Tausendmal gesehen und nie richtig wahrgenommen


von Tageblatt-Redaktion

Regen Zuspruchs erfreute sich gleich die erste Sommer-Wanderung der Nabu-Ortsgruppe Wittichenau in Dubringer Moor. Zwei weitere Wanderungen folgen noch.
Regen Zuspruchs erfreute sich gleich die erste Sommer-Wanderung der Nabu-Ortsgruppe Wittichenau in Dubringer Moor. Zwei weitere Wanderungen folgen noch.

Von Rainer Könen

Was wäre gewesen, wenn es geregnet hätte? Wären dann auch all die gekommen, die wegen der angekündigten Hitze kurzfristig ihre Teilnahme an dieser Wanderung abgesagt hatten? Und: Wäre es nicht besser gewesen, wenn an diesem Vormittag dunkle Wolken den Himmel verdüstert hätten? Um diesen Ausflug mit einem Ambiente zu versehen, mit dem man ein solches Gebiet häufig verbindet.

Über all das Spekulationen anzustellen, das ist nicht Herbert Schnabels Sache. Jedenfalls nicht an diesem Vormittag, an dem der Wittichenauer zeitig am Michalkener Gasthof „Zum Mühlengrund“ erscheint. Es ist Ferienzeit, und das ist auch die Zeit, in der jemand wie Herbert Schnabel darauf aufmerksam machen will, was ihm als Naturfreund und Leiter der Wittichenauer Nabu-Ortsgruppe am Herzen liegt: Darauf, dass ein Areal wie das rund 1700 Hektar große Naturschutzgebiet „Dubringer Moor“ nicht nur schützenswert ist, sondern stressgeplagten Zeitgenossen auch die Gelegenheit bietet, ein wenig Abstand zu finden von der Hektik des Alltags.

Freizeitschuhe, Sportsandalen, Wanderstiefel. Diejenigen, die am Gasthof eintreffen, wo die Moorwanderung startet, signalisieren schon mit ihrem Schuhwerk, wie sie die rund fünf Kilometer lange Tour einordnen. Fast alle tragen Outdoor-Kleidung, dazu passend einen Rucksack. Die Damen, Herren und Kinder sind gewappnet. Herbert Schnabel kassiert das „Eintrittsgeld“ für diesen Ausflug. Zwei Euro. Einige geben ihm einen Fünf-Euro-Schein. Stimmt so, sagt man ihm. Trinkgeld für den Naturführer. Schnabels Aufgabe läuft darauf hinaus, dem Dutzend Menschen im Laufe der rund dreistündigen Wanderung all die Dinge zu erläutern und zu beschreiben, die mancher schon tausendmal gesehen und doch nie richtig wahrgenommen hat. Pflanzen, Bäume, Vögel.

Dass eine Wanderung durch das Dubringer Moor seinen Reiz hat, das erklärt Herbert Schnabel im Laufe des Ausflugs an verschiedenen Stellen. Dass viele Wege ins Moor führen, ebenfalls. Auch dass etliche in einer Sackgasse enden. Was Ausflügler oft genug zur Verzweiflung getrieben hat. „Hier kann man sich leicht verlaufen“, erzählt er. Übersetzt heißt das so viel wie: Immer schön auf den ausgeschilderten Wegen bleiben und sich nicht auf Abwege begeben.

Der Nabu-Ortsgruppenleiter weiß auch um den Gruselfaktor, mit dem man Moore ja irgendwie immer verbindet. Und er bedient ihn. Auf dem Weg zum Michalkener Beobachtungsturm berichtet er von den drei Personen, die sich in den vergangenen zwanzig Jahren im Moor verirrten und die man bisher nicht finden konnte. Verschluckt vom Moor. Da schaudert es einen. Ob man will oder nicht.

Ein Schaudern, das womöglich bei schlechtem Wetter noch ausgeprägter gewesen wäre. Aber es ist schön an diesem Sonntagvormittag. So schön, dass die Mücken nicht einmal als störend empfunden werden. Herbert Schnabel sieht das, was andere nicht sehen. Er bückt sich und hat eine Knoblauchkröte in seiner Hand. Tot. Plattgewalzt. Womöglich von einem Auto. Ein wenig später kratzt er die Überreste einer Blindschleiche vom Waldboden. Eigentlich ist das Befahren der Wege mit dem Auto verboten. Aber „das Navi führt die Autofahrer ja auf direktem Wege zu Zelders Teichen“, bemerkt er. Kröten Schlangen und andere Kriechtiere wie Eidechsen sind da chancenlos.

Auf dem Beobachtungsturm richten alle ihre Ferngläser in die Ferne, lassen sich von der Weite des Moorgebietes faszinieren, hoffen beim Blick durch die Gläser auf das Unerwartete. Einer zeigt auf einen dunklen Punkt am Himmel. Ein Adler? Nein, bloß ein Rabe. Herbert Schnabel freut sich über das Interesse, erzählt von Bekassinen, einer im Moor heimischen Vogelart, auch Himmelsziege genannt. Die Zahl der Kranich-Paare, auch das ist zu erfahren, hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Rund 30 Paare fühlen sich im Moorgebiet bestens aufgehoben.

Es geht zu Zelders Teichen, von dort weiter zum Vinzenzgraben. Auf dem Weg zurück zum Gasthof gibt es von Herbert Schnabel noch das ein oder andere Detail zur Entstehungsgeschichte des Moores. Er berichtet von dessen wirtschaftlicher Bedeutung in den Vorwendejahren, als Torf in großem Stil abgebaut wurde.

Einer der Wanderer will wissen, ob es Schlangen gibt. Schnabel nickt. Natürlich. Auch Kreuzottern? Wieder nickt er. Früher, und damit meint er die Vorwendezeit, habe es in einigen Bereichen des Dubringer Moores „sehr viele Kreuzottern“ gegeben. Ausgerechnet in den Gebieten, wo Torf gestochen wurde. Das hatte den Arbeitern Angst gemacht. Ein Biss der Kreuzotter ist zwar nicht tödlich, aber schmerzhaft ist es allemal. „Damals hat man alle Kreuzottern eingefangen und sie an anderer Stelle wieder eingesetzt.“

Eine Schlange hatte Herbert Schnabel vor Beginn der Wanderung ausgesetzt. Eine Schlingnatter. Das sei eine Art, die man nicht allzu oft im Dubringer Moor antreffe. Ein Exemplar hatte der Mühlengrund-Wirt in seinem Garten gefunden. Keine Giftschlange, auch keine, vor der man sich ernstlich fürchten muss.

Dass diese Wanderung nur einen kleinen Einblick in die Lebenswelt des Moores vermittelt, wird den Teilnehmern spätestens in dem Moment klar, als Wanderführer Schnabel erzählt, dass das Moor Lebensraum für rund 3 500 Tier- und Pflanzenarten sei. Daran, so sagte er zum Abschluss, könne man sehen, dass „es hier weitaus mehr gibt, als wir heute gesehen haben“.

Die nächste Moorwanderung startet die Nabu-Ortsgruppe Wittichenau an diesem Sonntag. Treffpunkt ist wieder um 9 Uhr am Michalkener Gasthof „Zum Mühlengrund“.

 



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