Mythos Ambrosia


von Tageblatt-Redaktion

Ambrosia-Vorkommen finden sich in der Neustadt von Hoyerswerda.
Ambrosia-Vorkommen finden sich in der Neustadt von Hoyerswerda.

Von Mirko Kolodziej

Es war Ende Juli, als die Wittichenauer im Amtsblatt ihrer Stadtverwaltung eine ganzseitige Warnung fanden. Abgedruckt war dort ein Faltblatt des sächsischen Sozialministeriums. Thema: „Gesundheitsgefahr durch die Beifußambrosie“. Ministerin Christine Clauß warnt darin vor den hochallergenen Pollen des Beifußblättrigen Traubenkrauts, dessen Ausbreitung „unbedingt verhindert oder zumindest eingeschränkt werden“ müsse.

In der Tat: Schon sechs Pollen pro Kubikmeter Luft reichen für schwerste allergologische Reaktionen – Schnupfen, Ausschlag, Bindehautentzündung, Asthma. Da Ambrosia-Pollen sehr klein sind, können sie tief in die Atemwege eindringen, erklärt Dr. Lutz-Uwe Wölfer, der Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Dermatochirurgie am Seenland-Klinikum.Seit Jahren treibt die Sorge um Betroffene auch den Hoyerswerdaer Gerhard Schlegel an. Jahr für Jahr mahnt er und macht aufmerksam. „Immer wieder begegnen mir diese Pflanzen auch in unserem Wohngebiet. Kürzlich bei einem Morgenspaziergang entdeckte ich mehr als 20 Pflanzen, kurz vor der Blüte – dem Beginn der gefährlichen Zeit“, schildert Schlegel aus dem WK I. Das Sozialministerium empfiehlt, die Pflanzen mit Wurzel auszureißen und in einem Plastesack in den Müll zu werfen. Eine Vorsichtsmaßnahme, denn: Obwohl die Ambrosia so hochallergene Pollen auswirft (und noch dazu sehr viele), meint Klinikums-Chefarzt Wölfer, Angst müsse keiner haben: „Der Anteil der manifest Erkrankten ist noch sehr gering, wenn wohl auch zunehmend.“

Das heißt nichts anderes, als dass relativ wenige Menschen überhaupt allergisch auf Ambrosia-Pollen reagieren. Wölfer und seine Leute behandeln beispielsweise im Jahr um die 80 Menschen, die auf Bienen- und Wespengift allergisch sind. An einen Ambrosia-Patienten kann er sich dagegen nicht erinnern. Es gibt auch mehr Katzenhaar-Allergiker. Und doch fordert niemand, zugunsten der Menschen mit entsprechenden Beschwerden gegen Bienen, Wespen oder Katzen vorzugehen. Wer weiß, dass er eine Allergie hat, hält sich von ihnen fern. Gleiches sollte man im Fall der Fälle bei Ambrosia tun. Ein Hinweis auf eine mögliche Anfälligkeit ist, wenn zwischen August und November die Augen jucken und die Nase läuft. Denn anders als die üblichen Auslöser von „Heuschnupfen“ blüht die Ambrosia artemisiifolia nicht im Frühjahr.

Selbst, dass die Ambrosia-Empfindlichkeit offenbar steigt, ist im Grunde nichts Besonderes. Denn beinahe alle Allergien nehmen zu. Als Dr. Wölfer in der Ausbildung war, lernte er noch, dass nur fünf Prozent aller Menschen eine entsprechende Veranlagung haben. Heute geht man von 30 bis 40 Prozent aus. „In allen Teilen der Bevölkerung nehmen allergische Erkrankungen zu“, lasen denn die Wittichenauer im Juli auch im Text von Ministerin Clauß.

Lutz-Uwe Wölfer und andere haben so ihre Vermutungen, woran das liegen könnte. „Der westliche Lebensstil“, sagt der Klinikums-Chefarzt. Gemeint ist das Bemühen um klinische Reinheit bis hin zur Keimfreiheit in vielen Bereichen des menschlichen Lebens. „Damit ist für das Immunsystem weniger zu tun“, erklärt Dr. Wölfer. Ergebnis: Es wendet sich Katzenhaaren, Hausstaub, Nüssen oder anderen Dingen zu. Damit dürfte dann auch zu erklären sein, warum die Ambrosia-Allergien erst in den letzten Jahren so stark in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten sind, obwohl es die Pflanze in Europa schon seit dem 19. Jahrhundert gibt. „Die Leute damals hatten wohl Immunsysteme, die salopp gesagt noch nicht so gesponnen haben“, sagt der Dermatologie-Chef.

Und doch: Wenn man sich erst einmal eine Ambrosia-Allergie eingehandelt hat, ist nur schwer Abhilfe zu schaffen. Bei Bienen- und Wespengift etwa stehen die Heilungschancen bei 98 Prozent. Birken-, Erlen- oder Haselnuss-Allergien sind immerhin mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu heilen. Im Falle der Beifußambrosie dagegen kann die Medizin bisher nur die Symptome bekämpfen, etwa durch die Gabe von Medikamenten, die den Botenstoff Histamin blockieren oder durch die Verabreichung des Entzündungshemmers Cortisol.

Ansonsten gilt der Satz von Christine Clauß: „Betroffene müssen auf die allergieauslösenden Faktoren achten und versuchen, diese möglichst zu meiden.“

Weitere Informationen des Sozialministeriums

Größere Ambrosia-Bestände kann man den Behörden melden via: mail@ambrosia.de



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