Der Start war ein regelrechter Kraftakt


von Tageblatt-Redaktion

Der Garten bietet den Bewohnern zahlreiche Möglichkeiten, sich zu betätigen
Der Garten bietet den Bewohnern zahlreiche Möglichkeiten, sich zu betätigen

Solche Fragen wie am Anfang des Jahrtausends hört Ina Koch kaum noch. „Sind das Sexualstraftäter oder klauen die uns die Radkappen“, wollten vor allem Kühnichter wissen, als hier im Jahr 2000 der Bau der Sozialtherapeutischen Wohnstätte für chronisch psychisch kranke Menschen begann. Inzwischen ist das kleine Ensemble am Schilfweg zehn Jahre alt, Ina Koch ebenso lange Wohnstättenleiterin. Sie sagt, zu den allermeisten Nachbarn gebe es ein gutes Verhältnis mit Gesprächen über den Gartenzaun und mitunter auch tätiger Hilfe der Nachbarn. Sie sind auch zur Geburtstagsfeier eingeladen, ebenso wie Vertreter von Behörden oder Politiker. Einladungen sind an Unternehmen gegangen, mit denen die Wohnstätte zusammenarbeitet und natürlich an den Kommunalen Sozialverband. Er ist für die Finanzierung der Einrichtung verantwortlich, die vom Sozialverband VdK betrieben wird. Es hatte etwas gedauert, bis die Wohnstätte am 1. Oktober 2003 ihren Betrieb aufnehmen konnte. Querelen beim Bau hatten zwischenzeitlich für einen Baustopp gesorgt. Parallel aber hatten Ina Koch und andere den Einzug der Bewohner vorzubereiten, zum Beispiel mit gesetzlichen Vertretern, Behörden und eben dem Geldgeber zu verhandeln. „Es war ein richtiger Kraftakt“, sagt Ina Koch. Und dann war eben auch noch Aufklärungsarbeit nötig, um die Nachbarn zu informieren. Die Wohnstättenleiterin ist mittlerweile gut geübt darin, in Kürze zu erklären, was bitteschön jene 32 Frauen und Männer ausmacht, die am Schilfweg 2 leben. „Das sind Menschen wie Sie und ich, die einmal im Berufsleben standen. Es hat sie genetisch getroffen oder sie sind durch persönliche Umstände krank geworden“, schildert sie. Die Botschaft: Psychische Krankheiten wie tiefe Depressionen, Schizophrenie oder andere Persönlichkeitsstörungen können eigentlich jeden Menschen treffen.
Für die Akutbehandlung gibt es in der Region die Fachkrankenhäuser in Großschweidnitz und in Arnsdorf. Wohnstätten wie die in Kühnicht sind im Anschluss daran dazu gedacht, die Patienten weiter zu stabilisieren. Wobei: Von Patienten spricht in Kühnicht niemand. Respektvoll werden die Bewohner Klienten genannt – ebenso wie jene schon recht stabilen Frauen und Männer, die vom VdK in einer Außenwohngruppe mit acht Plätzen im WK IX betreut werden. Denn Ziel ist es, dass die Betroffenen eines Tages wieder in eigene Wohnungen einziehen können. Die VdK-Mitarbeiter besuchen sie dann noch eine Weile, um nach dem Rechten zu sehen. „ABW“ heißt das – ambulant betreutes Wohnen.
Doch meist ist es bis dahin ein langer Weg. In Kühnicht geht es unter anderem um eine klare Tagesstruktur, um Musik- und Ergotherapie oder um Freizeitgestaltung im Wohnstättenchor beziehungsweise im großen Garten rund um die vier Wohnhäuser. Bilder der Chronik der letzten zehn Jahre zeigen unter anderem, wie er sich nach und nach von einem kahlen Areal in ein Kleinod verwandelt hat. Manche Bewohner arbeiten bei den Lausitzer Werkstätten, andere helfen Öko-Landwirt Ulrich Schmidt. Und weil die Bewohner eben sehr individuelle Betreuung brauchen, hat die Wohnstätte gerade einen weiteren regelrechten Kraftakt hinter sich gebracht. Ihre 19 Mitarbeiter haben sich nämlich überlegt, die Wohngruppen so zu verändern, dass die Bewohner besser zueinanderpassen. Beispiel: Wer morgens früh zur Arbeit fährt, soll andere nicht stören, die noch im Bett bleiben können. Also leben alle „Arbeiter“ nun zusammen.
Die nötigen Umzüge zu organisieren, war eine kleine Meisterleistung. Natürlich musste den Bewohnern einfühlsam erklärt werden, warum sie nötig sind. Dann mussten Zimmer freigezogen werden, bevor jemand Neues einziehen konnte. „Nun stehen nur noch zwei Umzüge an“, sagt Ina Koch mit Stolz auf ihre Kollegen. Natürlich werden auch sie zum Geburtstag bedacht. „Ich kann Ihnen aber leider nicht sagen, wie. Es soll schließlich eine Überraschung sein“, erklärt die Wohnstätten-Chefin.



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