Manege frei für Fridolin und Sabo


von Tageblatt-Redaktion

Chantal Schmidt mit Bonsai-Pferdchen Fridolin und Marvin Schmidt mit dem Bullen Sabo freuen sich auf die Vorstellungen.  Foto: G. Menzel
Chantal Schmidt mit Bonsai-Pferdchen Fridolin und Marvin Schmidt mit dem Bullen Sabo freuen sich auf die Vorstellungen. Foto: G. Menzel

Von Constanze Knappe

Richtig gefährlich sieht Sabo nicht aus. Das kann sich schnell ändern. Wenn sich der Texas Longhorn Bulle mit den weit ausgestellten Hörnern bedroht fühlt, richtet er seinen Kopf auf. Dann bringen 1,80 Meter Körperhöhe und satte zehn Zentner Lebendgewicht den Gegner zum Fürchten. Davon war gestern nicht die Spur. Neugierig äugte einer der größten Bullen Europas in die Kamera. Als Baby kam er vor sechs Jahren zum Zirkus Aeros. Da war er nicht mal so groß wie jetzt Fridolin. Das kleinste Bonsaipferd Deutschlands misst in der Risthöhe 60 Zentimeter.

Tierische Gegensätze, wie man sie ab morgen im Zirkus Aeros in Hoyerswerda erleben kann. Zu dessen Tierbestand gehören außerdem Pferde, Zebras und Kamele. Jedoch keine Elefanten, Tiger oder Löwen. Deren Haltung in einem Zirkus ist seit Langem heftig umstritten. „Käfighaltung ist nichts für uns“, erklärt Marvin Schmidt. Während er über den Aufbau des Zelts spricht, grasen die Kamele genüsslich auf der Wiese am Festplatz nahe dem Gondelteich. Die Tiere zu versorgen, das ist Sache aller, so der 19-Jährige. Wobei die Mädels der Truppe lieber die Pferde striegeln, während sich die Männer um die Kamele kümmern. Die Karawane besteht aus acht Wüstenschiffen und bringt einen Hauch Exotik in die Aeros-Manege.

Bei den Pferden hält sich Chantal Schmidt am liebsten auf. Wenn sie nicht gerade mit ihrer Cousine Vivian an herabhängenden Tüchern herumturnt. Die „Flying Girls“ schweben ebenso an römischen Ringen in zehn Meter Höhe – ohne jede Sicherheit. Als „Königinnen der Luft“ werden sie im Programmheft angekündigt. Aufgeregt sei sie jedesmal. Aber wenn es dann losgeht, sei das Kribbeln wie weggeblasen, erzählt Chantal. Die 18-Jährige ist im Zirkus aufgewachsen. „Wenn man so groß wird, kann man sich nichts anderes vorstellen“, sagt sie schmunzelnd. Nach Grund- und Realschule absolvierte sie eine dreijährige Ausbildung an der Artistenschule in Berlin. Wie andere Mitglieder der Aeros-Truppe auch. Reiterliches Können mit artistischem Talent gepaart bieten zum Beispiel die Geschwister Aeros mit ihrem Pas de deux auf dem Rücken edler Friesenhengste. Jongleur Benito lässt die Teller tanzen. Hingegen erinnert die Dressurkombination rassiger Vollblutaraber und sibirischer Kamele an eine Szene aus „Tausendundeiner Nacht“.

Und was wäre ein Zirkus ohne Clown? Marvin Schmidt, der ebenfalls im Zirkus aufgewachsen ist, zuckt mit den Schultern. Einfach unvorstellbar. Vor jeder Show verwandelt sich der 19-Jährige in den Spaßmacher Pauli, der für Frohsinn und Heiterkeit sorgt. Wenn er die Manege betritt, sei er aufgeregt. Schließlich erwarte das Publikum, dass er die Späße aus dem Ärmel ziehe. Für das Clownsein brauche man keine Ausbildung, aber regelmäßig trainieren, das müsse man trotzdem, erklärt Marvin Schmidt, der auch ein Feuerspucker ist. „Lampenfieber haben wir alle. Das ist auch gut so, denn das stachelt an“, sagt er.
Gestern aber hatte er es weder mit der roten Clownsnase noch mit den Flammen zu tun.

Bevor das Aeros-Orchester mit den ersten Tönen die Show beginnt, sind tausenderlei andere Handgriffe nötig. Beim Aufbau muss jeder mit anpacken. Zehn Meter ist das Zirkuszelt hoch, mit einem Durchmesser von 28 Metern. Jeder Handgriff sitzt und dennoch braucht es einige Stunden, bis alles an Ort und Stelle ist. Heute wird die Innenausstattung mit den 400 Plätzen montiert. Vor der morgigen Premiere steht die Zeltabnahme an. Das Bauamt kontrolliert, ob das Zelt sturmsicher steht, ob es Notausgänge gibt und anderes mehr. Auch das Veterinäramt des Landkreises schaut nach dem Rechten. Erst wenn die Behörden ihr Okay gegeben haben, steht den sieben Vorstellungen bis Montag auf dem Festplatz in Hoyerswerda nichts mehr im Wege. Zum fünften Mal, jeweils im Abstand von zwei Jahren, gastiert der Zirkus hier. Das Publikum habe man als sehr aufmerksam in Erinnerung.

Seit zehn Jahren gibt es Zirkus Aeros in der jetzigen Form. Nach dem Weihnachtszirkus in Leipzig startete die Truppe im Januar mit neuem Programm ihre Jubiläumstournee. Der Zirkus ist ein reiner Familienbetrieb. Seine Geschichte begann 1917 mit dem Todesspringer Todero, der eigentlich Julius Jäger hieß und gelernter Tischler war. Er baute sich selbst einen Sprungapparat und begeisterte mit seinen „Flügen“ das Publikum. Bald wurde die Presse auf ihn aufmerksam und er bekam einen Vertrag im Berliner Cirkus Busch als „Cliff Aeros“. 1942 gründete er seinen eigenen Zirkus.

1961 wurde der Zirkus Aeros in den Staatszirkus der DDR eingegliedert, 1991 privatisiert und 1997 aufgelöst. Die Namensrechte sind seither im Besitz von Georg Frank. Dessen Verwandte, Zirkusdirektorin Gisela Schmidt, die ebenfalls aus einer alten Zirkusfamilie stammt, reist seit 2005 mit ihrer Familie als Zirkus Aeros durch die Lande. Zur Truppe gehören fünf Söhne, deren Kinder und andere Verwandte. Alles in allem 30 Leute. Beinahe jede Altersgruppe hat ihre eigene Clique. Das sei richtig cool, findet Chantal und streichelt das Bonsai-Pferd.



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