Ich roll dann mal weg


von Tageblatt-Redaktion

Die von Segway vertriebenen Roller sind so konstruiert, dass sie nicht umkippen können. Anja Wallner musste dieser Technik erst vertrauen lernen.
Die von Segway vertriebenen Roller sind so konstruiert, dass sie nicht umkippen können. Anja Wallner musste dieser Technik erst vertrauen lernen.

Kaffeetassenkarussell statt Achterbahn – so lautet meine Devise. Ich suche nicht das Risiko, bin das, was man einen „Schisshasen“ nennen würde. Und da genügt eben schon eine Fahrt mit einem drolligen Elektroroller, einem Ein-Personen-Transporter, um mir des Morgens muntermachende Adrenalinschübe durch den Körper zu jagen.
Davon ahne ich noch nichts, als ich mit Ullrich Rottnick am Bärwalder See stehe. Dort, am Boxberger Strand, verleiht der 48-Jährige seit Mai dieses Jahres besagte High-Tech-Roller, die von der US-amerikanischen Firma Segway vertrieben werden.

Ich schaue skeptisch auf die rund 40 Kilogramm schweren Gefährte. Mein erster Gedanke, den ich auch gleich laut herausplatze: „Damit kippe ich um“: Das Gerät besteht aus zwei auf derselben Achse liegenden Rädern, zwischen denen Testperson Anja gleich stehen wird, und einer Art Lenkstange. „Das kann gar nicht umkippen“, sagt Ullrich Rottnick – und er wird sich gezwungen sehen, es mir wie ein Mantra noch mehrmals während unserer etwa einstündigen Tour entlang des Bärwalder Sees aufsagen zu müssen. Der Roller hält sich nämlich durch eine elektronische Antriebsregelung selbst in Balance. Gelenkt wird er per Körperbewegung, „aus der Hüfte“, wie Ullrich Rottnick erklärt. Heißt: Der Roller folgt intuitiv der Körperbewegung des Fahrers.

Bevor es losgeht, bekommen mein Kollege Gernot Menzel und ich von Ullrich Rottnick Schutzhelme aufgesetzt und müssen eine Erklärung unterschreiben, dass wir nicht an Gleichgewichtsstörungen leiden oder schwere Medikamente einnehmen. Ullrich Rottnick erklärt das Display des kleinen „Fahrradcomputers“ an der „Lenkstange“: Es zeigt den Akku-Ladestand an – eine Ladung reicht für etwa 50 Kilometer – , die Geschwindigkeit – 20 km/h sind die Obergrenze – und ein Gesicht: Lacht es, ist alles in Ordnung mit dem Gerät. Mich soll die ganze Fahrt über ein breiter Mund angrinsen, also alles bestens.

Na dann, aufsteigen, anschalten. Für mich als sichtbar ängstlichen Anfänger (ich kriege den Gedanken ans Umkippen nicht aus dem Kopf) stellt Ullrich Rottnick zunächst den „Schildkröten-Modus“ ein. Das bedeutet 9 km/h Höchstgeschwindigkeit. „Und vorbeugen!“, kommandiert der Bad Muskauer. Tatsächlich, der Ein-Personen-Transport setzt sich in Bewegung. Beugt man sich zurück, wird er langsamer und stoppt schließlich. Durch Gewichtsverlagerung werden Kurven gemeistert.

Doch erst mal sind wie bei der Fahrschule Grundfahrübungen angesagt – Slalom um Kegel. Wer hat eigentlich jemals behauptet, Frauen könnten sich in den Hüften geschmeidiger bewegen als Männer? Während Kollege Menzel elegant dahinrollt, muss ich einer Ente auf einem Rollschuh ähneln. Den Hintern herausgestreckt, stehe ich steifbeinig auf dem Gerät und klammere mich an den Haltegriffen fest. „Sehe ich sehr dämlich aus?“, frage ich meine Begleiter eher rhetorisch. Die sind höflich genug, das zu verneinen. Immerhin, ich bewege mich vorwärts; Ullrich Rottnick, der nach Jahren in Baden-Württemberg aus privaten Gründen wieder in die Heimat gekommen ist, schaltet den Schildkröten-Modus ab. „Und, jetzt eine Seerunde?“, ruft er launig.

Wir steuern auf dem Seerundweg oberhalb der Böschung erst mal Klitten an, rund neun Kilometer. Es geht geradeaus. Der Blick auf den See ist herrlich, der Roller schnurrt quasi von allein auf dem Asphalt lang. Aber mehr als 15 km/h sind bei mir (noch) nicht drin. Mir fehlt noch das Vertrauen in die Technik, um die völlig ungefährliche Fahrt richtig zu genießen. Meine Begleiter schauen sich immer wieder grinsend nach mir um. Ja, ich bin noch da! „Ich habe noch keinen Unfall erlebt“, sagt Ullrich Rottnick, der nach einer Tour in Berlin vom Segway-Virus infiziert wurde und sich entschloss, damit den bisher nach eigenen Angaben gut angelaufenen Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.

An den Wochenenden sind seine vier Roller meist ausgebucht. Viele Reservierungen lägen vor. Ab 2012 möchte er eventuell auch Touren an anderen Standorten anbieten.
Oh. Mein. Gott. Es geht bergauf (für mein Empfinden seeehr steil) und dann logischerweise bergab. „Ich kippe nach hinten!“, kreische ich und beuge mich reflexartig nach vorn. Ganz falsch. Denn jetzt werde ich noch schneller – und befinde mich zu meinem grenzenlosen Erstaunen noch stehend auf dem Roller.

Pause am Klittener Hafen. Die Beine fühlen sich ein bisschen wie Pudding an (das kommt vom Adrenalin), im Rücken und in den Armen zieht es. Letzteres, versichert mir Ullrich Rottnick, liege nur an meiner verkrampften Haltung. Aber einen gewissen Fitness-Faktor hätten die Roller schon, allein wegen der Körper-Steuerung. Kollege Menzel vergleicht den Nachher-Effekt mit Trampolinspringen.

Nach der Pause wieder aufgestiegen – und plötzlich geht alles wie geschmiert. Vertrauen statt Skepsis, lockeres Stehen statt krampfigem Festklammern. Die 20 km/h erreiche ich locker und hänge – weil leichter – meine Begleiter ab. Ist die Höchstgeschwindigkeit erlangt, bremst das Ein-Mann-Fahrzeug von allein ab. Lässig winke ich entgegenkommenden Radlern und Fußgängern zu. Ätsch, ich bin ja auf einem viel cooleren Gefährt unterwegs als ihr! Anhalten? Auf der Stelle drehen? Alles kein Problem mehr. Jetzt merke ich erst mal, wie wendig der kleine Roller eigentlich ist.

Die Rückfahrt nach Boxberg verläuft merklich schneller, und sie ist leider auch viel zu schnell vorbei. Ich brauchte eben eine gewisse Anlaufphase, um mit der Technik warm zu werden. Jetzt würde ich gern noch eine Runde drehen. Aber das Versäumte lässt sich ja irgendwann nachholen. Angst? Wer hat hier Angst? Ich bin die Roller-Queen vom Bärwalder See!



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