Auf zwei Rädern durch den Osten Kanadas


von Tageblatt-Redaktion

TAGEBLATT-Fotograf Gernot Menzel steht in der kanadischen Metropole Montreal auf der Pont de la Concorde und blickt – analog seiner Reiseroute – in östliche Richtung.
TAGEBLATT-Fotograf Gernot Menzel steht in der kanadischen Metropole Montreal auf der Pont de la Concorde und blickt – analog seiner Reiseroute – in östliche Richtung.

Eine 150-Kilometer-Fahrradtour dürfte selbst für ambitionierte Freizeitradler eine ziemliche Aufgabe sein. Schmerzende Beine und ein plattgesessenes Hinterteil am nächsten Tag lassen schön grüßen. Und nun stellen Sie sich mal vor, Sie radeln jeden Tag ungefähr diese Strecke, hauptsächlich über recht hügeliges Gelände – und zwar sechs Wochen lang. TAGEBLATT-Fotograf Gernot Menzel, der zu seinen Terminen eigentlich ausschließlich auf zwei Rädern und mit Muskelkraft unterwegs ist, hat genau das getan. Zwischen Mitte Mai und Ende Juni radelte er durch Kanada, übrigens nicht zum ersten Mal. Vor einigen Jahren schon war er von Montreal im Südosten des nordamerikanischen Staates zur Westküste unterwegs. „Und die Ecke von Montreal Richtung Osten hat noch gefehlt“, erzählt Gernot Menzel, der von Kanada fasziniert ist, seit er einst von seiner Oma ein Buch über das Land bekommen hat. Die tollen Bilder und natürlich die Abenteuerlust haben ihn über den Atlantik gelockt.

Die Vorbereitungen für den 4 500-Kilometer-Trip auf zwei Rädern haben nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Gernot passte den Antrieb seines Rennrades an das zu erwartende bergige Streckenprofil an, montierte einen GPS-Computer ans Fahrrad, plante die Streckenführung grob am Computer. Packte in seinen Rucksack Funktionskleidung, zwei Schläuche, Ersatzreifen, Multifunktionswerkzeug und natürlich eine (kleinere) Fotokamera. Das Fahrrad reiste in seinem eigenen Koffer.

Nun ist der Osten Kanadas weitaus dichter besiedelt als der Westen, so dass Gernot immer wusste, welchen Ort es als nächsten anzusteuern galt und wo es in etwa eine Übernachtungsmöglichkeit gab. „Im Gegensatz zur letzten Tour musste ich nicht im Freien übernachten“, meint der Hoyerswerdaer schmunzelnd. Das wäre bei den Wetterbedingungen auch nicht unbedingt gemütlich geworden. Eher kühl war es und sehr regnerisch. Eine Woche lang lagen die Temperaturen unter zehn Grad. Zwei Tage lang ging wegen des Dauerschüttens von oben gar nichts. Das ließ sich nicht ohne Weiteres aufholen, und so fiel der geplante Abstecher nach Neufundland dem Zeitmangel zum Opfer.

Das wochenlange Fahrradfahren wurde dem Urlauber nicht zu viel, der Regen hingegen sei schon nervig gewesen. Wie zum Beispiel, als er im St.-Lorenz-Golf von Prince-Edward-Island rund 200 Kilometer zur Insel Cape Breton fahren wollte. „Es waren Schauer angesagt, es sollte aber besser werden.“ Nichts wurde besser. Nach 70 Kilometern und null Sicht im Dauerregen musste er völlig durchnässt Zwangspause in einem teuren Hotel einlegen. „Am nächsten Tag ging‘s genauso los, das Wetter wurde dann aber tatsächlich besser.“ Nachdem er Strümpfe und Schuhsohlen ausgewrungen hatte, war die Fahrt ganz angenehm…

Auf normalen Landstraßen strampelte Gernot durchs Land. Außerhalb der großen Städte gibt es kaum Radwege – und wenige Radfahrer. Vielleicht wurde der 34-Jährige deshalb für einen Einheimischen gehalten und auf den Dörfern unterwegs von allen Menschen gegrüßt… Freundliches Nicken sei noch das Wenigste gewesen. Ein „Hello“ wurde ihm meist zugerufen oder auch gewinkt.

Auch die Autofahrer seien auf den zum Teil sehr engen Straßen sehr respektvoll und geduldig gewesen. Da wird kein Radler bedrängt, angehupt oder sich an ihm vorbeigequetscht.

Allein hat sich Gernot nicht gefühlt. „Maximal 50 Kilometer Strecke am Stück hab ich keinen Menschen, kein Haus gesehen.“ Ansonsten sei er täglich mit Einheimischen zusammengekommen. In der Jugendherberge, beim Einkaufen, in Gasthöfen…

Apropos Essen: Was verputzt man denn, wenn man täglich mehrere Stunden im Sattel sitzt und hauptsächlich in stark hügeligem, schroffem, felsigem Gelände unterwegs ist, gern mit Anstiegen von bis zu elf Prozent? „Bananen, viel Süßes, Früchte, Snickers.“ Trinken sei wichtig. Apfelschorle zum Beispiel. Ein Drei-Liter-Reservoir war im Rucksack dabei; bei längeren Strecken und höheren Temperaturen wurden schon mal fünf Liter geschluckt. In Kanada haben die Geschäfte teilweise durchgängig geöffnet, so dass man sich am Abend nach der Tour noch mit Abendessen und Frühstücksutensilien für den nächsten Tag eindecken konnte. Imbissbuden entlang der Straßen boten meist das übliche Fast-Food-Einerlei. „Totfrittiertes Huhn, das trocken schmeckt, und Pommes. Liegt schwer im Magen und bringt ernährungstechnisch nix.“ Und natürlich kehrt ein hungriger Radfahrer auch mal abends in die Gaststätte ein. „Einmal war wirklich eine doppelte Portion nötig.“ Nach „smoked meat“, also Räucherfleisch, einer Montrealer Spezialität, schob Gernot noch einen Teller Pasta hinterher. „Die haben ganz schön geguckt, als ich die Karte noch mal angefordert habe.“

Freundlich und hilfsbereit seien die Einheimischen gewesen, wiesen beispielsweise den Weg bei unvorhergesehenen Straßensperrungen. Notfalls musste man sich mit Händen und Füßen verständigen, denn in Québec, der Provinz mit dem größten frankophonen Bevölkerungsanteil, sprechen gerade Ältere gar kein Englisch.
Mit Reisen durch Kanada verbindet man natürlich auch beeindruckende Landschaften am Wegesrand, welche der Radtourist noch viel intensiver erlebt: Der St.-Lorenz-Strom mit seiner zur Mündung hin zunehmenden, geradezu unglaublichen Breite, den hohen Ufern mit atemberaubenden Ausblicken; die Atlantikküste – felsige Schären, schroffe Steilufer und feinsandige Strände; das Landesinnere von New Brunswick nördlich von St. John mit seinem ausgedehnten Flusssystem, das eher einer riesigen Seenlandschaft gleicht. Dazu jede Menge Wald und, abgesehen von den größeren Highways, nahezu leere Straßen – also der ideale Platz für einen Radurlaub.

Und wie sieht es mit Bärenbegegnungen aus? Zu Fuß unterwegs, sah Gernot tatsächlich einen kleinen Bären. Ein mulmiges Gefühl, da Mama Bär ja in der Nähe sein könnte… Angeblich sind die Bären in Québec Pflanzenfresser, greifen nur in Notwehr an. Ein Naturführer in der Jugendherberge, der Touren anbietet und Wanderrouten empfiehlt, sagte sinngemäß aber folgenden „beruhigenden“ Satz: „Gefährlich ist es eigentlich nicht. Die Rückkehrerquote unserer Gäste beträgt 90 Prozent. Von den restlichen zehn Prozent weiß man nichts Genaues. Die Bären, das Meer…“
Faule Gammeltage gab es bei Gernot nicht. Er schaute sich Montreal und Québec City an, wanderte abseits der Touristenpfade im Forillon-Nationalpark, dem ältesten in Québec.

Vom Gefühl her wäre Gernot gern noch weitergeradelt. „Körperlich kommt man in Form.“ Und auch das Rad hielt gut durch: Es gab zwei Platten, einen zwar die Weiterfahrt gefährdenden, aber reparablen Schaden und einen nach 4200 km bis auf die Karkasse abgefahrenen Hinterreifen. Aber Ersatz war ja im Gepäck.
Und wann geht’s auf die nächste Radtour? Nun, einen konkreten Plan gibt’s noch nicht, ein mögliches Ziel aber schon: Neuseeland.

Über seine Kanada-Erlebnisse berichtet Gernot Menzel mit vielen Bildern am 1. August, 20 Uhr im Auszeit-Haus im WK X an der Otto-Nagel-Straße 52



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