Freudensprünge auf 2 500 Metern Höhe


von Tageblatt-Redaktion

Mit ihrer Südamerikatour erfüllte sich Henriette Förster einen Traum. Sie reiste durch Chile, Argentinien, Uruguay, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien. Im Hintergrund ist ein Teil des Urubamba-Flusses in Peru zu sehen.
Mit ihrer Südamerikatour erfüllte sich Henriette Förster einen Traum. Sie reiste durch Chile, Argentinien, Uruguay, Bolivien, Peru, Ecuador und Kolumbien. Im Hintergrund ist ein Teil des Urubamba-Flusses in Peru zu sehen.

Ein wenig „ge-jetlagged“ ist sie noch. Und die Moskitostiche sind noch nicht ganz abgeheilt. Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs ist es nur wenige Tage her, dass Henriette Förster von ihrem fünfmonatigen Aufenthalt in Südamerika zurückgekehrt ist. Die abenteuerliche Reise von März bis Juli durch sieben Länder war praktisch „drumherumgestrickt“ um ein sechswöchiges Praktikum in einer peruanischen Musikschule. Henriette stammt ursprünglich aus Lauta, hat am Lessing-Gymnasium die Musikspezialklasse besucht und nach dem Abi in Berlin Musik und Englisch studiert. Und zur Uni muss sie nach den aufregenden Monaten nun wieder zurück – die Masterarbeit wartet.
Dass sie sich quasi allein durch den fremden Kontinent schlug, das sei ein „Familiending“, sagt Henriette. Ihre Schwester Julia – über ihre Weltreise hatten wir vor 14 Tagen an dieser Stelle berichtet – war schon in Südamerika, ihr Cousin ebenso. Die 27-Jährige wollte das auch alles sehen. Reisen – auch mit dem Rucksack – ist für sie nichts Unbekanntes. In Indonesien war sie schon, in Afrika…
Und nun Südamerika, ohne ein Wort Spanisch zu können übrigens (das hat sich mittlerweile grundlegend geändert). Ihre zu der Zeit weltreisende Schwester Julia, mit der sie die ersten Wochen verbrachte, schickte sie gleich zu Beginn in Chile zum Lebensmitteleinkauf. Die schauspielerisch begabte Henriette spielte der Verkäuferin vor, was sie haben wollte. „Sie hat sich weggehauen vor Lachen.“ Und alles richtig verstanden.
In Chile bestiegen die Schwestern mit einem Guide (und mit Hilfe eines Eispickels) den rund 2 800 Meter hohen Vulkan Villarica. Der ist aktiv und spuckt alle paar Jahre Lava – und tat dies justament, als die Gruppe in den Krater hineinschaute. „Krass!“, kann Henriette dazu nur sagen. Aber wer glaubt, dass die Bergsteiger nun ängstlich machten, dass sie davonkamen, irrt: Zunächst warteten sie ab, ob der Vulkan nochmal „brodelt“ – und traten die Rücktour nur dehalb recht schnell an, weil sie noch ein ziemliches Stück Weg vor sich hatten.
Von Chile aus ging es nach Argentinien und Uruguay; schließlich nach Bolivien. Ab hier war Henriette auf sich allein gestellt. Schwester Julia reiste zurück nach Hause. „Sie entließ mich mit einem etwas mulmigen Gefühl, weil sie natürlich als große Schwester immer ihre Tigertatze über mir hatte und nun sollte ich allein weiterziehen…“, beschreibt Henriette ihre Gedanken in ihrem Blog. Prompt verpasste sie auch beinahe ihren Flug in die bolivianische Hauptstadt La Paz. Zum Glück nur beinahe. Die Herausforderung in La Paz: die Höhe. Die Stadt liegt auf zirka 4 000 Metern. „Das Aufsetzen des Rucksacks im höchsten Flughafen der Welt hat sich angefühlt wie ein Marathonlauf“, schildert Henriette ihren ersten Eindruck. Auf etwa gleicher Höhe hatte die Wahl-Berlinerin ein weiteres überwältigendes Erlebnis: Sie besuchte den Salar de Uyuni, der größte Salzsee der Welt, im Zuge einer mehrtägigen Tour mit anderen Travellern durch das Altiplano, das ist eine Hochebene zwischen den Ost- und Westanden. „Unglaublich beeindruckend“ sei diese endlose, glatte, weiße Weite gewesen. „Das Salz fühlt sich an wie fester Schnee. Es ist so fest, man kann mit Jeeps darüberfahren.“ „Salzig“ war auch die Unterkunft, denn der Boden, die Betten, Tische und Stühle waren aus Salz.
Nach Bolivien wartete Peru. Vor dem Praktikum machte sich Henriette auf zu wohl der Sehenswürdigkeit schlechthin: Machu Picchu, die alte Inkafestung auf über 2 000 Metern Höhe. Vier Tage war sie mit drei anderen Reisenden und zwei Guides auf dem Inka-Trail unterwegs, ist währenddessen keinen anderen Menschen begegnet. Geschlafen wurde in Zelten in der Natur. Die Tour sei wahnsinnig anstrengend gewesen, aber mit vielen Zeugnissen der Inka-Kultur am Wegesrand, so dass der „Wow“-Effekt am Ziel – auch vor Erschöpfung – etwas ausblieb. „Wir waren eher berauscht von diesen vier Tagen auf der Strecke.“ Zur Belohnung gönnten sich die Wanderer ein Mahl mit – Meerschweinchen. In Peru eine teure Delikatesse, die bei Einheimischen nur selten auf den Tisch kommt. „Es schmeckt wie Hühnchen“, meint Henriette, die zwar probierte, aber das Tierchen nicht mit Genuss verputzte. „Die werden mit Kopf, Zähnen und Pfoten serviert“, erzählt die Studentin angewidert.
Nicht weniger abenteuerlich ging es nach dem Praktikum weiter, bei einer dreitägigen Dschungeltour ins peruanische Amazonasgebiet. Zum Ausgangspunkt ging‘s per Bus auf Schotterpisten durch die Berge. Zwölf Stunden Fahrt für 120 Kilometer, nur ein Fahrer, alle Insassen Einheimische, bis auf eine einzige weiße Touristin. „Das war ein merkwürdiges Gefühl“, erinnert sich Henriette, die die Leute „einfach vollquatschte“, um nicht so fremd zu wirken.
In den Dschungel fahren Fährboote, die verschiedene Orte ansteuern. Man steigt aus, sucht sich einen (vertrauenswürdigen) Guide, wechselt ins Holzkanu und dann ab ins grüne Dickicht. Zu Essen gab es auf dem Fährboot übrigens morgens, mittags und abends Haferbrei, Kochbananen, trockene Brötchen; auf dem Dschungelkanu Reis und Kochbananen (Henriette: „Die kann ich nicht mehr sehen!“).
Die drei Tage im Dschungel reichen nicht aus, um richtig viele Tiere zu sehen, erzählt die 27-Jährige. „Aber es war okay so.“ Tukanen sind sie begegnet, Faultieren und – Riesenspinnen. „Das war echt eklig!“ Eine saß beispielsweise auf einem Ast, der von einem Baum ins Wasser hing. Das Boot fuhr darauf zu, man musste den Kopf ducken, sonst… Bei den Frauen – eine belgische Rucksacktouristin war mit im Boot – war das Geschrei natürlich groß. „Und die Guides haben sich darüber kaputtgelacht.“
Zwei Tage steckten die beiden Touristinnen danach noch in der Stadt fest, in der das Fährboot zurück in die Zivilisation anlegen sollte. Man weiß nur nie genau, wann es anlegt. Das waren zwei Tage praktisch im Niemandsland, mit spartanischer Unterkunft und noch spartanischerem Nahrungsangebot. „Der Markt öffnet früh um 4 und ist um 8 leergekauft.“ Zwei Brötchen am Tag, mehr gab es da nicht zu essen.
Was hat sie mitgenommen aus den fünf Monaten? „Eine Erfahrung fürs Leben“, sagt Henriette. „Die Spontanität war toll, man fährt einfach los, irgendwie kommt man an.“ Sie schwärmt auch von den bunten Märkten, dem Reichtum an exotischen, ihr zum Teil völlig unbekannten Früchten, den hunderten Kartoffelsorten… Einerseits sei da eben dieser Reichtum an Nahrungsmitteln, andererseits seien viele Menschen bettelarm, es mangele an Bildung, die Wohnzustände seien zum Teil katastrophal. Und auf manche Abenteuer könnte man sicher auch verzichten, wie die unheimliche Bustour als einzige Touristin mitten durchs Guerilla-Gebiet in Kolumbien. Panzer und Armee überall. Fünf Stunden Fahrt für 80 Kilometer. Aber einen anderen Weg in die ecuadorianische Hauptstadt Quito – um von dort den Rückflug nach Deutschland anzutreten! – gab es nicht.
Schon die Zwischenbilanz der Reise, die die angehende Musiklehrerin vor der Praktikums-Pause im Mai in Peru aufstellte, liest sich beeindruckend: Rund 150 Stunden hatte sie bis dahin im Bus verbracht, war zwölf Mal geflogen, hatte in 21 Hostels geschlafen und rund 30 Städte gesehen. Sie war am höchstgelegenen schiffbaren Gewässer der Welt, dem Titicacasee, und entdeckte den Großen Wagen am Himmel „verkehrtherum“.
Nochmal nach Südamerika? Auf jeden Fall. Aber dann mit ihrem Freund.

 Mehr Texte und Bilder: http://jetteinsuedamerika.blogspot.de



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