Lernziel erreicht: Hoyerswerda ist toll


von Tageblatt-Redaktion

Die Dresdner Schüler an der ehemaligen Kaufhalle im Hoyerswerdaer WK IX – die Natur holt sich ein Stück Raum wieder
Die Dresdner Schüler an der ehemaligen Kaufhalle im Hoyerswerdaer WK IX – die Natur holt sich ein Stück Raum wieder

Von Anja Wallner

Sie haben nicht gerade „Hurra!“ geschrien, die Zehntklässler des Romain-Rolland-Gymnasiums Dresden, als es gegen Ende des vergangenen Schuljahres hieß, die zweitägige fächerübergreifende Geografie- und Geschichtsexkursion führe sie nach Hoyerswerda. Die Schüler des bilingualen Zweiges – sie haben vertieften Französisch-Unterricht und legen auch ein deutsch-französisches Abitur ab – hatten wahrscheinlich eher einen aufregenden Kulturtrip nach Frankreich erwartet.

Aber am Ende kam alles anders, und mittlerweile sagt Geschichts-Lehrer Kristian Raum: „Wir bräuchten ein neues Unterrichtsfach: Hoytopia“. Eine etwas andere Art des Faches „Heimatkunde“. Kristian Raum hatte die Idee, mit seinen Schülern nach Hoyerswerda zu fahren. Er ist selbst Ex-Hoyerswerdaer, hat sein Abitur Ende der 1990er-Jahre am Zuse-Gymnasium gemacht. „Es sollte bei der Exkursion um Geschichte nach 1945 gehen, um Stadt im Wandel, um Strukturprobleme, um die Frage nach Heimat und ob das vielleicht auch ein hässlicher Ort sein kann.“

Während ihrer Forschungen in der Stadt sollten die Dresdner Gymnasiasten Fragen nachgehen wie: „Ist Hoyerswerda noch zu retten?“, „Was sind die Zukunftspotenziale der Region?“, „Was kann einen Ort zur Heimat machen?“ Dabei galt es unter anderem, eine Raumanalyse in mehreren Wohnkomplexen zu erstellen und zu schauen, ob manche der kartierten Bereiche ob ihrer Struktur überhaupt noch überlebensfähig sind und wie.

Mit Hoyerswerda verband die Schüler zunächst gar nichts. Aber schon auf der Rückfahrt nach Dresden hieß es im Zug: „Wir müssen Hoyerswerda retten!“ Kristian Raum sagt, dass die Jugendlichen das durchaus „relativ ernst“ gemeint haben. „Es waren «ernste Spinnereien». Das Thema hat sie wirklich beschäftigt.“ Auf einem großen Blatt Papier haben die Schüler ihre Ideen skizziert. Ähnliches wurde auch schon bei KulturFabrik-Projekten wie der „Auszeit“ vor zwei Jahren entworfen. Da geht es um kreative Raumnutzung für wilde, große Abenteuerspielplätze, um alternative Bildungs- und Beschäftigungsorte. Warum nicht Yogakurse auf einem Plattenbau-Dach abhalten? Botanische Gärten wurden imaginär an ehemaligen Plattenbau-Standorten angelegt, auch von einem Musikfestival ist die Rede.

Der zentrale Gedanke der Schüler: Hoyerswerda lebt! Und: Mehr Leute müssen viel mehr über Hoyerswerda erfahren. Die Jugendlichen haben sich hinterher künstlerisch mit ihrem Besuch auseinandergesetzt, Bilder und Zeichnungen angefertigt, ein Video gedreht, dessen Kernbotschaft ist, dass man als Hoyerswerdaer stolz auf seine Stadt sein kann.

Dass Hoyerswerda die Schüler derart für sich einnehmen konnte, lag natürlich auch am Exkursions-Programm. Die Gäste unternahmen unter anderem eine Neustadt-Führung mit Architektin Dorit Baumeister. „Sie hat es geschafft, die Schüler zu faszinieren.“ Sie lernten den WK I kennen sowie die WK VIII und IX, sozusagen als Kontrast dazu. Sie sahen Fotos „von früher“, sahen also Hoyerswerdaer Häuser, die nicht mehr existieren.

Kristian Raum weiß selbst, was Abriss bedeutet. Das Elternhaus im WK VIII steht nicht mehr. „Meine Eltern haben in vier Wohnungen gewohnt. Drei davon sind weg.“ Die Schüler erfuhren etwas über den Anthropologen Dr. Felix Ringel, der den Hoytopia-Begriff einst ins Spiel brachte. Sie lernten Kunstprojekte wie den „Superumbau“ kennen, die eine neue Sichtweise auf die Stadt ermöglichen. Sie lauschten mit offenem Mund den Berichten, was beispielsweise mit einem Projekt wie „Auszeit“ in einem Abrissblock so möglich ist. Sie sahen aber auch Dinge, die einem das Herz bluten lassen, wie das verlassene Zuse-Gymnasium.

Kristian Raum, der alle sechs bis acht Wochen in Hoyerswerda seine Eltern besucht, wusste, welcher Anblick sie da erwarten würde. „Obwohl ich nicht erwartet habe, dass es schon so zugewachsen ist. Man kann ja nicht mal mehr in den Schulhof hineingucken.“ Städtebaulich hätte man das Haus retten müssen, meint er – und bekanntermaßen nicht nur er.

Die Exkursion wird ganz bestimmt nicht der letzte Besuch aus dem Rolland-Gymnasium gewesen sein. Eine Kollegin, die Kristian Raum begleitete, regte beispielsweise einen Kollegiumsausflug nach Hoyerswerda an. Und auch Kristian Raum selbst hat seine alte Heimatstadt neu kennengelernt, wie er sagt. „Ich habe die Stadt noch nie so gesehen. Es ist eine tolle, schwierige Stadt.“ Früher sei es als junger Mensch klar gewesen, dass man Hoyerswerda verlässt. „Jetzt würde ich länger darüber nachdenken, doch hierzubleiben.“ Von seinen Schülern hörte er im Nachhinein: „Sie haben Ihr Lernziel erreicht. Wir finden Hoyerswerda toll!“ – Ein besseres Kompliment kann es für einen Lehrer wohl kaum geben. Und für Hoyerswerda irgendwo auch nicht.

Kristian Raum jedenfalls hofft, dass der Elan der Schüler über die Ferien anhält, auch wenn das üblicherweise schwierig ist. „Vielleicht“, sagt er, „kann man das Projekt im nächsten Schuljahr weiterspinnen.“



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