Herbst 1991: Reicht die Erinnerung daran aus?


von Tageblatt-Redaktion

Schon im vorigen Jahr gab es in Hoyerswerda eine Pogrom-91-Demonstration
Schon im vorigen Jahr gab es in Hoyerswerda eine Pogrom-91-Demonstration

Eine von den Behörden nicht näher benannte Privatperson hat für Sonnabend eine Demonstration in Hoyerswerda angemeldet. Motto: "Gegen rassistische Zustände! Für ein Denkmal und die Entschädigung der Betroffenen des Pogroms von 1991!" Eine Initiative "Pogrom 91", deren Sprecher, ein 25-jähriger Ex-Hoyerswerdaer, sich hinter dem Pseudonym Mathias Bucher verbirgt, wirft der Stadt und ihren Bewohnern vor, nur die Wenigsten hier seien bereit, "sich offensiv mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen". Die Mehrheitsgesellschaft in Hoyerswerda sei "nach wie vor rassistisch". Man wolle bei der Demonstration "der örtlichen Verdrängungskultur auf die Füße treten". Inzwischen hat "Pogrom 91" auf die Empörung der Hoyerswerdaer bezüglich dieser Anschuldigungen reagiert und erklärt, man mache "nicht jeden einzelnen Bürger Hoyerswerdas für die Ereignisse von 1991 oder für aktuelle Neonaziprobleme verantwortlich". Nachlesen kann man das im Einzelnen hier: http://pogrom91.tumblr.com/ Lausitzer Rundschau, Hoyerswerdaer Tageblatt, Wochenkurier und Elsterwelle haben aufgrund der Vorwürfe Repräsentanten der Stadt gefragt: Tut Hoyerswerda genug für die Aufarbeitung der ausländerfeindlichen Ãœbergriffe im September 1991? Hier sind die Antworten:

Stefan Skora, Oberbürgermeister: Die Aufarbeitung der fremdenfeindlichen Ausschreitungen ist in Hoyerswerda umfänglich erfolgt, wovon nicht zuletzt Dokumentationen oder Ausstellungen zeugen. Die Erinnerung an diese Geschehnisse wachzuhalten, die Lehren daraus zu ziehen und sich gemeinsam für Demokratie, Toleranz und Vielfalt, gegen Rechtsextremismus und Ausländerhass zu engagieren - dafür kann man nie genug tun.

Horst-Dieter Brähmig, Oberbürgermeister a.D.: Inhaltlich hat sich seit den Übergriffen im September 1991 sehr viel in Hoyerswerda getan. Ich möchte dabei nur an die vielen Projekte der RAA, an die deutsch-deutsche Jugendkonferenz in Hoyerswerda, an die Gründung des Johanneums vor 20 Jahren sowie an viele internationale Jugendbegegnungen erinnern. Aufklärung bleibt jedoch immer eine Aufgabe für uns. Wer das zur Seite wischt, bietet Kritikern neuen Nährboden. Es ist offensichtlich aber noch nicht genug getan worden. Es fehlt bislang eine geschlossene, überzeugende und nachhaltige Dokumentation über die Schlussfolgerungen und die daraus resultierenden Projekte, die es in Hoyerswerda seit 1991 in großer Zahl gibt.

Regina Elsner, Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten: Genug kann man nie tun. Gerade beim Kampf gegen den Rassismus muss man ständig neu mit der Jugend arbeiten. Aber es kann von außen keiner sagen, was Hoyerswerda tun sollte, ohne darüber Bescheid zu wissen, was Hoyerswerda tut. Wir schämen uns für das, was 1991 hier passiert ist. Aber wir haben seit 1991 sehr viel getan, damit unsere Jugend erkennt, wohin Rassismus führt. Unser Projekt „Wider das Vergessen“ zum Beispiel beschäftigt sich mit den entsprechenden Gefahren. Wir waren mit hunderten Jugendlichen im KZ Auschwitz und haben zu Jahresanfang immer Zeitzeugen hier, die sagen, wohin so etwas führt.

Friedhart Vogel, evangelischer Pfarrer: Ich bin der Ansicht, es wird genug getan. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit wird dieser Frage nicht ausgewichen. Ich denke dabei zum Beispiel an das Christliche Gymnasium Johanneum, das dieser Tage sein 20-jähriges Bestehen feiert. Sowohl in den Beiträgen der Festschrift als auch in den verschiedenen Grußworten beim Festakt wurde fast jedes Mal Bezug genommen auf jene Ereignisse im September 1991. Nicht zuletzt ist gerade diese Bildungsanstalt in Hoyerswerda mit dem vordringlichen Zweck der Erziehung zu Toleranz und gegen Fremdenhass sowie Fremdenfeindlichkeit entstanden.

Uwe Proksch, Geschäftsführer der KulturFabrik: Nicht nur unsere Stadt hat ein Problem mit rechtem Gedankengut und entsprechenden Aktivitäten, sondern unsere ganze Gesellschaft. Und eine Demokratie wird wohl auch damit leben müssen. Das heißt aber nicht, dass man rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut unwidersprochen stehen lassen darf. Aufgrund der fremdenfeindlichen Ausschreitungen von 1991 ist jedoch gerade Hoyerswerda verpflichtet, bei diesem Thema immer wieder Stellung zu beziehen. Unzählige Aktivitäten von verschiedenen Einrichtungen und Institutionen haben dies in den zurückliegenden Jahren in vorbildlicher Weise getan und werden es auch in Zukunft tun. Aber vielleicht sind diese Signale gerade wegen der großen überregionalen Aufmerksamkeit bei diesem Thema für unsere Stadt zu klein? Ich denke manchmal, solange das große bürgerschaftliche Signal, das klare Bekenntnis der Zivilgesellschaft zu diesem Thema ausbleibt, wird es keine Ruhe für Hoyerswerda geben. Vielleicht brauchen wir ein großes Zeichen, damit dann die Akteure vor Ort auch mit gestärktem Rücken wieder an die wichtige tägliche Arbeit gehen können?

Martin Schmidt, Vorsitzender des Kunstvereins, CDU-Stadtrat und ehemaliger Sozial-Bürgermeister: Dass Flüchtlinge aus anderen Ländern 1991 in Hoyerswerda angegriffen wurden, bleibt eine Schande für uns, die wir damals hier lebten. Seither schufen Bürger ideenreich und einsatzfreudig Stätten und Brücken zu Mitbürgern aus anderen Ländern, mit anderen Glaubens- und Lebensweisen. Für diese Aufgabe muss jede Generation eigene Wege finden. Nicht Beschimpfungen und laute Parolen helfen, sondern Zivilcourage, Gespräche Auge in Auge, Lernbereitschaft und tätige Liebe.

Carmen Lötsch, Geschäftsführerin der Zoo, Kultur und Bildung gGmbH, zugewandert aus Baden-Württemberg: Die Ereignisse von 1991 haben einen festen Platz in der Erinnerungskultur der Stadt. Die Aufarbeitung ist angemessen und wird vor allem auch denen gerecht, die sich damals gegen die Ausschreitungen gestellt haben sowie den Vielen, die sich bis heute engagieren. Und mit Engagement meine ich nicht „lautes Geschrei“, sondern gelebte Gastfreundschaft – wie ich sie in Hoyerswerda kennen gelernt habe. Wer über andere urteilen möchte, sollte sich zunächst einmal die Mühe machen, sie kennen zu lernen.

Helga Nickich, Vorstandschefin der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven (RAA): Alles, was in unserer Kraft steht, haben wir gemeinsam mit der Stadtspitze, fraktionsübergreifend und mit vielen Vereinen in Hoyerswerda seit 1991 getan. Ob es ausreichend ist, kann niemand sagen. Jedoch sprechen die Zahlen für sich: Allein in Projekten für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit hat die RAA in den vergangenen 20 Jahren mit mehr als 35000 Kindern und Jugendlichen gearbeitet. Das bedeutet: Sie sind in Kontakt mit diesem Thema. Das tun Schüler nicht nur, weil es im Unterricht vorkommt und es von ihnen verlangt wird. Eine Vielzahl von ihnen beschäftigt sich auch in der Freizeit damit und forscht weiter. Schließlich haben Schulen in der Stadt den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ nicht umsonst erhalten. Den Titel „Stadt der Vielfalt“ hat Hoyerswerda vor allem aufgrund seiner vielen Initiativen bekommen.

Barbara Wittig, ehemalige Bundestagsabgeordnete der SPD: Unzählige Bürgerinnen und Bürger aus Hoyerswerda und Umgebung haben mit ihren Initiativen und Projekten in Schulen, Vereinen oder auf offener Straße dafür gesorgt, dass die ausländerfeindlichen Ausschreitungen von 1991 aufgearbeitet wurden und dadurch nicht vergessen werden konnten. Es gab und gibt keine "Ruhe für Hoyerswerda" in dieser Hinsicht! Schüleraustausch, solidarisches und tolerantes Miteinander und Gespräche in den Familien wirken sich ebenfalls positiv auf die Atmosphäre in der Stadt aus.
Dass die Mehrheitsgesellschaft in Hoyerswerda nach wie vor rassistisch sei, wie es "Pogrom 91" behauptet, ist eine Verunglimpfung und Beleidigung eben dieser Mehrheitsgesellschaft in Hoyerswerda.

Jörg Michel, Initiative Zivilcourage: Wer ist eigentlich 'Hoyerswerda'? Wer muss sich hier befragen lassen? Sind damit nur die Repräsentanten der Stadtpolitik gemeint? Oder bei diesem speziellen Thema die Kirchengemeinden mit der ihr aufgetragenen Botschaft "Ihr sollt auch die Fremdlinge lieben" (5.Mose 10,19)? Oder ist gar jede/r einzelne Bewohner/in dieser Stadt gemeint? Dann wird die Frage plötzlich konkret: Tust Du genug für die Aufarbeitung? Machst Du den Mund auf, wenn neben Dir jemand rassistisch angemacht wird oder jemand einen Witz reißt auf Kosten von Ausländern, Schwulen oder Juden? Ich für meine Person schäme mich für manch verpasste Chance, ganz konkret Zivilcourage zu zeigen. Und Sie, liebe Leserin, lieber Leser? Tun Sie schon genug?

Zur Umfrage der vier Hoyerswerdaer Medienhäuser veröffentlichten zudem Oberbürgermeister Stefan Skora (CDU) sowie die Stadtrats-Fraktionsvorsitzenden Uwe Blazejczyk (SPD), Ralf Haenel (Linke), Frank Hirche (CDU-FDP) und Ralf Zeidler (Freie Wähler) die folgende Erklärung:

Hoyerswerda ist und bleibt ein Ort der Vielfalt

Vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Ausschreitungen von 1991 entwickelten sich in Hoyerswerda zahlreiche Projekte, Aktionen und Initiativen - für Demokratie, Toleranz und Vielfalt, gegen Rechtsextremismus und Ausländerhass. Seit vielen Jahren und mit großem Erfolg bilden Bürgerinnen und Bürger, Vereine und Initiativen, Schulen und andere Einrichtungen, Kirchenvertreter und Politiker, lokale Medien, Parteien, Unternehmen und Behörden eine breite Basis für vielfältige Aktivitäten, die auf alle Bereiche des städtischen Lebens zielen. Die Palette reicht dabei von Spontanaktionen wie „HÄNDE GEGEN RECHTS“ über die Anstrengungen der Initiative Zivilcourage sowie vielfältige Veranstaltungen der Kulturfabrik oder des Kunstvereins bis hin zum alljährlichen gemeinsamen Projekt von RAA und VVN-BdA „Wider das Vergessen“, in dem sich mittlerweile viele hundert Schülerinnen und Schüler mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten. Dies sind nur einige wenige Beispiele. Nicht von ungefähr wurde Hoyerswerda vor zwei Jahren als „Ort der Vielfalt“ ausgezeichnet. 

Dieser Tage findet wieder bundesweit die jährliche Interkulturelle Woche statt. Auch bei uns in Hoyerswerda beteiligen sich daran viele lokale Akteure, mit unterschiedlichsten Angeboten. Kinder verschiedener Nationalitäten und Kulturen, die den Hort „An der Lindenschule“ besuchen, gestalten dort gemeinsam eine „Mauer der Toleranz“. Die Schüler der Kopernikus-Schule erleben eine „Bewegte Pause“, bei der sie die (Spiel-)Kultur anderer Länder entdecken können. Organisiert von Mitarbeitern des Sozialraumteams und des CVJM machen sich Hoyerswerdaer Kinder mit Spielzeug und Bastelmaterial auf den Weg ins Asylbewerberheim Kamenz, um zusammen mit den dortigen Kindern den Nachmittag zu verbringen. Und dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der Veranstaltungsfülle.

Den Auftakt zu dieser Woche bildete die Eröffnung der Ausstellung „Fenster 91“ zum Projekt „Mitwisser gesucht“ (Kulturfabrik Hoyerswerda und RAA Hoyerswerda/Ostsachsen), in welchem sich zahlreiche Jugendliche ein Jahr lang mit den ausländerfeindlichen Übergriffen im September ´91 auseinandersetzten und damit gleichzeitig einen weiteren Beitrag zu deren Aufarbeitung leisteten.

Die zwanzigste Jährung nahm der Oberbürgermeister zum Anlass, sich namens der Stadt öffentlich bei den Betroffenen zu entschuldigen. Auch künftig wollen und werden wir die schlimmen Geschehnisse keinesfalls verdrängen oder verharmlosen. Ganz entschieden wenden wir uns aber gegen die Bezeichnung als Pogrom, da dieser Begriff fest mit der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus verbunden ist. Genauso entschieden weisen wir es zurück, wenn einige überregionale Medien und Aktionsgruppen die Stadt Hoyerswerda und uns alle, als Bürgerinnen und Bürger, in Bausch und Bogen verunglimpfen. Man unterstellt uns „kollektives Verdrängen“ und behauptet sogar, dass „die Mehrheitsgesellschaft in Hoyerswerda nach wie vor rassistisch ist“. Dabei will man offensichtlich das breite Engagement in unserer Stadt für Vielfalt und Toleranz, gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit gar nicht sehen, denn es passt nicht in deren vorgefasste Meinungen.

Mit der Schaffung eines würdigen und angemessenen Ortes des Gedenkens soll künftig dauerhaft an die Ausschreitungen in Hoyerswerda erinnert werden. Wir ermuntern auf diesem Weg nochmals ausdrücklich dazu, sich bis zum 31. Oktober dieses Jahres an dem von der Stadt ausgelobten Ideenwettbewerb zu beteiligen.

http://www.hoyerswerda.de/documente/Wettbewerb/K%C3%BCnstlerischer%20Wettbewerb_Herbst91.pdf

 



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