Eine saubere Sache


von Tageblatt-Redaktion

Industrietaucher Sascha Gothe war gestern mehrere Stunden unter Wasser.
Industrietaucher Sascha Gothe war gestern mehrere Stunden unter Wasser.

Eine Stunde lang war von Sascha Gothe gestern nichts zu sehen. Nur Luftblasen an der Wasseroberfläche. Der Mann tauchte im Schlammbecken der Kläranlage Lohsa. Ein Scheinwerfer nützt hier nichts. Es gibt einfach nichts zu sehen. Als Industrietaucher müssen Leute wie Gothe gutes Fingerspitzengefühl besitzen. Laien mögen die Arbeit als ziemlich eklig empfinden. Aber hier stinkt nichts und Gothes Kollege André Uhl am Beckenrand sagt: „Das ist eine ziemlich saubere Sache.“

Relativ sauber muss es auch sein im Belebungsbecken, wo mit Hilfe von Bakterien die Schadstoffe des Abwassers abgebaut werden, oder anders gesagt: Es darf nichts verstopfen. „Es ist das Herzstück der Anlage“, sagt Hans-Jürgen Metan, Leiter des Abwasserentsorgungsbetriebes bei den Versorgungsbetrieben Hoyerswerda (VBH). Die VBH ist für den technischen Betrieb der Kläranlage zuständig. Seit 1997 werden hier die Abwässer von etwa 2 500 Einwohnern aus Lohsa und Weißkollm gereinigt. Dass nun auch Industrietaucher in dem Becken waren, liegt an der Grundreinigung, die alle 15 bis 20 Jahre nötig ist. „Man kann die Anlage nicht einfach abschalten“, erklärt Metan. Sie arbeite also weiter eingeschränkt, während im dunklen Becken fleißig geputzt wird.

Dafür gibt es Spezialfirmen. Taucher Sascha Gothe und seine beiden Kollegen André Uhl und Dirk Thiele kommen vom Tauchbetrieb S. Richter aus Schenefeld bei Hamburg. Industrietaucher reparieren zum Beispiel Brücken, Tunnel oder montieren an Windparks in der Nordsee. Es gibt ein paar hundert Handwerker in Deutschland, die unter Wasser arbeiten, die Jobs sind gefragt und rar. Konzentration und eine stabile Psyche sind dafür nötig. Die Taucher müssen körperlich fit sein, viele kommen von der Bundeswehr. Die Männer im Lohsaer Klärwerk haben sich auf Kläranlagen spezialisiert. Dirk Thiele war früher Tauchlehrer, Sascha Gothe Kfz-Schlosser. Ihre Aufgabe: Das Becken von sogenannten Verzopfungen befreien. Das meiste, was Leute die Toilette herunterspülen, wird zwar schon vor dem Belebungsbecken herausgefiltert. Aber faserige Stoffe und Haare setzen der Anlage zu. Lüfterkerzen, die helfen, dass die Bakterien im Becken in Bewegung bleiben, werden also freigespült. Der Schlamm wandert durch einen armdicken Schlauch in einen Transportwagen.

Als Einziger des Trios geht André Uhl nicht ins Wasser. Er ist der Signalmann und für die Überwachung an der Oberfläche zuständig. Er wartet die Technik und zieht die Taucher an und aus. Etwa 35 Kilogramm wiegt eine Ausrüstung. Darunter ziehen sich die Taucher zwei, drei Lagen Baumwolle, um den Schweiß aufzusaugen. Uhl sagt, er sehe oft schmutziger aus als seine Kollegen. Deren Anzüge sind absolut dicht, der Spezialhelm wird auf die Öffnung aufgeschraubt. Unterwegs sind die Männer mit einem Transporter, der nicht nur Standheizung und Klimaanlage hat. Fest installiert sind zwei Kompressoren. „Wir haben alles doppelt mit“, sagt Uhl. Auch die gelben Schläuche für die Luftversorgung sowie die rote Telefon- und Zugleine. Am Rand des Beckens steht eine kleine, robuste gelbe Telefonbox, aus der mitunter die Stimme des Tauchers zu hören ist. Mehrere Stunden kann er unter Wasser bleiben. Wenn das Wasser wie gestern etwa 10 Grad kühl ist, klappt das gut. Steigt es über die Körpertemperatur helfen Wasserschläuche zur Kühlung. André Uhl sagt, die Arbeit zehrt an den Kräften. Mitunter sei es wie etwa 50 Liegestütze in der Sauna. Aber irgendwann ist auch Feierabend und am Wochenende sind die Männer bei ihren Familien. Und Leute wie Sascha Gothe, der privat in einem Tauchverein ist, kommen dann auch mit etwas anderem in Kontakt als mit Schlamm oder was sonst noch in so einem Becken schwimmt. Wer es unbedingt wissen will: Das sind unter anderem Vogelskelette, Kondome oder auch Rasierklingen.



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