Ein Provisorium für den Neubau einer Stadt

Hoyerswerda. Dr. Peter Wehle war ein sehr junger Ingenieur, als er vor 67 Jahren beim Hoyerswerdaer Aufbaustab anheuerte. Der Aufbau aus dem Begriff war schon im Gange – anfänglich noch gesteuert aus Berlin. Am 15. Juni 1957 war im WK I der Grundstein für die Neustadt gelegt worden; zwei Jahre vorher begann in der Altstadt die Stadterweiterung. Dieses Datum, der 31. August 1955, war der Anlass dafür, dass Peter Wehle und sein einstiger Kollege aus dem Aufbaustab, Klaus Richter, am Sonntag ein Tuch von einer neuen Gedenktafel ziehen durften. Noch sind ihre beiden Teile vertauscht – eine Korrektur soll folgen.

Wehle, der erste Statiker des Aufbaustabes, war – wie so viele - ein Zuzügler. Er habe, als man hier begann, das Braunkohle-Kombinat Schwarze Pumpe zu errichten, erst einmal auf eine Landkarte schauen müssen: „Da war nur Wald – und ich dachte: Was soll ich da?“ Nun, er blieb, lebt heute unweit der neuen Gedenktafel in der Fritz-Heckert-Siedlung. Die Tafel steht in einem Gewerbegebiet, dessen Name sich ausschließlich Eingeweihten erschließt: 1.000-Mann-Lager.

Konstanze Niemz sang zur Feierstunde am sonnigen Sonntagvormittag unter anderem passenderweise mit allen das Steigerlied, aber auch: „Es waren tausend“, wobei das ehrlicherweise niemand so richtig gezählt hat. Jedenfalls geht es um all die Leute, die damals nach Hoyerswerda kamen, um an der Erweiterung der Stadt mitzuwirken. Weil Platz knapp war, entstand zunächst eine Barackenstadt, eben das 1.000-Mann-Lager – mit Pförtnerloge, Wohn-Baracken, Küche samt Speisesaal und sogar einem Kindergarten. Später, als die, die hierblieben, nach und nach in neue Wohnungen ziehen konnten, wurde das Lager umgenutzt: Man fand hier die Schule für Zivilverteidigung, die Berufsschule – und auch die Planer der neuen Stadt.
Bis zum Anfang der 1990er beherbergte eine Baracke sogar das Finanzamt. Die Historie dieses Ortes, von der Museumschefin Kerstin Noack sagt, „von hier aus begann die Geschichte einer Stadt, die bis in die 1980er wuchs“, wird auf der Gedenktafel dargestellt. Sie ist Resultat einer Zusammenarbeit des Stadtmuseums mit jenen Leuten, die sich darum bemühen, den „Grünen Saum“ Wirklichkeit werden zu lassen – jenen Rundweg, der beim Spazieren oder Wandern Erlebnisse erlauben soll.

Die Tafel ist nach der Blühwiese an der Luxemburgstraße, dem Jugendtreff am Foucault-Gymnasium und dem Grillplatz am Gondelteich der vierte Streich des Umsetzungsbeirates. An der Attraktivierung des Freizeitkomplexes Ost wird aktuell geplant. Es gilt schließlich heute wie damals, interessant zu sein oder zu werden. „Es ging nicht, ohne Menschen anzusiedeln“, sagte am Sonntag Dr. Günter Seifert vom Freundeskreis für Energie- und Bergbaugeschichte über die Errichtung des Kombinates sowie das Entstehen der Werkssiedlung dafür. Und das klingt gegenwärtig genauso. „Ohne Zuzug wird der Strukturwandel nicht gelingen“, hört man schon seit Monaten wieder und wieder.
Das Wie ist jedoch Gegenstand von Disput und – wie damals – ökonomischen Zwängen. Angela Johanning vom Kunstvereins-Freundeskreis las vor der Tafel-Enthüllung einen verschollenen und wiederentdeckten Zeitungsartikel von Brigitte Reimann (1933 – 1973) vor, der 1965 in der Lausitzer Rundschau erschien und sich mit Siegfried Wagner beschäftigte, der von 1964 bis 1969 vom 1.000-Mann-Lager aus Hoyerswerdas Stadtarchitekt war.

Architektin und Stadträtin (Mandat Bündnis 90 / Die Grünen) Dorit Baumeister mahnte, es brauche auch heute wieder einen Stadtplaner oder eine Stadtplanerin, „um Prozesse gut zu steuern, um hohe Qualität zu erreichen. Man müsse aus der Vergangenheit lernen, so etwas Fachleute machen zu lassen. „Wir brauchen hier wieder eine gute, funktionierende Stadtplanung“ stimmte Oberbürgermeister Torsten Ruban-Zeh (SPD) zu. Freilich hat sich schon mehrfach gezeigt, dass Stadträtin und OB in der Diskussion um das Immobilienprojekt Neue Kühnichter Heide – heute im Grunde bestellt von Aldi wie damals die Neustadt vom Kombinat bestellt war – sehr unterschiedliche Positionen haben. Das Gewerbegebiet 1.000-Mann-Lager soll sich unterdessen weiter füllen. Die Stadt hat zuletzt jedenfalls einige Quadratmeter verkauft – direkt gegenüber der Gedenktafel.
Mirko Kolodziej
Die Tafel steht an der Kreuzung Schubertallee / Edisonstraße.
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