Mit 75 vom Moped aufs Auto umgestiegen

Wer kennt das nicht: In jeder Familie gibt es doch meist immer einen, der als leuchtendes Beispiel dargestellt wird. Weil er oder sie so klug ist, so brav und vorbildlich. Oder ziemlich mutig und unkonventionell ist. In der Bernsdorfer Familie Witt ist der Großvater der „Leuchtturm“, zu dem die jungen Familienmitglieder aufschauen. Denn in einem Alter, in dem etliche seiner Altersgenossen über das Fahrverhalten von Rollatoren diskutieren, hat sich Rudi Witt vor einiger Zeit in einer Fahrschule angemeldet. Um den Führerschein zu machen. Mit 75 Jahren.
Fahrlehrer André Damerau war seinerzeit ziemlich „überrascht gewesen“, wie der 46-jährige Lautaer erklärt. Als er die Anmeldung von Witt auf seinem Schreibtisch sah, sei sein erster Gedanke gewesen: „Puh, wie wird das bloß werden?“. Denn in seinen 21 Jahren, die er nun als Fahrlehrer arbeitet, hatte er bis dato noch keinen Fahrschüler in diesem Alter gehabt.
Was in den ersten theoretischen und praktischen Stunden folgte, war für beide Seiten so eine Art Annährerungsprozess. André Damerau war zu Beginn ziemlich überrascht, wie sein ältester Führerscheinneuling „die ersten Fahrstunden fast problemlos absolvierte“. Und Witt war von der Entspanntheit des Fahrlehrers angetan, die ihm half, Blockaden abzubauen, die er im Vorfeld beim Besuch der Fahrschule noch gehabt hatte.
Wenn man so will, ist das, was Witt derzeit praktiziert, so eine Art Gegenmodell. Denn seit vielen Jahren wird nicht nur in Deutschland darüber diskutiert, ob Rentner ab einem gewissen Alter nicht den Führerschein abgeben respektive ihre Kenntnisse noch einmal geprüft werden sollen. Viele Verkehrs-Experten im In- und Ausland vertreten gar den Standpunkt, dass die Fahrtauglichkeit im hohen Alter nachlasse, die Unfallhäufigkeit der älteren Autofahrer zunehme.
Davon hat Rudi Witt natürlich schon gehört. Das sei auch mit ein Grund, warum er im Freundes- und Bekanntenkreis von seinem Vorhaben bisher nicht erzählt habe. „Das hätte mir ja wohl keiner geglaubt“. Seine Frau habe ihm gesagt, dass sie das toll finde, was er sich da vorgenommen habe. Dieses ganze Gerede ums Alter, er findet das unangepasst. Jedenfalls, wenn man es auf seine Verhältnisse überträgt. „Wissen Sie, ich fühle mich topfit“, meint der frühere Gleisbauer. Er sei zwar 75, aber eigentlich sehe er doch noch aus wie ein 60-Jähriger. Was damit zusammenhängt, dass er tagtäglich in der frischen Luft unterwegs sei, auf seinem Moped oder seinem Motorrad, einer 125-Yamaha. „Ich habe auf dem Moped keine Knautschzone“, grinst der 75-Jährige. Ergo müsse er im Straßenverkehr sehr gut aufpassen.
Seit über 40 Jahre fährt er mit motorisierten Zweirädern. Vor 15 Jahren hatte er zum ersten Mal den Versuch unternommen, den Führerschein zu machen. „Habe ich aber nach kurzer Zeit abgebrochen“, erinnert sich der Bernsdorfer. Aus finanziellen Gründen. Im Mai dieses Jahres dann ein erneuter Anlauf.
Die theoretische Prüfung bereitete dem Rentner gar keine Probleme, null Fehler. Im Vorfeld musste Damerau ihn aber fit für den Computer machen. Der war für Witt Neuland. Aber weil die Prüfung am Computer durchgeführt wird, hatte der Lautaer Fahrlehrer ihn mit dem PC vertraut gemacht. Im Sommer waren die beiden oft unterwegs, auf den Straßen im Landkreis, auf der Autobahn – „auf der fahre ich am liebsten“, so Witt. Als die Fahrprüfung anstand, sei er nervös gewesen. Vielleicht lag es an der Aufregung, jedenfalls fuhr er in einer geschlossenen Ortschaft etwas zu schnell. So hieß es kurz darauf: leider nicht bestanden. Aber davon ließ sich Witt nicht entmutigen. Weitere Fahrstunden folgten. Den Führerschein wollte er nun erst recht haben. Auch seiner Frau Angela zuliebe. Die war in der jüngsten Zeit zwei Mal vom Sozius gestürzt. Das war auch mit ein ausschlaggebender Punkt für Witt, „mir zu sagen, dass es nun mal Zeit wird, auf ein Auto umzusteigen“. Das sei doch behaglicher, und den Witterungsverhältnissen sei man nicht so ausgesetzt wie auf dem Moped.
Am vergangenen Samstag konnte Rudi Witt dann feiern: Er bestand die praktische Fahrprüfung, nach rund 50 Fahrstunden. Ein teurer Spaß sei das gewesen, zirka 3 000 Euro habe ihn das alles gekostet. Aber das Geld sei sinnvoll angelegt. Nun wird auf einen eigenen Wagen gespart. Ein Skoda oder ein VW soll es werden.
Und das Ziel der ersten größeren Fahrt steht auch schon fest: Zeitz in Sachsen-Anhalt. Seine Heimatstadt. „Ich freue mich schon total darauf“, meint er – und wird selbstverständlich seine Frau Angela dorthin chauffieren.
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