Eintauchen in eine preußische und französische Welt


von Tageblatt-Redaktion

Kärrnerarbeit war es gewesen. Mühselig. Dieses mitunter fast fiebrige Suchen nach Fakten, Daten, Zahlen, um wenigstens ein paar kleine Details zu erhalten. Um zu verstehen, was sich da in den Nachmittagsstunden des 19. Mai auf dem Eichberg zugetragen hat. Vor 200 Jahren. Drei lange Jahre benötigte Ralf Schramm dazu. Dann war es geschafft.
An wie vielen Tagen er bis tief in die Nacht recherchiert, Bücher gelesen, im Internet Quellenstudium betrieben hat, er weiß es nicht mehr. Drei Jahre können eine lange Zeit sein. Es gibt Leute, die haben nicht so viel Beharrlichkeit, hören auf, weil sie sich das Dasein eines Buchautors anders vorgestellt haben. Ralf Schramm wollte das eigentlich auch nie werden: jemand, der seine Illusionen, seine Träume in Worte kleidet, sie niederschreibt, um im besten Fall davon zu leben. Denn der Hermsdorfer ist ein Mensch mit Bodenhaftung. Geerdet würde man auch sagen. Drei Jahre. Das Ziel war klar umrissen. „Ich wollte das einfach schaffen. Unbedingt“, erzählt der 46-Jährige. Das Geschaffene steht seit einigen Tagen in seinem Büro. In zwei Kisten. 200 Bücher.

Ralf Schramm greift sich eines der Exemplare, reißt die Hülle auf, blättert in dem schmalen Buch herum. „Ein Bestseller wird es sicher nicht werden.“ Sein Gesicht zeigt dabei kein Gefühl der Enttäuschung. Er ist doch Realist. Schramm reicht es, wenn er es den Menschen verkaufen kann, die damit etwas anfangen können. Der Kreis der Interessenten ist in der Region recht überschaubar. Wer interessiere sich schon für das, was sich am 19. Mai 1813 am Eichberg zugetragen habe? Außer ihm sicher nur noch eine Handvoll Heimatforscher, vielleicht noch der ein oder andere Ortschronist. Aber möglicherweise täuscht sich ja der Geschäftsführer der Betonwerke Schramm. Vielleicht wird die Atmosphäre auf der Gedenkveranstaltung am 19. Mai, wo er einige Exemplare verkaufen will, eine sein, die den Absatz seines Fachbuchs fördert. Zumindest hat er für diesen Tag den Preis heruntergesetzt.

Als Kind hatte es Schramm häufig auf den bei Weißig liegenden Eichberg gezogen. Er hatte sich über das knapp zehn Meter hohe Denkmal gewundert und sich häufig gefragt, was an jenem Tag wirklich passiert sei. Sein Interesse für die regionale Geschichte wuchs und der Eichberg spielte dabei eine große Rolle. Zu DDR-Zeit habe es ja nicht sehr viel Informationen über diese Schlacht zwischen Franzosen und den mit den Preußen verbündeten Russen gegeben. Genau genommen gab es fast gar nichts. Nach der Wende beschäftigte sich Schramm intensiver mit dem, was sich in den Tagen vor und nach dieser Auseinandersetzung getan hatte. Die Namen der Beteiligten kommen ihm flüssig über die Lippen.

Ney, Lauriston, Blücher, Yorck. Die, die bei den Geschehnissen das Sagen hatten, die die Truppen führten.
Als er vor einigen Jahren wieder einmal mit Werner Sporka, der Mitglied des Königswarthaer Geschichtsvereins ist, und dem Historiker Joachim Rühle zusammensaß und man sich wieder über die Geschehnisse am Eichberg austauschte, hatte Rühle ihn im Scherz gefragt, wann er denn mal ein Buch darüber schreibe. Für Schramm war das der Auslöser, es zu versuchen. Er, der doch noch nie ein Buch geschrieben hatte. Daran gedacht hatte er sicher schon einmal. Wie so viele. Doch die wenigsten tun es. Doch wie geht man so ein Vorhaben an? Und ganz wichtig: Wie viel Zeit braucht man dazu? Der gelernte Elektriker wusste es nicht. Für ihn war nur klar, dass er nach Feierabend eine Menge Arbeit haben würde. Aber „ich habe das in keiner Minute so empfunden“, beschreibt er es. Natürlich hatte er viel von seiner ohnedies knappen Freizeit opfern müssen, die Familie musste zurückstecken. Aber es lohnte sich für ihn.

„Das Recherchieren war für mich wie eine Entdeckungsreise.“ Ein Ausgraben. Ein Schürfen in der Heimatgeschichte. Eine Umschreibung dafür, dass er bei der Arbeit für dieses Buch auch zu neuen Erkenntnissen kam. Dass am Eichberg in jenen Tagen manche Dinge doch anders abgelaufen sind als bisher angenommen. Nach Feierabend sei er in eine andere Welt abgetaucht.

Eine, in der französisch, russisch oder italienisch gesprochen wurde. So manche Quelle, so manchen Hinweis musste er erst übersetzen lassen. Dann war ihm das Korpstagebuch des französischen Generals Lauriston in die Hände gefallen. Der seine Truppen gegen die auf der Anhöhe verschanzten Preußen und Russen geführt hatte. Schramm bekam einen Nachdruck. In deutscher Übersetzung. Für jemanden wie Schramm ein Schatz, eine Goldgrube. Aus der er aber nicht so schöpfen konnte, wie er sich das vorgestellt hatte. Denn: „Ich habe dieses Tagebuch relativ spät erhalten.“ Einige wesentliche Informationen, die bisher noch nicht bekannt waren, die hat er noch in sein Manuskript einfließen lassen. Schramm hat ein Sachbuch geschrieben, in dem knapp 140 Seiten umfassenden Werk werden die Vorbereitung auf diese Auseinandersetzung am Eichberg und deren Ablauf detalliert beschrieben.

Das Geschehen in romanhafter Form zu schildern, das erschien ihm abwegig. „Das hätte ich mir auch nicht so richtig zugetraut“, gibt er zu. Etliche Zeichnungen sind in seinem Werk enthalten, zeigen den Schlachtverlauf, die Aufstellung aller an der Auseinandersetzung beteiligten Regimenter. Es ist aber auch ein Buch, das die Fantasie des Lesers weckt.
Gibt es etwas, das ihn bei der Recherche beeindruckt hat? Auf jeden Fall. Aber es ist nicht dieses erbitterte gegenseitige Abschlachten, von dem in den Chroniken oft die Rede ist. Der Hermsdorfer erzählt, dass ihn etwas anderes nachdenklich gemacht habe. Das Schicksal der elf Kinder des Generalleutnants von Yorck, der sich am Eichberg einige Stunden gegen die französische Übermacht hatte halten können. Denn: „Als der alte Yorck starb, lebte nur noch eines seiner elf Kinder.“ Das müsse doch dem als „eisenfressend“ beschriebenen Feldherrn bestimmt sehr zugesetzt haben, vermutet Schramm.

Wenn der Hermsdorfer Heimatforscher gelegentlich auf dem Eichberg ist, dann, um die Natur dort zu genießen. Stellt er sich da nicht gelegentlich vor, wie es damals gewesen sein könnte? Ganz ehrlich, er wolle da seine Fantasie nicht bemühen. Sich vorzustellen, wie an diesem Ort gekämpft, geblutet und geweint wurde, nein, nein, auf keinen Fall. „Krieg ist einfach grausam“, findet er. Ob zur napoleonischen Zeit oder in der Gegenwart. Er wolle mit diesem Buch nicht die Befreiungskriege verherrlichen. Nur daran erinnern, was in seiner Heimat einmal passiert ist.
Ralf Schramm schließt nicht aus, dass er noch ein weiteres Buch schreiben wird. Dieses Mal vielleicht doch einen Roman? Auf keinen Fall. Ein Sachbuch soll es wieder sein. Eines über ein Regiment, das damals auch an den Kämpfen am Eichberg beteiligt war. Das ostpreußische Regiment.



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