Im Rausch der Geschwindigkeit


von Tageblatt-Redaktion

Tageblatt-Redakteur Ralf Grunert probierte Jetbootfahren auf dem Geierswalder See aus und war restlos begeistert.
Tageblatt-Redakteur Ralf Grunert probierte Jetbootfahren auf dem Geierswalder See aus und war restlos begeistert.

Der Wellengang ist minimal. Bestens. Für einen Ungeübten. Beide Hände an der Lenkung. Die erinnert an ein Motorrad. Ebenso der Sitz, überhaupt die ganze Haltung – und der grüne Starterknopf. Kurzer Druck mit dem linken Zeigefinger. Der Antrieb erwacht zum Leben. Kraftvoll fühlt es sich an. Das Jetboot unter mir vibriert spürbar. Logisch auch: Da scharren mehr als hundert Pferdestärken ungeduldig mit den Hufen. Kaum losgelassen, katapultieren sie das Jetboot trotz 400 Kilo Eigengewicht und mit mir als Ballast machtvoll auf den Geierswalder See hinaus.
Das Jetboot-Zentrum Lausitz an der Südböschung des Sees wird im Kielwasser schnell kleiner. Dort gab’s gerade von Lutz eine Einweisung. „Bei Problemen beide Hände in die Höhe heben, dann komme ich sofort rausgepfiffen“, sagt mein Betreuer und zeigt auf sein rotes Gefährt, das neben den beiden für den Verleih bestimmten Jetbooten startklar an einem Steg schaukelt. «Das werde ich ihm mal lieber ersparen», nehme ich mir fest vor.
Ein 700 Meter langer mit Bojen abgesteckter Rundkurs liegt vor mir. Es gibt keine Geschwindigkeitsbegrenzung. Ein Novum für ein öffentliches Gewässer in Deutschland, erfahre ich. Überhaupt handelt es sich beim Jetboot-Zentrum Lausitz um das erste Trainings- und Fahrzentrum für Jetboote in Deutschland. „Die Nachfrage ist riesengroß. Die Gäste kommen von überall her“, freut sich die Managerin Diana Walter. Ihr Blick gleitet zu einer Gruppe junger Damen. Erst Barbecue, dann Jetboot-Fahren ist deren heutiges Programm.
Mein Blick ist geradeaus gerichtet. Wow! Für den Übergang vom Schwimmen zum Gleiten auf der Wasseroberfläche braucht mein Jetboot nur Sekundenbruchteile. Ich verstärke den Zug am kleinen Hebel direkt über dem rechten Handgriff. Es ist der Gashebel. Die Digitalanzeige im Cockpit überspringt die 20-km/h-Marke. Ich ziehe weiter am Hebel.
Und ich befolge den Anfänger-Tipp von Lutz, richte meine Fahrtrichtung frontal zu den Miniwellen auf dem See aus. So wird das Seitwärts-Einschaukeln des Jetbootes vermieden. Ich schaukel nicht, bin bestens ausbalanciert. Mein Griff am Lenker wird fester. Selbstbewusster. Kurz bekomme ich die 30 auf der Geschwindigkeitsanzeige zu sehen, auch die 40. Und es geht noch schneller . . .
Viel schneller. Cracks in dieser Fun-Sportart sind mit bis zu 650 Pferdestärken unterwegs. Knapp 200 Sachen sind damit drin, die Beschleunigungswerte haarsträubend, hat Lutz schon zu spüren bekommen. Er erzählt, dass es für Fahrten mit besonders PS-starken Jetbooten spezielle Handschuhe gibt, die mit dem Lenker verbunden sind. Ohne solche Handschuhe kann es passieren, dass einem das Jetboot unterm Hintern davonfährt, der Lenker aus den Händen gerissen wird. Da macht ein Jetboot-Fahrer keine gute Figur . . .
Kann ich mit gut vorstellen. Reinfallen also besser vermeiden. Vor allem bei höheren Geschwindigkeiten. Da wirkt Wasser wie Beton. Das mag ich heute lieber nicht erleben. Meine etwas mehr als 50 km/h in diesem Moment fühlen sich schon an wie ein Tiefflug. Muss unwillkürlich an einen Sturz vor Jahren beim Wasserski-Laufen denken. Ungefähr bei dieser Geschwindigkeit. Ich kam mir vor wie ein Kieselstein. Titschend auf der Wasseroberfläche. Erst als ich langsam genug war, sank ich ein. Heute soll mir das nicht passieren. Also Konzentration. Das Jetboot jagt mit mir über die flachen Wellenkämme, beschleunigt weiter und berührt kaum noch die Wasseroberfläche.
Auf Lenkbewegungen verzichte ich. Bei aktuell 55 Sachen. Das folgt später. Ein bisschen Slalomfahren. Mal einen Kreis ins eigene Kielwasser hinein. Sprünge sind allerdings nicht drin. Das funktioniert mit einem so schweren Jetboot wie dem meinen nicht. Lutz hat mir schon vor dem Start meine Hoffnung auf ein wenig mehr Action genommen. Zum Springen sind viel leichtere Geräte nötig. Bestens eignen sich die Jetboote ohne Sitz. Auf ihnen wird gestanden. Und es sind die Teile, mit denen die Profis die verrücktesten Sachen anstellen. Saltos oder Schrauben samt Gerät sind zum Beispiel Tricks, für die es bei Freestyle-Wettbewerben viele Punkte gibt. Ein beeindruckendes Bild ist es auch, wenn Pilot und Jetboot für einen Moment unter der Wasseroberfläche verschwinden, um gleich darauf wieder wie eine Rakete in die Höhe zu schießen.
Erst vor wenigen Tagen war das auf dem Geierswalder See im Show-Teil des Internationalen Jetboot-Rennens zu bestaunen. Am 10./11 September, so erfahre ich, ist am Jetboot-Zentrum Lausitz ein Freestyle-Festival geplant.
Freestyle hat was, Geschwindigkeit aber auch. Ich genieße im Moment die pure Raserei. Die 60er Marke in meinem Blickfeld beginnt leicht zu verschwimmen. Der Fahrtwind lässt meine Augen tränen. Egal.
Wie lange bin ich seit dem Start am Strand eigentlich schon unterwegs? Es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit. Dabei sind nicht mal 20 Sekunden vergangen.
Das Jetboot und ich, wir sind eine Einheit. Die Möwe auf der Boje am äußersten Rand des Parcours kommt rasend schnell näher. Sie ist diesen Anblick gewohnt. Bewegungslos schaut sie mir entgegen. Schon bin ich vorbeigeheizt. Der Gashebel hat noch Spielraum. Knapp 80 km/h sollen drin sein. Ich ziehe weiter. 70 Sachen, 72. Dann bekomme ich auf der Geschwindigkeitsanzeige auch noch die 76 zu sehen. Der Wind verzerrt meine Gesichtszüge. Ich muss lächeln  . . .



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