Einmal bis an die Grenzen gehen


von Tageblatt-Redaktion

Eine Beregnungsanlage sorgt unter anderem dafür, dass auf dem Übungsgelände am Sachsenring nicht nur nasse, sondern auch glatte Fahrbahnen simuliert werden können. Foto: Könen
Eine Beregnungsanlage sorgt unter anderem dafür, dass auf dem Übungsgelände am Sachsenring nicht nur nasse, sondern auch glatte Fahrbahnen simuliert werden können. Foto: Könen

Von Rainer Könen

Die Geschwindigkeit nimmt zu. Die Tachonadel klettert rapide nach oben. Fünfzig, sechzig Stundenkilometer. Noch nicht genug.

Erst als Dirk Droth die 70 Stundenkilometer erreicht hat, schießt das Adrenalin durch seinen Körper. Da, das Hindernis taucht nun plötzlich wenige Meter vor ihm auf. Er umgreift noch fester das Lenkrad. Kurz zuvor hat er über Funk die Anweisung bekommen, was er nun tun muss. Das Lenkrad schnell nach links drehen. Und das machen, was man in solch einer Lage intuitiv tut. Die Bremsen des tonnenschweren Gefährts quietschen, es riecht nach verbranntem Gummi und schon nach wenigen Metern steht der Bus. Am anderen Ende der Funkverbindung sieht man einen zufrieden ausschauenden Alexander Lauckner, Fahrsicherheitstrainer am Sachsenring.

„Ja, das sah doch sehr gut aus“, schnarrt es aus dem Funkgerät. Dirk Droth schaut jetzt wieder entspannt aus.
Er gehört zu den zehn Busfahrern der Hoyerswerdaer Verkehrsgesellschaft (VGH), die an diesem Tag einmal keine Fahrgäste befördern, sondern sich mit zwei Bussen in all dem üben, was diese im Fall eines Falles schützt. Auf dem Sachsenring werden kritische Situationen simuliert, um das Reaktionsvermögen, das Fahrverhalten der Busfahrer zu testen. Dass dieses Fahrsicherheitstraining ein intensives werden wird, steht für die Kraftfahrer schon kurz nach der Ankunft im Fahrerzentrum fest.

Was nicht nur an der prallen Sonne liegt, die unbarmherzig auf dem Asphalt der Übungsstrecke brennt. In den kommenden sieben Stunden ist ihre Konzentration bei Brems- und Ausweichmanövern gefordert. „Man könnte eine solche Ausbildung sicher auch theoretisch durchführen“, erzählt Fahrsicherheitslehrer Lauckner. Aber das wäre „eine sinnfreie Angelegenheit“. Also steht an diesem Tag die Praxis im Vordergrund. Und wie. Nach dem Warm-up, dazu gehört das Slalomfahren, erfolgt erst der obligatorische Fototermin. Ein Mitarbeiter des Fahrsicherheitszentrums lichtet die Gruppe ab.

„Ihr könnt euch im Internet bewundern“, meint er. In der nächsten Runde stehen Bremsübungen auf dem Programm. Wie das ist, wenn so ein Mehrtonner bei 70 Stundenkilometern plötzlich abbremst, das erleben auch die Kollegen von Droth hautnah. Denn einige haben im Fahrgastraum Platz genommen. „Du hast eines der Hütchen umgefahren“, ruft ihm einer von hinten zu. Droth reagiert darauf nicht, er bringt den Wagen sicher zum Stehen.

Eigentlich fährt der Disponent der Verkehrsbetriebe nicht allzu oft, aber auch für ihn gilt wie für die übrigen 33 bei der VGH beschäftigten Fahrer gilt: ein Fahrsicherheitstraining ist Pflicht. Das sieht schon die Weiterbildungsverordnung für Busfahrer vor. Da muss ein Fahrsicherheitstraining, das aus fünf Modulen zu je sieben Stunden besteht, innerhalb von fünf Jahren absolviert werden.

Nach der Mittagspause geht es in den Schulungsraum. Ganz ohne Theorie geht es nun doch nicht. Extremverhalten in Kurven steht auf dem Programm. Für Lauckner ist das auch die Zeit, sich den anderen mit der einen oder anderen Anekdote aus seinem Leben als Bundeswehr-Fahrlehrer vorzustellen.

Dass so ein Fahrsicherheitstraining nicht nur bierernst daherkommen, sondern auch ein wenig Spaß machen soll – Lauckner weiß wie. Dazu gibt es einen Schleuderkurs in einem Sportwagen. Am Steuer sitzt der Fahrtrainer. Auf nassem Untergrund zeigt er, wie man einem Hindernis ausweicht. Das Auto dreht sich rapide im Kreis, dann kommt es zum Stillstand. Die Gesichter der aussteigenden Busfahrer zeigen es, diese Fahrt sei „ja unglaublich irre“ gewesen, meint einer.

Aber ein solches Fahrsicherheitstraining kommt natürlich nicht ohne Steigerungen aus. Lauckner hat ein gutes Gespür für die Teilnehmer dieses Fahrsicherheitstrainings. Er lobt, er muntert auf, wenn sich die Fahrer über ein umgefahrenes rot-weißes Hütchen ärgern. „Man merkt, dass das hier Berufskraftfahrer sind“, erzählt er. Die Aufgaben würden sehr routiniert und bewusst angegangen. Die meisten VGH-Kraftfahrer haben schon einmal ein solches Fahrsicherheitstraining durchgeführt.

 Merkt man. Nach den einfachen Fahrübungen, den Bremstests aus 30 und aus 50 Kilometern pro Stunde, den Slalomfahrten auf trockener und nasser Fahrbahn, sollen die Buslenker nun einmal die Grenzen ihrer Fahrzeuge austesten. Es geht in den Kreisel. Da sollen die Fahrer erst langsam ran, über Funk bittet Lauckner die mitfahrenden Busfahrer, sich hinten zu platzieren und während der Fahrt nach vorne zu gehen. Sieht ziemlich schräg aus, wie sich die Mitfahrenden nach vorne vorarbeiten. Die Fliehkräfte, sie sind im Mittelteil des Wagens am stärksten.

Am späten Nachmittag legt Lauckner eine kleine Pause ein. Zeit für ein kurzes Resümee. Er ist zufrieden und möchte die Fahrer mit einer Rundfahrt über den Sachsenring belohnen. Aber zuvor müssen erst einmal die Rennwagen in die Boxengasse. Ein Zeichen über Funk, Lauckner setzt sich in seinen als Medical Car gezeichneten Wagen, die beiden Busse folgen ihm. Wer in die Augen der Fahrer schaut, ahnt, dass hier so mancher auch einmal langrasen möchte, mit einem Boliden. Zwar kein Bolide, sondern nur ein Audi ist es, mit dem Lauckner kurz darauf demonstriert, wie das ist, wenn man auf einer neunprozentigen Gefällestrecke auf spiegelglatter Fahrbahn ins Schleudern gerät.

 Mit rund 80 Stundenkilometern rast er in dieses Gefällestück ein, bremst, und dann dreht er sich nur, wie ein Kirmeskreisel. Natürlich, bevor die Busse hier ihre letzte Station absolvieren, nimmt Lauckner diejenigen mit, die sich trauen. Mit 50 Stundenkilometern den Bus auf einer abfallenden Strecke, die glatt ist, sicher zum Halten zu bringen, das ist an diesem späten Nachmittag noch einmal eine Herausforderung. So mancher überfährt denn auch die plötzlich aus dem Boden hochspritzenden Wasserfontänen, die das Hindernis darstellen. Jeder hat zwei Durchgänge, dann ist es genug. Den Teilnehmern brummt der Schädel. So ein Sicherheitstraining, konstatiert Fahrtrainer Lauckner, koste schon eine Menge Konzentration.

Am Ende gibt es Zertifikate, die Teilnehmerurkunden. „Die könnt ihr euch daheim aufhängen“, scherzt Lauckner. Ein befreiendes Lachen in der Runde. Der eine oder andere bestellt sich noch einen Kaffee. Dann geht es auf die Autobahn, Richtung Hoyerswerda. Mit der Gewissheit, dass alle beim Fahrsicherheitstraining einen guten Job gemacht haben.



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