Heilen wie im Mittelalter


von Tageblatt-Redaktion

Eiternde Wunden waren vor 800 Jahren gute Wunden. Zur Not wurden sie eben ausgebrannt. Dazu gab es das passende medizinische Besteck.  Foto: GM
Eiternde Wunden waren vor 800 Jahren gute Wunden. Zur Not wurden sie eben ausgebrannt. Dazu gab es das passende medizinische Besteck. Foto: GM

Wohl bei den meisten Jungs nehmen irgendwann in ihrer Kindheit Burgen eine große Bedeutung ein. Dann wird Ritter gespielt, und zwar so, wie man sich heute als Junge eben das Mittelalter vorstellt. Dabei denkt keiner an die damals übliche medizinische Wundversorgung. Wohl auch besser so. Denn dann wäre die Lust am Ritterspiel ziemlich schnell vorbei.

Mit der medizinischen Versorgung und der Hygiene war es aus heutiger Sicht im Mittelalter nicht weit her, auch wenn sich viele Menschen in Deutschland heute gern mit Naturheilkunde und dem überlieferten Wissen der vor über 800 Jahren gestorbenen Hildegard von Bingen beschäftigen. Wer es genauer wissen will, der kann sich im Saal des Hoyerswerdaer Schlosses derzeit die Ausstellung „Heilkunst im Mittelalter“ zu Gemüte führen. Am Dienstag wurde sie eröffnet. Ausstellungsmacherin Dr. Alice Selinger führte kurzweilig und dennoch fundiert in das Thema ein.

Es war eine Zeit, in der es keine Ärzte gab. Medizinisches Wissen war in Europa bis ins 12. Jahrhundert den Klöstern vorbehalten. Die 500 Rezepte aus dem Lorscher Arzneibuch von 795 sind ein beredtes Zeugnis dafür. Das normale Volk blieb mit seinen Krankheiten allein. Quacksalber und Scharlatane hatten ihr Auskommen. Kräuterfrauen schöpften wiederum aus einem profunden Wissen, das aber nicht schriftlich überliefert wurde.

Und so einleuchtend manches der alten natürlichen Heilmittel auch heute ist – es sind für etliche Zipperlein Rezepte überliefert, die einfach nur eklig sind. Wer zum Beispiel wissen will, wofür eine Dreckapotheke einst gut sein sollte – der kommt in der Ausstellung auf seine Kosten. Unabhängig davon kann man sich an verschiedenen Wandtafeln belesen, natürlich auch über Hildegard von Bingen. In Vitrinen wird anschaulich dargestellt, welche Instrumente einer mittelalterlichen Heil-Fachkraft so zur Verfügung standen. Die Bedeutung von Johanneskraut, Weihrauch und Bibergeil wird näher beleuchtet. Der Wundbehandlung ist nebenan eine eigene Vitrine gewidmet.

Doch das Wissen um Medizin und Heilung entwickelte sich immer weiter. Mit der Schule von Salerno in Süditalien, wo Wissen aus dem europäischen und dem arabischen Raum zusammenkam, entstand die vielleicht erste medizinische Fachschule Europas – noch bevor die ersten Universitäten gegründet wurden.

Das mittelalterliche Naturheilwissen erlebt heute, da es für jedes echte und erfundene Leiden ein industriell gefertigtes Mittelchen gibt, eine Renaissance. Auf der Insel Reichenau im Bodensee gibt es beispielsweise einen gutbesuchten Garten, mit 26 Heilpflanzen, die im 9. Jahrhundert beschrieben wurden. Denn etwas Heilwissen kann nicht schaden – auch wenn bei Ritterspiel-Verletzungen die Eltern der betroffenen Jungs meist froh sind, einen Sanikasten zu haben – oder die Rettungsstelle eines Krankenhauses in der Nähe. (US)



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