesdienste gefeiert. Dazu gab es am 12. Januar die regionale Weltgebetstags-Werkstatt in Hoyerswerda. Leitmotiv eines jeden Weltgebetstags ist stets „Informiert beten – betend handeln“.

Wofür steht das diesjährige Thema „Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen“?
Es geht um das Thema Migration. Zwei wunderbare Bibeltexte werden uns in Herz und Sinn geführt. Im Heiligkeitsgesetz im dritten Buch Mose Kapitel 19 (Altes Testament) werden wir erinnert, dass wir zu Gott gehören und heilig sind. Fremde Mitbürger sollen wir genauso lieben wie unseresgleichen. In Matthäus 25 (Neues Testament) sagt Jesus : „Ich war ein Ausländer unter euch. Und ihr habt mich aufgenommen. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich beherbergt und mir ein zu Hause gegeben“. Diese Botschaft ist hochaktuell.

Inwieweit?
Jesus identifiziert sich mit den Bedürftigen und mit den Fremden. Jesus sagt: „Was ihr für nur einen einzigen bedürftigen Menschen getan habt, das habt ihr mir getan.“ Fremde aufnehmen heißt Gott beheimaten. Diesen Zusammenhang stellt Jesus in den Raum unseres Lebens.

Steht gerade Frankreich exemplarisch für Migration?
In Europa ja. Gerade Frankreich nimmt seit je her viele Einwanderer auf. Wir wollen auf die Wurzeln, die Entwicklung, die Auswirkungen und Folgen der Migration eingehen. Natürlich auch auf die Spannungen. Im Gottesdienst geht es auch um die Sprache, Lebensart und Kultur in Frankreich. Ebenso um Taizé. Wir werden auch einen bretonischen Volkstanz, den „Andro Retourné“, tanzen.

Wie wichtig ist den Franzosen der Glauben?
Nach Schätzungen sind 62 Prozent der Franzosen römisch-katholisch, zwei Prozent protestantisch, ein Prozent jüdisch, sechs Prozent muslimisch und ein Prozent buddhistisch. 27 Prozent der Franzosen bezeichnen sich bewusst als nicht religiös.

Wie tief verwurzelt ist Glauben im Alltag?
Das ist allgemein schwer zu sagen. Es gibt eine stark ausgeprägte Laizität. Das heißt: Staat und Kirche sind strikt getrennt. Religion ist in Frankreich weitgehend Privatsache. Es gibt keine Kirchensteuer und keinen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, außer im Elsass. Das schrieb schon das Gesetz 1905 fest. Die Suche und Sehnsucht nach Transzendenz und Spiritualität sind dennoch stark. Es gibt für viele einen Flickenteppich an Religion. Sie basteln sich ihren eigenen Glauben aus verschiedenen Religionen zusammen. Bedingt durch die Geschichte stehen sie dem christlichen Glauben sehr kritisch gegenüber. Denn oft verbündete sich die katholische Kirche mit den Mächtigen.

Hält sich der Staat völlig heraus aus der Religion?
Nicht völlig. Der Staat unterstützt den Erhalt von Kirchengebäuden. Er gibt auch steuerliche Vergünstigungen für Kirchen. Er finanziert die Seelsorge in Gefängnis und Militär. Doch anders als bei uns finanziert er keine Gehälter. Ausnahme ist nur Elsass-Lothringen.

Wie ist die Lage der Frauen in Frankreich?
Als Mutter berufstätig zu sein, ist normal. Frankreich hat mit 2,3 Kindern pro Frau die höchste Geburtenrate in Europa. Es gibt ein gut ausgebautes Betreuungssystem vom Kindergarten bis hin zur Schule. Es gibt finanzielle Vergünstigungen für Familien. Grundsätzlich ist Familie, ist Gleichberechtigung ein hohes Gut. Dennoch lastet natürlich auf den Frauen auch hoher Druck. Sie müssen Beruf und Familie verbinden. Fakt ist auch: trotz insgesamt besserer Schulleistungen verdienen Frauen noch immer im Schnitt 25 Prozent weniger als Männer. Hier gibt es noch viele Probleme, wo es zu kämpfen gilt.

Wem konkret kommt die Kollekte zum Weltgebetstag zugute?
Die Kollekte fließt traditionell in Hilfsprojekte für Frauen weltweit. In Frankreich unterstützt sie zum Beispiel die Initiative CASAS für Asylsuchende Familien. Hier geht es um Sprachkurse, Integrationskurse, ebenso um das Ausfüllen der Asylanträge. Ein anderes Projekt ist die Frauen-Kooperative zur Cashewnuss-Ernte in Benin. Die Frauen dort sollen ein gerechteres Einkommen erhalten. Nur so können sie ihre Familien ernähren. Ein weiteres Projekt ist ein Therapie- und Bildungszentrum in Bosnien. Es betreut im Krieg vergewaltigte und traumatisierte Frauen.

Wie wichtig ist Ihnen ganz persönlich der Weltgebetstag?
Der Weltgebetstag offenbart uns die Schätze des Glaubens. Spannend ist zu erfahren, wie Christinnen in anderen Ländern ihren Glauben leben und behaupten. Wir erfahren von ihren Sorgen, Nöten und Hoffnungen. Mit Frankreich verbinde ich zum Beispiel die engagierte Christin Madeleine Delbrêl. Sie lebte in den 1930er und 1940er Jahren im armen kommunistischen Arbeiterviertel Ivry, in einem Vorort von Paris. Sie engagierte sich für die Armen, unterstützte auch Kriegsflüchtlinge in tätiger Nächstenliebe. Sie wurde in ihrem Tun Christin. Sie nahm Fremde offenherzig und tolerant auf. Genau dies ist Botschaft des diesjährigen Weltgebetstages: Indem ich Fremde aufnehme bei mir, begegne ich Christus. So kann ich zu gelebtem Glauben finden.

Gespräch: Andreas Kirschke
Kontakt zur Gemeinde: Tel. 03571 972073



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