Ostern – Opfer und Gnade zugleich


von Tageblatt-Redaktion

Mario Belkot und Vater Johannes Belkot auf dem Weg nach Ralbitz.
Mario Belkot und Vater Johannes Belkot auf dem Weg nach Ralbitz.

Von Andreas Kirschke

Gründonnerstag-Abend gehen die Hosker Frauen und jungen Mädchen durchs Dorf. Vor jedem Kruzifix beten sie. Dort singen sie auch Passionslieder. „An jedem Kreuz ist ein Licht angebracht. Es weist auf das Leiden Christi am Kreuz hin“, schildert Johannes Belkot (63), seit 23 Jahren Kantor der Hosker Osterreiter. „Für die Familien ist es der Einstieg ins Fest der Auferstehung.“ Zum 49 (!) Mal verkündet Johannes Belkot Ostersonntag zu Pferd mit den anderen Reitern die frohe Botschaft der Auferstehung – und das ununterbrochen bei jeder Witterung. „Freunden sage ich immer: Ostern ist nicht nur eine große Gnade für uns Christen. Es ist auch ein Opfer“, schildert er stolz. In diesem Jahr reiten die Hosker ganz am Ende der Wittichenauer Gesamtprozession.

Tief wurzelt der Brauch in den Familien. „Schon meine Großväter ritten mit. Ebenso mein Vater Viktor. Er war Ukrainer. Als Zwangsarbeiter kam er im Zweiten Weltkrieg in die Lausitz“, erzählt der Hosker Kantor. „Der Liebe willen zog er später für immer hierher.“ Eigentlich durfte er im Krieg gar nicht mitreiten in der Prozession. Doch die Bauern widersetzten sich dem Verbot der Nazis. Johannes Belkots Familie gehörte eine Landwirtschaft mit 13 Hektar Feld und acht Hektar Wald. Roggen, Gerste, Kartoffeln und Futterrüben bauten die Großeltern an. Sie besaßen Pferde, Kühe und Schweine. „Als Kind lief ich oft mit den Reitern bis Ralbitz mit. Am Nachmittag begleitete ich sie von Schönau aus wieder nach Hause. Wir Kinder durften auf dem Heimweg außerhalb der Ortschaften sogar aufs Pferd steigen“, sagt Johannes Belkot. „Das war unser ganzer Stolz.“

Karfreitag, so entsinnt er sich, war höchster Fastentag. Es war ein Tag der Stille und Einkehr. Fleischlose, magere Kost gab es nur. Kein Lärm durfte aufkommen. Keine Wäsche wurde gewaschen. Kein Radio durfte laut spielen. „Darauf achteten die Großeltern streng“, sagt der Kantor. „Karfreitag ging es auch zur Andacht in die Wittichenauer Kirche. Karfreitag wurden die Mähnen der Pferde mühevoll eingeflochten. „Zum Anfang verwendeten wir langes Stroh. Dann schnitten wir die Halme kurz. Wir tauchten sie in Seifenwasser. Wir windeten sie um die Haare der Mähne und verknoteten sie mit dünnem Bindegarn“, erzählt der Hosker.

Aufregung und Anspannung spürte er 1966 vor seinem ersten Ritt. Damals war Johannes Belkot 15 Jahre. Vater Viktor ritt neben ihm. Das zerstreute die Aufregung. Auch Johannes Belkots Sohn Mario (41) begann mit 15 Jahren. „Genauso wie für mich war es auch für mein Pferd, Haflinger «Nina», das erste Mal“, erzählt der gelernte Mechatroniker. „Mein Zylinder war vom Opa in Hoske. Mein erster Gehrock war vom anderen Opa in Jauer. Stiefel und weitere Kleidung erhielt ich vom Hof in Hoske“, erzählt er. Über viele Jahre wuchs er in die Tradition hinein. Zum 26. Mal reitet Mario Belkot morgen mit.

In der Fastenzeit lebt die Familie den Glauben tiefer als sonst. „Es ist eine Zeit des Einschränkens, Verzichtens und sich selbst Zurücknehmens“, sagt Johannes Belkot. Im Kreuzweg in der Wittichenauer Pfarrkirche verinnerlicht er den Leidensweg Jesu. In der Osterbeichte kann er sich öffnen. Viel geben ihm und seinem Sohn Mario die sorbischen Fastenpredigten. In Wittichenau waren es sechs in diesem Jahr. „Die Fastenpredigt ist wie eine innere Reinigung. Sie gibt immer wieder Anstöße zum Nachdenken. Sie stärkt unser Glaubensbekenntnis“, unterstreicht der Kantor. Sohn Mario achtet auch bei seinen Kindern Alena (13), Julia (11), Viktor (7) und Saskia (5) auf den gezielten Verzicht. Sie nehmen teil am Kinder-Kreuzweg in Kotten, Sollschwitz und Saalau. In der Fastenzeit verzichten sie auf Süßigkeiten. Fernsehen gibt es nur am Sonntag. „Sie wachsen mit der Einhaltung der Fastenzeit auf“, sagt Mario Belkot.

In Zeiten des Pferdemangels infolge der LPG-Gründungen in der DDR mussten viele Hosker Landwirte ihre Pferde aus der Ferne heranholen. Bis nach Bad Schmiedeberg bei Wittenberg fuhren sie. Heute weisen nur noch die Höfe Matthias Domanja und Georg Lindner eigene Pferde im Ort vor. Die anderen Reiter müssen sie aufwendig besorgen. „Zum neunten Mal erhalten wir Pferde von Margit und Herbert Wossing aus Geierswalde“, schildert Johannes Belkot. „Dafür sind wir sehr dankbar. Das ist ein hoher Vertrauensbeweis. Die beiden kommen auch gern zu uns, um die Tradition vor Ort zu erleben.“

Die Halfter für die Pferde stammen noch von Johannes Belkots Großeltern mütterlicherseits Jakob und Maria Jorsch, ebenso die Zügel, Kandarre und Schwanzring. Schwiegertochter Christin Belkot stickte die Schweifschleifen. Zusammen mit Johannes Belkots Ehefrau Jadwiga segnet sie Ostersonntag die Reiter mit Weihwasser aus. 16 werden es dieses Jahr aus Hoske sein. Sie tragen die Botschaft der Auferstehung Christi nach Ralbitz. Sie bekennen damit klar ihren Glauben. „Beim Eingliedern in die Gesamtprozession schlägt mein Puls immer am höchsten“, sagt Johannes Belkot. Tiefe Dankbarkeit spürt er nach der Heimkehr. Die bezeugt er auch am Osterdienstag zur Andacht aller Osterreiter in der Rosenthaler Wallfahrtskirche. Ob sein Enkel Viktor (7) eines Tages in der Wittichenauer Prozession mitreitet? Johannes Belkots Gesicht hellt sich auf. „Es würde mich sehr freuen.“

 



Zurück

Einen Kommentar schreiben

Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.

Bitte addieren Sie 2 und 1.