Bestellungen aus dem Neuwieser Telefonhäuschen


von Tageblatt-Redaktion

Auf Retro ist sie gemacht, die Kawasaki W 800, auf der Uwe Zippack gerade sitzt. In der Maschine versteckt sich aber die neueste Technik. Ähnliche Modelle gab es Ende der 60er-Jahre schon mal. Das Motorrad ist inzwischen nach Berlin verkauft worden.
Auf Retro ist sie gemacht, die Kawasaki W 800, auf der Uwe Zippack gerade sitzt. In der Maschine versteckt sich aber die neueste Technik. Ähnliche Modelle gab es Ende der 60er-Jahre schon mal. Das Motorrad ist inzwischen nach Berlin verkauft worden.

Von Anja Wallner

Stellen Sie sich vor, Sie sind selbstständiger Unternehmer, haben aber keinen Telefonanschluss. Stellen Sie sich vor, Sie haben ihr Geschäft nur einmal pro Woche geöffnet, aber danach genug Arbeit für ein bis zwei Wochen. Klingt absurd? Im „wilden Osten“ war das durchaus nicht unüblich. Uwe Zippack hat es genau so erlebt. Der Inhaber von Zweiradtechnik Zippack im Elsterheider Ortsteil Neuwiese hatte sich am 1. September 1989 mit einem MZ-Service selbstständig gemacht – Reparatur und Garantie-Durchsichten der im VEB Motorradwerk Zschopau hergestellten Fahrzeuge. Der Verkauf lief damals ausschließlich über den IFA-Vertrieb.

Im September 1989 zeichnete sich die Wende bereits ab. Das Gewerbe beantragt hatte Uwe Zippack schon ein paar Jahre zuvor. „Das hat sich hingezogen. Privates Gewerbe war damals ein rotes Tuch“, erinnert sich der Fachschulingenieur für Fahrzeugtechnik, der vor seiner Selbstständigkeit im Tagebau Welzow-Süd tätig war und sich um die Motorräder kümmerte. Im Tagebau war man damals mit Motorrädern unterwegs. Allein im BKW Welzow gab es rund 500 Motorräder und Mopeds.
Als Ein-Mann-Betrieb mit einem Vertrag mit dem Zschopauer Werk in der Tasche begann Uwe Zippack in seiner Werkstatt in Neuwiese praktisch bei null.

Ein Tag in der Woche war zur Reparaturannahme geöffnet. Danach war massenhaft Arbeit da. „Die Werkstatt war immer rappelvoll“, erinnert sich Ehefrau Monika Zippack, die seit 1990 im Geschäft mitarbeitet. Manchmal gab es kaum Platz zum Arbeiten, so war alles mit Zweirädern, hauptsächlich aus Bergbaubetrieben, vollgestellt. „Ansonsten sind wir viel herumgefahren, bis Zschopau, Ersatzteile holen.“ An so etwas wie Versand war nicht zu denken. Und eben auch nicht an ein eigenes Telefon. „Die ersten Bestellungen haben wir auf einen A-4-Block geschrieben und haben sie in der Telefonzelle nach Zschopau durchgegeben.“

Erst 1991 bekam die Werkstatt einen Anschluss – den des Dorfkonsums, der zuvor schließen musste … Heute Geschichten zum Schmunzeln, damals war es wahrscheinlich weniger witzig. Das Thema rappelvolles Haus hatte sich sich zum 1. Juli 1990 mit der Einführung der D-Mark schlagartig erledigt: „Es hieß: Alle Reparaturen einstellen“, blickt Uwe Zippack zurück. „Alle haben das Geld zusammengehalten.“ Ein Rahmenvertrag mit dem Bergbauunternehmen Laubag half Zippacks in der ersten Zeit: Im Geschäft wurden bestehende alte MZs repariert.

„Das war eine feine Sache“, sagt Uwe Zippack, der 1990 einen Mitarbeiter einstellen konnte, der heute noch für ihn tätig ist. Jedoch war nach zwei, drei Jahren Schluss: Motorradfahren im Tagebau war aus Sicherheitsgründen kein Thema mehr. Dann kam Kawasaki ins Spiel. Mit der Wende eröffneten sich eben auch neue Perspektiven – man konnte Kontakte knüpfen, zu Fachmessen fahren. Einen Kawasaki-Händler gab es hier in der Ecke beispielsweise noch nicht. Die Hersteller taten sich schwer mit der Werkstatt „auf dem Dorf“. Bei Kawasaki klappte es. Seit August 1992 ist Zweiradtechnik Zippack Vertagshändler des japanischen Konzerns. „Das war die beste Entscheidung“, meint Uwe Zippack heute.

Die Kawasaki-Motorräder wurden gekauft, nach und nach ging es aufwärts mit dem Geschäft. „Die Leute haben gearbeitet, Geld verdient“, so Uwe Zippack, der anfangs auch Fahrräder im Sortiment hatte. Zudem seien die Maschinen damals praktisch nur halb so teuer gewesen wie heute. In guten Jahren, so Mitte der 90er, gingen in Neuwiese 40 neue und ungezählte gebrauchte Motorräder weg. Zippacks erweiterten 1998 den Verkaufsraum, nahmen die Marke Aprilia für ein paar Jahre ins Programm. Um die Jahrtausendwende kam der Knick.

Vielleicht setzte ein Sättigungsprozess bei den Leuten ein, vielleicht lag es auch an Problemen in anderen Branchen. Dann werden bei den Betroffenen Luxusartikel wie Motorräder zuerst gestrichen … Heute verkaufen Zippacks im Schnitt jährlich 20 bis 25 neue Motorräder. Gefragt bei den Kunden sind aber vor allem gute gebrauchte Maschinen, die sich die Neuwieser deutschlandweit heranholen. Motorrad fahren – das erfüllt das Klischee von Freiheit und Abenteuer, ist aber auch eine Geldfrage. Uwe Zippack meint, dass heute eher „gestandene“ Leute Interesse an den Maschinen bekunden.

Vor einigen Jahren seien es eher jüngere gewesen, die in der Motorrad-„Hierarchie“ langsam aufgestiegen sind: mit 16 Jahren eine 125-ccm-Maschine, mit 18 und später ab 21 die stärkeren Maschinen. Viel geändert habe auch das Internet: einerseits vielleicht generell das Freizeitverhalten von (jungen) Menschen, andererseits ist das Netz eine Informationsquelle für die Kunden. Sie informieren sich, vergleichen, wollen am Ende handeln. Klar, dass Zweiradtechnik Zippack auch den Verkauf übers Internet nutzt. Der Kunden-Einzugsbereich ist dadurch riesig geworden. „Wir verkaufen querland, haben schon Maschinen nach Ungarn, Polen, Tschechien verkauft.“

Den MZ-Service behielt Uwe Zippack nach der Wende übrigens bei, durfte dann auch MZ-Motorräder verkaufen – nur wollte die keiner mehr.



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