Veränderung nicht problematisieren, sondern Chancen erkennen


von Tageblatt-Redaktion

Stars wie Helena Vondrackova sind gern zu Gast in der Lausitzhalle - sie gilt als unverzichtbar
Stars wie Helena Vondrackova sind gern zu Gast in der Lausitzhalle - sie gilt als unverzichtbar

Nach dem gestrigen Auftakt unserer Reihe der Kommunalpolitischen Interviews zum Jahresende mit Hoyerswerdas Oberbürgermeister Stefan Skora nun das Gespräch mit Michael Harig (CDU), Landrat des Landkreises Bautzen.


Herr Harig – was war das erfreulichste und was das unerfreulichste Ereignis des Jahres 2012 im Landkreis Bautzen?
Es gab viele erfreuliche Ereignisse. Etwa die erfolgreich durchgeführte EUROPEADA, die Fußball-Europameisterschaft der Minderheiten. Gleiches gilt für die Entwicklung und die Investition der Firma YADOS in Hoyerswerda, die nunmehr 3. Auflage der Lausitzer Seenland-Messe in der Großen Kreisstadt oder auch den Bau der Pendlerparkplätze. Mit diesen soll erreicht werden, dass auswärtiges Arbeiten und Wohnen im Landkreis zwei Seiten derselben Medaille sein können. Vieles wäre noch zu nennen, aber nehmen wir nur noch kurz Hoyerswerda. Hier ist es gelungen, für das Dach der Jahn-Sporthalle Fördermittel zu erhalten. Die Grundschule „An der Elster“ wurde fertiggestellt; setzt Maßstäbe, die nirgends im Landkreis übertroffen werden. Das Projekt Braugasse 1 geht voran, weil es Hoyerswerda geschafft hat, in wenigen Jahren den Haushaltsfehlbetrag um zehn Millionen Euro zu senken. Meine Aufzählung wäre viel länger, würde ich den gesamten Kreis beschreiben. Aber das Leben ist nicht nur Sonnenschein. Die Schließung der Firmen ARISE Bischofswerda und Schücko Großröhrsdorf sind Rückschläge. Ähnliches gilt für den Umstand, dass wir wegen technischer Probleme die integrierte Regionalleitstelle Ostsachsen in Hoyerswerda noch nicht ganz in Dienst stellen konnten. Aber das erfolgt nun in wenigen Monaten.


Wie sehen Sie den Landkreis Bautzen in Sachsen aufgestellt?
Der Landkreis Bautzen ist leistungsstark. Im Industrie-und-Handelskammer-Bezirk Dresden nehmen die Umsätze der verarbeitenden Industrie die Spitzenstellung ein. So wird im Landkreis mehr erwirtschaftet als in den anderen Landkreisen und selbst in der Landeshauptstadt. Und das, obwohl Dresden 200.000 Einwohner mehr hat. Aber auch sonst sind wir gut aufgestellt. Das betrifft die Verwaltungsstandorte des Landkreises ebenso wie unsere Städte und Gemeinden. In Sachsen schaut man im positiven Sinne auf unseren Kreis.


Einige der heftigsten Diskussionen in der Politik wurden um das Thema Kultur geführt, speziell die Zuwendungen des Kulturraums Oberlausitz/ Niederschlesien. Welche Förderpolitik sollte er verfolgen?
Das Kulturraumgesetz war zur Zeit seiner Erschaffung ein Orchester- und Theatergesetz. Da es insgesamt um überregional bedeutsame Kultur geht, wurden die Fördertatbestände erweitert. Heute werden neben der Darstellenden Kunst Museen und Bibliotheken, Zoos und Tierparks sowie diverse kulturelle Projekte gefördert. Das Kulturraumgesetz ist an sich eine positive Einrichtung. Viele Bundesländer beneiden uns darum. Problematisch ist der Umstand, dass die Mittel gedeckelt und die Verteilungsmaßstäbe immer wieder geändert werden. Da für die Kultureinrichtungen, wie für jeden privaten Haushalt auch, die Kosten wie Energie und Personal immer wieder steigen, stoßen wir beständig an diesen Deckel. Ich glaube, dass wir uns mehr als bisher auf Schwerpunkte konzentrieren müssen. Und diese bestehen aus den großen Einrichtungen in den größeren Städten. Ich weiß, dass dies die kleineren Städte und Gemeinden nicht gern hören. Wir müssen aber differenzieren, um unsere wichtigen Einrichtungen zu erhalten. Dazu zählen natürlich die Theater, der Zoo in Hoyerswerda, aber auch die Lausitzhalle. Auch die Diskussion, was wir uns in welcher Form unter dem Eindruck der Veränderungen leisten können, sollen und müssen, muss weitergeführt werden. Die größeren Städte und deren Kultureinrichtungen sollten mit den artgleichen Einrichtungen der umliegenden Gemeinden kooperieren und Unterstützung leisten. Da das Geld auch in Zukunft nicht mehr werden wird, benötigen wir eine andere Form der Zusammenarbeit.


Den Bürger hingegen bewegten vor allem Themen wie Müllgebühr und Schülertransport.
Natürlich nehmen wir die Sorgen und Bedenken sehr ernst. Es handelt sich hier um sehr komplexe Systeme, die sich in aller Regel bewährt haben. Es gibt Einzelfälle, wo das nicht so ist. So haben die Vermieter im Falle der Müllgebühren eine große Verantwortung, Verteilungsgerechtigkeit walten zu lassen. Mitunter wird die Verteilung der Kosten auf Quadratmeterbasis damit begründet, dass ein genaues Nachvollziehen der Veränderung der Haushaltsgrößen nicht oder nur mit großem Aufwand möglich ist. Dem ist durchaus zuzustimmen. Aber der Landkreis kann solches schon gar nicht leisten.
Der Schülerverkehr ist gut organisiert. Die Kinder werden sicher und mit modernen Bussen befördert. Auch das ist ein Wert, welcher bei der Diskussion um Wege und Zeiten manchmal zu kurz kommt. Auch im Vergleich mit anderen Landkreisen und Regionen sind wir insgesamt recht gut organisiert.


Was denken Sie zum Lauencenter Bautzen, gegen das sich ja auf Grund seiner Dimensionierung (die ja wohl immer noch nicht klar ist) einerseits Widerstand der Umland-Händler regt, andererseits auch Stadtplaner und Denkmalsschützer nicht restlos glücklich sind?
Der Handel leidet unter mindestens zwei Veränderungen. Einerseits geht heut vieles über das Internet; andererseits wollen viele Menschen sogenannte Einkaufswelten. Sehen Sie sich die Parkplätze am Elbepark oder der Dresdener Altmarktgalerie an, und Sie bekommen einen Eindruck davon, wohin unsere Kaufkraft geht. Vor diesem Hintergrund haben die Städte, insbesondere Bautzen, Hoyerswerda, Radeberg, Kamenz und auch Bischofswerda, eine große Verantwortung. Ich weiß natürlich um die Sorgen der Händler, die ich gut verstehe. Es geht aber nicht nur um das Heute, sondern um die Entwicklung unseres ländlichen Raumes in den nächsten 20 Jahren.

Was wünschen Sie Hoyerswerda für 2013?
Hoyerswerda wünsche ich ein weiteres Vorankommen bei der Anpassung der städtischen Strukturen und der Konsolidierung des Haushaltes. Nur das ist die Grundlage für eine weitere gute Entwicklung. Mit dem Fertigstellen der Braugasse 1 wird die Stadt an Attraktivität gewinnen. Ich glaube auch, dass das „JAMBO“ (die Zoogaststätte, d. Red.) wieder eine Zukunft haben wird.
Im nächsten Jahr geht mit der Eröffnung der schiffbaren Verbindung zwischen Senftenberger und Geierswalder See das Seenland in eine entscheidende Entwicklungsphase. Hier wird die Stadt weiterhin Verantwortung übernehmen. Ich würde mir vertiefende Gespräche mit der Gemeinde Elsterheide wünschen. Vielleicht erhält dadurch das Herz des Seenlandes eine Herzschlagader, die die gesamte Region erreicht. Natürlich hoffe ich, dass über die Oberbürgermeisterwahl hinaus der erfolgreiche Kurs der Stadt fortgeführt werden kann. Wir dürfen die Veränderungen nicht problematisieren. Es ist erforderlich, die Chancen zu erkennen.


Was würden Sie sich in der Arbeit des Kreistages (anders) wünschen – und wird es „Kreisbereisungen“ geben?
Ich bin mit der Arbeit des Kreistages sehr zufrieden. Wir werden mit den Kreistagssitzungen in Bautzen bleiben. Nicht gegen die Städte und Gemeinden, sondern im Sinne des Ablaufes in einem Gremium, welches fast 100 Mitglieder zählt.


Ein Wort zur Kreisumlage – wird sie weiter steigen und wenn ja: Nimmt das den Kommunen nicht noch mehr Gestaltungsspielräume von den wenigen, die sie jetzt eh schon nur noch haben?
Die Kreisumlage wird steigen. Das ist negativ, aber unveränderbar. Letzteres sage ich auch als Person, die selbst elf Jahre Verantwortung als Bürgermeister getragen hat. Aber: Das Kreisumlagenniveau im Freistaat Sachsen ist bundesweit das niedrigste! So gibt es Länder, wie Hessen, wo bis zu 70 % erhoben werden. Letzteres macht es uns so schwer, gegenüber dem Freistaat eine bessere Kommunalfinanzierung durchzusetzen. Wir haben einen Haushalt mit 32,7 % eingebracht. In Summe sind das etwa zwölf Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Wenn ich es mir leicht mache, sage ich, was der Kreis in seinen Städten und Gemeinden leistet: Sozialausgaben, Straßenbau, Schülerverkehr ... Aber so einfach ist es nicht. Insofern bin ich für jeden Hinweis offen, der zum Interessenausgleich führt. Der Landkreis hat kein Interesse an Städten und Gemeinden, die finanziell nicht mehr leistungsfähig sind. Die Städte und Gemeinden sollen aber auch Interesse an einem starken Landkreis haben.


Ein weiteres Problemfeld scheint die Personalausstattung der Freiwilligen Feuerwehren zu werden. Können wir uns dieses System noch leisten – oder wird die Stützpunktfeuerwehr die Wehr „auf jedem Dorf“ ersetzen?
Wir können uns glücklich schätzen, ein funktionierendes System Freiwilliger Feuerwehren zu haben. Das, was wir an unseren Kameraden haben, was sie im Kleinen wie im Großen leisten, ist mit Geld nicht zu bezahlen. Freilich macht auch darum die Demografie keinen Bogen. Es gibt bereits heute Ansätze, Einsatztechnik zu konzentrieren. Unabhängig davon darf nicht unterschätzt werden, dass gerade im ländlichen Raum Feuerwehr in den Ortsteilen wichtiger, teilweise wichtigster Kulturträger ist. Ehe es zu Stützpunkt-Wehren kommt, gibt es noch eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten, feuerwehrtechnische Schwerpunkte zu definieren und gleichzeitig die Ortsfeuerwehren nicht zu vernachlässigen. Wichtig sind Transportmöglichkeiten für die Kameraden aus den Ortschaften zu den jeweiligen Feuerwehrstützpunkten mit der entsprechenden Einsatztechnik.


Welches Argument fänden Sie, um jemandem einen Zuzug zum Landkreis Bautzen schmackhaft zu machen?
Wir sind ein schöner Landkreis. Wir sind ein starker Landkreis. Wir sind ein Landkreis, in dem schöpferische und bodenständige Menschen leben und arbeiten. Wir haben ein leistungsfähiges Schulsystem, eine gute Infrastruktur von Straßen bis hin zum modernen Breitband. Unsere Städte sind lebens- und liebenswert – und wir sind ein starkes Stück der Metropolregion Dresden im Dreiländereck zu Tschechien und Polen. Das Sorbische macht uns besonders, das Oberlausitz’sche im positiven Sinne eigen und das Kursächsische im Radeberger Raum zur Brücke in die Landeshauptstadt. Das Seenland ist einzigartig. Und Superlative gibt es noch mehr: der schärfste Senf, das beste Leinöl, das schmackhafteste Bier, die größte Molkerei, eine leistungsfähige (Land-) Wirtschaft ...


Apropos schmackhaft: Wenn Sie ein „Werbepaket“ mit bis zu zehn Artikeln versenden sollten, das die liebenswertesten und delikatesten Seiten des Landkreises Bautzen in fassliche Gestalt bringt – was wäre in dem Paket?
Bier aus Radeberg, Großröhrsdorf, Bautzen, Wachau oder Wittichenau. Leinöl aus Hoyerswerda, Pfefferkuchen aus Pulsnitz, Kekse aus Großröhrsdorf, Schinken und Bitterlikör aus Radeberg oder Neukirch, Senf und Wurst aus Bautzen, Töpferwaren aus Elstra oder Neukirch, Brot aus Ottendorf-Okrilla und/ oder allen anderen Städten und Gemeinden – Sie sehen, die Vielfalt ist riesengroß und hier gilt: Wer die Wahl hat, hat die Qual.


Wo sehen Sie den Landkreis Bautzen auf dem Wege seiner Identitätsfindung und -bildung? Sind da die wieder erlaubten Kennzeichen mit den alten Städte-Kennungen nicht kontraproduktiv?
Die Menschen werden sich mit dem Landkreis als Lebens- und Wirtschaftsraum identifizieren, wenn Erfolgsgeschichten geschrieben werden. Das Sprichwort „Wo geklagt wird, geht niemand hin“ kann man erweitern mit „und da bleibt auch niemand gerne“. Deshalb sollten wir nicht klagen, sondern handeln. Ich denke, dass wir auf einem guten Weg sind.
Das Thema Autokennzeichen lasse ich lieber weg, wobei ich natürlich Verständnis für die Menschen in den Städten habe, die ihre Kürzel verwenden können. Ob es insgesamt notwendig gewesen wäre, darüber kann man kräftig streiten.


Welche Schlagzeile über den Landkreis Bautzen läsen Sie Ende 2013 gern im Hoyerswerdaer Tageblatt hie und in der bundesweiten Presse da – und welche nicht?
Wünschen würde ich mir „Der Landkreis Bautzen: ein ganz starkes Stück Deutschlands – wer hätte das gedacht?“ Schlagzeilen, die Dinge problematisieren, die zwar unschön sind, aber anderswo auch vorkommen, lese ich nicht so gern. Es ist zu vermuten, dass dahinter Absichten stehen, die nicht nur mit dem Problem zusammenhängen.


Ihr „Mutmacher-Spruch“ für die Bürger des Landkreises?
Es gibt viele Menschen auf dieser Welt, denen es schlecht geht. Insofern haben wir guten Grund zu Dankbarkeit und Zuversicht.

Gespräch: Uwe Jordan



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