Schüler befragen Zeitzeugen des Hitler-Staates


von Tageblatt-Redaktion

Elisabeth Jäger war gestern zum sechsten Mal an der Förderschule im Hoyerswerdaer WK IV. In ihrer Jugend saß die heute 89-Jährige wegen ihrer Widerstands- Arbeit in Wien zunächst im Gefängnis und dann im KZ in Ravensbrück.
Elisabeth Jäger war gestern zum sechsten Mal an der Förderschule im Hoyerswerdaer WK IV. In ihrer Jugend saß die heute 89-Jährige wegen ihrer Widerstands- Arbeit in Wien zunächst im Gefängnis und dann im KZ in Ravensbrück.

Von Mirko Kolodziej

Als am Mittwoch die Jugend der nationalistischen NPD vor der Oberschule „Am Planetarium“ in Hoyerswerdas Neustadt einen Stand aufbaute, holten deren Schüler flugs Plakate von der „Nacht der Toleranz“ im April vorigen Jahres hervor. Der Stand blieb wohl weitgehend unbeachtet. „Wir sind mit unserem Projekt also an der richtigen Stelle“, freute sich am selben Abend OB Stefan Skora (CDU). Er war ins Jugendklubhaus gekommen, um hier an einer traditionellen Veranstaltung innerhalb der Reihe „Wider das Vergessen“ teilzunehmen. Seit 18 Jahren geben die Regionale Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven (RAA) sowie der Stadtverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Schülern mit dieser Reihe die Möglichkeit, sich intensiver mit dem Leben in Deutschland zwischen 1933 und 1945 auseinanderzusetzen. Und immer zu Anfang eines Jahres kommen dazu Menschen in die Stadt, die aus eigener Erfahrung über diese Zeit berichten können. Wozu das gut sein kann, kommentierte einer der Neustadt-Oberschüler im Ossi mit Blick auf das Erlebnis vom Morgen vor der Schultür knapp: „Naja, es geht in beiden Fällen um Nazis.“

Im Jugendklubhaus wurden am Mittwoch also jene neun Zeitzeugen begrüßt, die gestern in fünf Hoyerswerdaer Schulen unterwegs waren. Justin Sonder zum Beispiel, der im Konzentrationslager Auschwitz gefangen war, war in Vorjahren bereits am Johanneum. Gestern gab er Schülern des Foucault-Gymnasiums unter anderem darüber Auskunft, wie er im KZ 16 Selektionen überstand. Der frühere Rektor der Berliner Humboldt-Uni Heinrich Fink stand Schülern des Lessing-Gymnasiums Rede und Antwort. Der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN-BdA) war als Kind von der Umsiedlung aus Bessarabien (heute Moldawien und Ukraine) nach Polen betroffen. Elisabeth Jäger, einst in Ravensbrück interniert, war gestern schon zum sechsten Mal an der Lernförderschule „Nikolaus Kopernikus“ zu Gast. Die 89-Jährige hatte im vorigen Jahr auch an einem RAA-Projekt mitgewirkt, bei dem Schüler aus Johanneum und Lessing-Gymnasium unterstützt von KuFa-Filmemacher Dirk Lienig fünf Zeitzeugen vor laufender Kamera befragt haben. Die Filme liegen jetzt vor. „Wir hatten uns solche Aufzeichnungen schon länger gewünscht, da wir wissen, dass die Zeitzeugen in wenigen Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen“, erklärt Hoyerswerdas VVN-BdA-Vorsitzende Regina Elsner.

Menschen der sogenannten Erlebnisgeneration werden eben immer weniger. Und so war gestern nicht nur Justin Sonder am Foucault-Gymnasium, sondern auch Roland Hering, der über seinen Vater erzählte. Arno Hering war im Spanischen Bürgerkrieg als Mitglied der Interbrigaden aktiv sowie später in Dachau und Mauthasen gefangen. Die Schüler der Planetariums-Oberschule waren Gastgeber für Gisela Plessgott, deren Vater in Buchenwald eingesperrt war. VVN-BdA-Chef Fink sagt, die Organisation sei stolz auf die jahrelange Zeitzeugen-Arbeit in Hoyerswerda. Er kenne auch keine andere Stadt, in der der Bürgermeister sich so hinter die entsprechenden Aktivitäten der Schulen stelle. „Ich finde es wunderbar, dass hier eine Aktionsgemeinschaft gegen Faschismus entstanden ist“, fasst Fink seine Eindrücke zusammen.

Und so werden am Montag, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, auch wieder Schüler aus dem „Wider das Vergessen“-Projekt die städtische Gedenkfeier am Ehrenhain mitgestalten. Viele von ihnen haben in den vergangenen Monaten zum Fremdarbeiter- und späteren Internierungs-Lager in Hirschfelde bei Zittau geforscht. Einige Mädchen und Jungen waren im November auch wieder die Gedenkstätte in Auschwitz besuchen. „Bei einem Großteil der Schüler bleibt sicher hängen, was sie sehen und hören“, ist Regina Elsner überzeugt. „Wider das Vergessen“ soll es daher auch in Zukunft geben.



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