Mehr Europameisterschaftsspiele als in Warschau oder Kiew


von Tageblatt-Redaktion

Schiedsrichter Matthias Krahl fuehrt die Teams aufs Feld
Schiedsrichter Matthias Krahl fuehrt die Teams aufs Feld

Welcher Journalist träumt nicht davon: Kurzfristige Abordnung zur EM auf Verlagskosten! „Vorrundengruppe C“ hieß mein Auftrag. Ich kurz vor vier nix wie los. Müsste reichen, um rechtzeitig da zu sein, noch ein bisschen Stimmung abzufassen, „Atmo“. Erster Eindruck in der Spielstadt: Die EM ist perfekt organisiert. Kein Stau; stet fließt der Verkehr im Rush-hour-Getriebe. Sogar einen Parkplatz direkt am Stadion bekomme ich: Gratis! Am Kassenhäuschen begrüßen mich Alt- und Jetzt-Präsident des Stadion-Eigner-Clubs persönlich. Bin ich etwa in die Klasse der richtigen Journalisten aufgestiegen? Natürlich nicht! Aber alles andere stimmt! Ich bin in Wittichenau; gestern Gastgeber für zwei Spiele der Europeada, der Fußball-Europameisterschaft der nationalen Minderheiten. Die Kroaten (in Serbien) spielen gegen die Ladiner aus Italien, anschließend west-thrakische Türken aus Griechenland kontra Nordfriesen in Deutschland.
EM-Boykott durch die Prominenz? Wegen einer Millionenbetrügerin, die, buhu, die EM nur am Fernseh gucken und vor der Weltpresse klagen darf, dass ihr Bandscheibenvorfall nicht in Deutschland behandelt wird, was doch im entgegengesetzten Fall eine deutsche Regierung keinem Großsteuerschuft verweigern, sondern ihn mit der Regierungsmaschine in die sichere Ukraine ausfliegen würde – Boykott also ist hier kein Thema.
Überhaupt ist Wittichenau entschieden un-ukrainisch. Das Wittichenauer Pils in der Vereinsgaststätte kostet, wie bei den Heimspielen der Blau-Weißen, zwei Euro á 0,4. Bocki auch wie immer 1,60; zwei Kamenzer 2,20; eine Brat 1,70; kleines Wasser ein Euro. Bier in Kiew war schon im Februar bei bis zu fünf US-Dollar je 0,5; inzwischen soll alles ein Fünftel teurer sein. Oder mehr: Das Hotel Lybid bietet eine Übernachtung zur EM-Zeit billigstenfalls für 2 520 Griwen an, sonst 975 (zehn Griwnja sind etwa ein Euro). In der Wittichenauer Kobermühle dagegen hat’s nicht mal ein EM-Angebot. Hier gibt’s nur, wie immer, das Einzelzimmer für 33 Euro pro Nacht (Website).
Die komplette EM für 20 Euro
Selbst dass der Stadion-Eintritt vier Euro kostet (sonst 2,50), ist des Ausrichters Kalkulation – aber dafür sieht man ja auch zwei Spiele! Wer das Dauerticket für 20 kauft, kann sogar alle Europeada-Spiele sehen. Wenn er kann. In Wittichenau kann er noch drei: Zwei Gruppenspiele, ein Viertelfinale. Mit gestern und dem Spiel von Sonntag sind das allein hier: sechs. „So viele Spiele finden nicht mal in Kiew und Warschau statt – da sind’s nur je fünf. Wittichenau ist DIE EM-Stadt des Jahres“, lege ich Präsident Hubertus Szczepaniak vor. Der nickt verblüfft: „Stimmt!“ Ob das ein künftiger Werbeslogan wäre?
Inzwischen haben sich die Teams warm gemacht. Die Tribüne füllt sich. EM-Song „Balla, balla“, Nationalhymnen, Bekreuzigungen, Anpfiff. Der Rest ist Sport. Wie später in Gdansk (vormals Danzig) und Poznan (Posen). Nur viel näher und günstiger. Wittichenau sollte, finde ich, vom EM-Boom ein bisschen profitieren. Und Sie gleich mit.

P.S.: Heute um 17 Uhr treten auf der Sportanlage Wittichenau (Kottener Straße 23 a/ Platz des Friedens) die west-thrakischen Türken gegen die Ladiner an; 19 Uhr spielen Ungarndeutsche gegen das Team Karachay aus Russland. Donnerstag 16 Uhr gibt’s ein Viertelfinale.



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