Vom Nil an die Schwarze Elster

Von Mirko Kolodziej
Ganz genau kann sich Ihab Jacoob daran erinnern, wie im November vor 26 Jahren die Berliner Grenzanlagen plötzlich Löcher bekamen. „Ich bin damals auf die Mauer geklettert“, sagt der 54-Jährige. Er war dabei, als 1989 in Berlin Weltgeschichte geschrieben wurde. Dabei ist er am Nil aufgewachsen. Denn Ihab Jacoob stammt aus dem ägyptischen Al-Minyã. Zwischen 1989 und 1991 studierte er allerdings Geologie an der Technischen Universität in West-Berlin. „Die Ost-Berliner haben uns damals mit Bratwurst und Glühwein begrüßt“, erinnert er sich an 1989.
Ende Oktober erlebte Ihab Jacoob wieder eine sehr freundliche Begrüßung, dieses Mal in Hoyerswerda. Er arbeitet neuerdings im Asylbewerberwohnheim an der Thomas-Müntzer-Straße. Eine Internet-Anzeige der Arbeiterwohlfahrt Lausitz, die das Haus betreibt, hatte ihn neugierig gemacht. „Sie klang außerordentlich interessant, war sehr gut geschrieben“, sagt er. Nach dem ersten Telefonat mit Awo-Chef Torsten Ruban-Zeh hatte Ihab Jacoob das Gefühl, dass man ihn in Hoyerswerda wirklich haben wollte. Die möglichen Vorbehalte, die man gleich mitdenkt, hatte er nicht.
„Ehrlich gesagt wusste ich nichts davon, bis Herr Ruban-Zeh mir davon erzählt hat“, sagt der 54-Jährige nämlich über die pogromartige Gewalt gegen Ausländer, die sich im Herbst 1991 in Hoyerswerda entlud. Und als er davon erfahren hatte? „Ich dachte, ich probiere es trotzdem!“ Immerhin: In der Gegend war Ihab Jacoob schon einmal: Denn nach dem Studium arbeitete er für ein Ingenieurbüro, das Anfang der 90er die deutsch-polnische Grenze vermessen hat. Wenn ihn in den letzten Tagen also ein Neuankömmling im Kühnichter Wohnheim etwas irritiert gefragt hat, wo er denn eigentlich gelandet sei, antwortete der Geologe: „In der Nähe der polnischen und der tschechischen Grenze.“
Bei der Awo ist man froh, dass Ihab Jacoob sich für Hoyerswerda entschieden hat. Denn natürlich beherrscht er Arabisch, das auch Syrer, die derzeit drei Viertel der momentan 300 Hausbewohner ausmachen, als Muttersprache sprechen. „Manches geht natürlich mit Händen und Füßen. Aber es ist schwierig“, sagt der kommissarische Hausleiter Jörg Löffler. Torsten Ruban-Zeh und er waren daher schon sehr dankbar, dass das Bündnis „Hoyerswerda hilft mit Herz“ mit der Wohnheimeröffnung einen Tunesier, einen Pakistaner und einen Syrer, die schon länger in der Stadt sind, als Dolmetscher vermittelt hat. Inzwischen sind auch die Deutsch-Kurse für die Flüchtlinge von der Müntzerstraße angelaufen. Das betrifft sowohl staatliche Kurse als auch Angebote der Ehrenamtler vom Bürgerbündnis. Man wird von manchem Hausbewohner also schon mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßt.
Ihab Jacoob ist gewissermaßen Jörg Löfflers Ablösung. Denn der derzeitige Hausleiter wird dringend auf seinem eigentlichen Posten beim Awo-Gebäudemanagement benötigt. Doch die Übergabe ist nicht einfach. Das Haus ist eigentlich noch eine Notunterkunft. Man wartet nicht nur auf so manche bestellte Möbel, sondern muss auch so etwas wie den normalen Betrieb erst organisieren. Dazu ist Ihab Jacoob viel im Haus unterwegs - nicht nur als Deutschland-Lotse oder Dokumenten-Dolmetscher, sondern auch als Seelentröster. „Manche Flüchtlinge haben wirklich Dramatisches erlebt“, sagt er. Seine Tage haben nicht selten zwölf Stunden. Aber das gilt eigentlich für alle Awo-Mitarbeiter, die im und mit dem Wohnheim zu tun haben.
Mit Ihab Jacoob hat die Awo sich einen vielseitigen Mann geholt. Er spricht nicht nur Deutsch und Arabisch, sondern neben Englisch und Französisch auch Altgriechisch. Denn der 54-Jährige ist koptischer Christ und in der koptischen Kirche ist Altgriechisch Bestandteil der religiösen Liturgie. Obwohl er von Haus aus Geologe ist, hat er auch schon als Mathematik- und Physiklehrer gearbeitet. Er sagt, das Soziale, der Kontakt mit Menschen, lägen ihm. In Hoyerswerda hat er eine Herausforderung angenommen. „Es gibt noch Einiges zu tun“, sagt er über das Wohnheim sowie über die dort lebenden Menschen.
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