Mit Musik vereint gegen Vorurteile

Von Mirko Kolodziej
Es ging gestern ziemlich hoch her auf der Bühne in der Aula des Hoyerswerdaer Lessing-Gymnasiums. Zwei junge Leute lagen sich da in den Haaren. „Warum seid ihr Deutschen denn immer so kleinkariert?“ „Ihr Polen seid nur liederlich und unsortiert!“ „Wenigstens haben wir Spaß am Singen!“ Autsch! Zum Glück war das heftige Wortgefecht lediglich Teil eines Sketches, den Lessing-Zehntklässlerin Martha Sarodnik als Rahmen für ein kleines Konzert geschrieben hatte.
In zwei Jahren kann ihre Schule ein rundes Jubiläum feiern. Vier Jahrzehnte lang besteht dann schon eine Partnerschaft mit dem Baczynski-Lyzeum im polnischen Nowa Sól. 1977 kam die erste Austauschschülerin von dort nach Hoyerswerda. Heute unterrichtet Bogusia Heinecken dort, wo sie früher lernte, Deutsch. Zusammen mit ihrer Direktorin Ewa Zaclona war sie vor drei Wochen Gast des jährlichen Lessing-Benefizkonzertes in der Lausitzhalle.
Der in diesem Zusammenhang schon traditionelle Schüleraustausch entfiel dabei. Er wurde aber in dieser Woche mit einem gemeinsamen Musik-Projekt nachgeholt. „Jetzt, wo die Bauarbeiten im Schulhaus zu Ende sind, dachten wir, wir laden mal zu so etwas ein“, sagt Lessing-Lehrerin Ute Richter, die sich um die Zusammenarbeit mit dem Lyzeum kümmert. Und so reisten am Montag zehn polnische Schüler mit zwei Lehrern an und nahmen Quartier bei Gastfamilien. Zwar gab es auch Ausflüge zur Krabatmühle und nach Dresden, im Mittelpunkt stand aber die Arbeit an dem Programm, das gestern auf die Bühne kam.
Ursprünglich war einmal daran gedacht, sich musikalisch dem Frühlingserwachen zu widmen. Aber dank Martha Sarodniks dramatischem Talent lautete der Titel nun „Mauern und Grenzen“. Passend zum Hoyerswerdaer Tag der Toleranz am Mittwoch widmete sich das Programm der ewigen Frage nach Vorurteilen. Dargestellt war, wie es hätte sein können, wenn die Schüler von dies- und jenseits der Neiße sich beim gemeinsamen Proben des Repertoires nicht gleich so gut verstanden hätten, wie sie es tatsächlich taten. Es hätte durchaus zum Zank kommen können, ob exaktes Singen nach Noten oder die Freude an der Musik wichtiger sind. Siehe oben.
Aber der „common ground“, also die gemeinsame Basis, die im gestern unter anderem dargebotenen Lied „Breakfast at Tiffany’s“ (Deep Blue Something, 1994) eine Rolle spielt, war in der Wirklichkeit rasch gefunden. Nicht, dass es nicht die klitzekleinste Schwierigkeit gegeben hätte! Ganz im Gegenteil: In polnischen Lyzeen gibt es nämlich keine einzige Stunde Musik-Unterricht. Die polnischen Schüler finden das nach der Woche in Hoyerswerda schade. Es war jedenfalls für Lessing-Musik-Lehrerin Kerstin Lieder nicht so einfach, die Gäste zu integrieren, zumal die Mehrzahl der mitwirkenden Lessing-Schüler der 10 a angehört. Und wer das Lessing kennt, der weiß, dass der erste Buchstabe des Alphabets dort den Musik-Spezialklassen vorbehalten ist.
Nur: Es war gestern unmöglich auszumachen, wer im großen Chor Deutscher war und wer Pole. Man sang in der Aula viel Englisch, darunter das 180 Jahre alte „Amazing Grace“, aber auch das polnische „Kukuleczka Kuka“ und Eichendorffs „In einem kühlen Grunde“. Und natürlich kehrte auch im Rahmenstück bald die rechte Harmonie ein – getreu dem Schlusswort: „Wer Vorurteilen glaubt, vergibt sich die Chance, vielleicht einen Freund kennenzulernen.“ Also wurden zum Sketch-Finale Telefonnummern getaucht. Die Vorurteile waren schon ein paar Szenen vorher über Bord geschmissen worden. „Ihr Polen seid ja gar nicht so schlecht, wie wir dachten!“ „Ihr Deutschen aber auch nicht!“ Puh! Da scheint der 40-Jahre-Jubiläumsfeier in zwei Jahren ja nichts im Wege zu sein.
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