Doppeltes Glück
Von Hagen Linke
Es war am Samstag vor der Bühne beim Stadtlauf in Hoyerswerda, wo sich Silvia Müller ihren linken Unterarm umklammerte und gestand: „Ich bekomme heute noch Gänsehaut.“ Auf der Bühne stand ihr Sohn Christian. Er lief am Samstag nicht mit. Der 27-Jährige war Ehrengast. Ein Weltmeister aus Hoyerswerda. Eine knappe Woche zuvor hat der Radsportler bei der Amateur-WM im dänischen Aalborg den Titel im Straßenrennen gewonnen. Im Gepäck hatte er da schon Silber. Gewonnen drei Tage zuvor beim Einzelzeitfahren. „Besser hätte es nicht kommen können“, strahlte Christian und drückte seine Freundin. Besser hätte es nicht kommen können: Freundin Katharina sicherte sich an gleicher Stelle beide Titel.
Ein Teil dieser Erfolgsgeschichte fängt in Hoyerswerda an. Eher spät, vor neun Jahren, begann der hochgewachsene Christian mit dem Radsport beim Sportclub Hoyerswerda. Im Verein hatte ihn seine Trainerin Carola Neubecker schon beim Tischtennis betreut. Das Talent zeigte sich schnell. Es dauerte noch drei, vier Jahre, bis Christian die Sportart ambitioniert ausübte. Schon bald steckt er mit seiner Radsportbegeisterung auch die Eltern an und die geben ihm die Unterstützung. „Das Studium stand aber immer an erster Stelle“, sagt Mutter Silvia. „Auch für ihn.“
Christian Müller studierte Jura in Berlin, absolvierte sein Referendariat in Dresden und zog Ende 2014 zu seiner Liebe nach Senden bei Münster, der Heimat von Katharina. Seine Freundin hatte er, es liegt nahe, beim Radsport kennengelernt. Er ist nun Richter am Landgericht in Bielefeld, sie Diplom-Rechtspflegerin.
Beide Sportler fahren „nebenbei“ Rad. Um bei der Amateur-Tour des Weltverbandes UCI mitmachen zu dürfen, haben die beiden vom Team Bürstner-Dümo-Cycling eine Lizenz. Beim vorletzten Qualifikations-Rennen in Sankt Johann schafften beide den Sprung zur WM. In Tirol waren sie Mitte August mit dem Wohnmobil, fuhren nach Hause zum Wäschewaschen und Trainieren und gleich weiter nach Dänemark. Mehr als 3 000 Kilometer kamen allein mit dem Wohnmobil zusammen.
Eine Medaille beim Zeitfahren war Christians Ziel. In der Disziplin ist er Spezialist, aber trotz perfekter Vorbereitung kann immer etwas dazwischenkommen. Wie in Dänemark. Zwei Stunden vor dem Start regnete es heftig. „Die Strecke war sehr rutschig“, berichtet Müller, der als Erster von 60 Startern auf die knapp 19 Kilometer lange Strecke ging. Und es lief perfekt. „Ich hätte keine Sekunde schneller sein können“, blickt Christian zurück. Seine Mutter litt im Ziel, als einer nach dem anderen folgte. „Ich dachte, mein Herz bleibt stehen.“ Hinter dem erstplatzierten Franzosen, der neun Sekunden Vorsprung hatte, kam Christian Müller als Zweiter ins Ziel, 0,4 Sekunden vor dem Dritten und vier Sekunden vor dem Vierten.
Mit der Medaille in der Tasche war das Straßenrennen die schönste Zugabe. Schon nach 10 der 170 Kilometer attackierte ein Belgier, ein Däne schloss sich ihm an – und Christian Müller. „Ich bin bis 20 Kilometer vor dem Ziel davon ausgegangen, dass die anderen uns noch einholen“, sagt Müller. Aber nichts dergleichen. Müller konnte seine beiden Begleiter abschütteln und alleine jubelnd durchs Ziel fahren.
Nun haben er und seine Freundin das Weltmeistertrikot mit den Regenbogenfarben. Bei allen Rennen des Bundes Deutscher Rennfahrer werden sie es tragen. Nächstes Jahr findet die WM in Australien statt. Ein lohnenswertes Ziel. Und der Wechsel zu den Profis? Der findet wohl kaum statt. Beide Weltmeister haben eine sichere Stelle im Öffentlichen Dienst. „Wer mit dem Radsport Geld verdienen muss, hat großen Druck“, sagt Müller. So bleibt es bei 15 bis 20 Stunden pro Woche auf dem Rennrad und fast jedes Wochenende auf Reisen. Der Ausflug nach Hause hat sich am Wochenende gelohnt, nicht nur wegen der Familie. Am Sonntag startete Müller beim Klassiker Cottbus – Görlitz – Cottbus und gewann.
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