Neue Währung, neue Arbeitswelt


von Tageblatt-Redaktion

Hubert Solibieda war von 1978 bis zum Anfang dieses Jahres in der Lausitzer Ölmühle tätig. Hier steht er in der Abfüllung, einer Abteilung, die es zu DDR-Zeiten nicht gab. Foto: Menzel
Hubert Solibieda war von 1978 bis zum Anfang dieses Jahres in der Lausitzer Ölmühle tätig. Hier steht er in der Abfüllung, einer Abteilung, die es zu DDR-Zeiten nicht gab. Foto: Menzel

Von Mirko Kolodziej

Es konnte vorkommen, dass Besucher im Betriebsteil Hoyerswerda des volkseigenen Kombinates Öl und Margarine mit Sitz in Magdeburg die gesamte zwanzigköpfige Belegschaft in trauter Runde gemeinsam bei Frühstück oder Mittagessen vorfanden. Die Küche des damaligen Bezirkskrankenhauses lieferte täglich. „Nach der Wende brachten die Leute dann ihre Schnitten mit“, erzählt Hubert Solibieda. Er hatte 1978 im Betrieb als Technischer Leiter angefangen.

Die Komplett-Verstaatlichung der Hoyerswerdaer Ölmühle war da gerade einmal sechs Jahre her. Seit Februar ist Solibieda nun Rentner. In den 37 Jahren, die er in Hoyerswerdas heute ältestem Produktionsbetrieb arbeitete, hat er so einiges erlebt. Zum Ende der Deutschen Demokratischen Republik wurde er Direktor, nach der Reprivatisierung Produktionsleiter und 2010 aus der Betriebsinsolvenz heraus sogar einer von zwei neuen Eigentümern „Es hatte alles seine eigenen Reize“, lächelt der gelernte Betriebsschlosser heute.

Er hat ein Brigadetagebuch aus dem Schrank genommen. Es erzählt von Planzielen ebenso wie von gemeinsamen Kinobesuchen, kollektiven Fahrradtouren und regelmäßigem Frühjahrsputz auf dem Betriebsgelände. Die Hoyerswerdaer Ölmüller waren schließlich Kollektiv der sozialistischen Arbeit. „Es war ein gewisser Zwang dahinter, aber die meisten Sachen sind auch gern wahrgenommen worden“, erinnert sich Hubert Solibieda. Nachdem Fritz Schkommodau 1990 den einstigen Familienbetrieb wieder zu einem solchen gemacht hatte, verschwand der Titel natürlich. „Aber Fritz Schkommodau ist sehr sozial gestrickt. Die Belange der Belegschaft waren ihm wichtig“, sagt Solibieda.

 Radausflüge und Kegelabende gab es also zunächst auch weiterhin. Und die Ordnung auf dem Firmengelände ist bis heute Angelegenheit aller. Ökomonische Kennziffern aber waren ab da nicht mehr Sache des Kollektivs, sondern allein Sache der Geschäftsleitung. Selbstredend waren auch der Parteisekretär und der Chef der Betriebsgewerkschaftsleitung nicht mehr länger Teil des Entscheidungs-Gremiums. Ebenso waren viele Betriebsabläufe plötzlich ganz andere als zuvor. Wurden etwa Rohstoff-Lieferungen und Absatz bis 1990 vom Kombinat geregelt, musste die Ölmühle sich nun selbst darum kümmern. Sie baute in der Folge zum Beispiel eine eigene Abfüllung auf.

Und kam die Leinsaat früher aus einem Silo in Senftenberg, wird sie heute deutschlandweit, aber auch in Kasachstan oder in Russland zusammengekauft. In der Folge diverser Änderungen auch bezüglich der Absatzmengen ist zudem das einstige Dreischicht-System obsolet geworden. In der Lausitzer Ölmühle des Jahres 2015 arbeitet man im Wesentlichen tagsüber. Das Ende des VEB Lausitzer Ölmühle und ihr Neubeginn als Lausitzer Ölmühle Fritz Schkommodau KG im Jahr 1990 führte zu einem Schrumpfen der Belegschaft. Entlassen wurde zwar niemand. Aber wie fast alle Betriebe östlich der Elbe verlor auch Schkommodaus Unternehmen Leute in den Westen. Andere gingen in den Ruhestand. „Aber wer wollte, konnte seinen Arbeitsplatz behalten“, sagt Hubert Solibieda.

Natürlich war das wie im gesamten Land dennoch mit dem Wegfall diverser Regelungen verbunden, die in der DDR „Errungenschaften“ hießen. So hatte das Magdeburger Öl- und Margarine-Kombinat ein Ferienobjekt auf dem Darß und die knappen Ferienplätze des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes FDGB standen zumindest theoretisch zur Verfügung – eben bis 1990. Nur: Diese Änderung beklagte angesichts der sich 1990 eröffnenden neuen Reisemöglichkeiten mit Neckermann und Co freilich niemand. Letztlich mussten sich der Betrieb wie seine Mitarbeiter mit allen neuen Bedingungen arrangieren. So manches, vom Aussehen der Währung bis hin zum Umstand, dass es plötzlich eine eigene Vertriebsabteilung gab, änderte sich. Anderes blieb gleich.

 So waren damals und sind heute bis auf eine Ausnahme alle Mitarbeiter der Lausitzer Ölmühle Hoyerswerdaer. In neun Jahren wird das Unternehmen seinen hundertsten Geburtstag feiern können. Und unter der gegenwärtigen Leitung von Regine Jorga floriert das Leinöl-Geschäft. Seit dem Ausscheiden von Hubert Solibieda ist die 62-Jährige alleinige Geschäftsführerin der Lausitzer Ölmühle Hoyerswerda GmbH. Und damit es auch langfristig weitergeht, arbeitet sie bereits an einer Nachfolgeregelung. Dies wird der nächste wichtige Umbruch in der Entwicklung der Firma. Jener aus dem Sommer des Jahres 1990 ist nicht nur lange her, sondern abgehakt – einfach nur Geschichte.
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