Als der Rohrstock auf dem Lehrerpult lag


von Tageblatt-Redaktion

Die Grundschule „Am Park“ in Hoyerswerda feiert im Sommer ihren 100. Geburtstag. Viele Generationen lernten hier bereits. Zu den Schülern gehörten Jolina Schwietzer, Frank und Edeltraud Klesse sowie Hildegard Heinrich -von links-.
Die Grundschule „Am Park“ in Hoyerswerda feiert im Sommer ihren 100. Geburtstag. Viele Generationen lernten hier bereits. Zu den Schülern gehörten Jolina Schwietzer, Frank und Edeltraud Klesse sowie Hildegard Heinrich -von links-.

Lernen müssen alle Kinder, egal ob zu Kaisers Zeiten oder in der Gegenwart. Seit 1913 kann man das auch in der ehemaligen Stadtschule, der heutigen Grundschule „Am Park“ Hoyerswerda. Anhand der Hoyerswerdaer Familie Klesse/Schwietzer, von der zwölf Mitglieder aus vier Generationen diese Bildungseinrichtung besuchten, lässt sich gut ein Blick in Vergangenheit und Gegenwart der Schulbildung werfen. Aus Sicht der heutigen Schülerin Jolina Schwietzer waren ihr älterer Bruder, ihr Vater mit seinen Geschwistern, ihre Großeltern und deren Geschwister sowie ihre Uroma an der Schule.
Die heute 90-jährige Hildegard Heinrich besuchte die Stadtschule von 1930 bis 1938 und war in einer Mädchenklasse. Der Zeit entsprechend lag auf dem Lehrerpult ein Rohrstock, erinnerte sich die alte Dame. „Zum Einsatz kam er aber nicht, weil wir 28 brave Mädchen waren.“ Die Schülerinnen erlernten die schnörkelige, altdeutsche Schreibschrift auf Schiefertafeln und benutzten später Feder und Tinte. Der übrige Fächerkanon bestand aus Mathe, Lesen, Heimatkunde, Turnen, Handarbeit, Religion, Musik und Zeichnen, wovon einige Fächer von Lehrern unterrichtet wurden. Der aufkommende Faschismus sei in der Schule kein Thema gewesen, erzählte Hildegard Heinrich. In ihrer Freizeit besuchte sie den Jung-Luisenbund, der die ehemalige preußische Königin Luise verehrte. „Wir jüngsten Mitglieder hatten hellblaue Kleider und hießen «Kornblümchen»“, erzählte die Frau.
Hildegard Heinrichs älteste Tochter Edeltraud Klesse, heute 68 Jahre alt, ihre Geschwister und ihr Sohn Frank waren zur DDR-Zeit Schüler. Edeltraud Klesse ging von 1950 bis 1958 in eine gemischte Klasse der Stadtschule, die damals schon „Ernst-Thälmann-Oberschule“ hieß. Das Schreiben erlernte sie aber noch wie ihre Mutter auf der Schiefertafel. „Wir schrieben bis Klasse 4 mit Feder und Tinte, später war der Füllhalter erlaubt“, erzählte sie und zeigte ihr altes Aufsatzheft mit einem gestochen schönen Schriftbild. Der Wandel der Zeiten brachte mit sich, dass die Schüler von Klasse 6 bis 8 Physik, Chemie und Russisch in Fachkabinetten lernten. Klassenfahrten waren damals neu und dienten zum Ablegen des Touristenabzeichens. „Wer mitwollte, musste ein ganzes Brot als Verpflegung mitbringen“, erinnerte sich Edeltraud Klesse.
Ihre Familie nutzte aber auch, wie viele andere Hoyerswerdaer Bürger, die Badewannen im Keller der Schule, die warmes Wasser aus der Leitung hatten. Dieser Luxus war vorhanden, weil das Gebäude damals schon eine Warmwasserheizung besaß, wusste die Frau zu erzählen. „Zuhause hatten wir nur eine transportable Zinkwanne und das Wasser dafür musste auf dem Herd erwärmt werden“, erklärte sie ihrer staunenden Enkelin Jolina.
Der Unterschied der Schulzeit von Edeltraud Klesse und ihrem Sohn Frank bestand vor allem darin, dass der heute 41-Jährige in den 1980er Jahren die 10. Klasse abgeschlossen hat. Das und den Aufbau des damaligen Bildungssystems fand Frank Klesse gut. Die lange gemeinsame Schulzeit führte zu einem guten Zusammenhalt in der Klasse. „Ich habe noch heute zu ehemaligen Schulfreunden Kontakt“, erzählte er. Die Schule hatte, übrigens auch schon seit 1913, eine Küche, die für Schüler und Lehrer täglich frisch kochte. Zehn Jahre habe er da gut gegessen, so Frank Klesse. „Schrecklich“ fand der Mann dagegen viele Aktivitäten an der Peripherie des Lernens. Auf die Mitgliedschaft in der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und die Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung hätte er gern verzichtet.
Nach dem Jahr 2000 besucht nun die vierte Generation der Klesse’schen Familie die ehemalige Stadtschule. Frank Klesses Sohn war vor zehn Jahren Schüler der Grundschule am Park und jetzt ist es Tochter Jolina, die hier Lesen und Rechnen lernt. Das Mädchen bekam 2009 seine prall mit Süßigkeiten, Stiften, kleinen Büchern für das Erstlesealter und Logikspielen gefüllte Zuckertüte. Überrascht war Jolina, dass in der Schultüte, die ihre Oma schenkte, zuunterst das Sportzeug lag und so für Näschereien nur noch wenig Platz blieb. Für Jolina Schwietzer, die Sport am liebsten mag, ist es etwas Besonderes, auf eine Schule zu gehen, die so viele Mitglieder ihrer Familie vor ihr schon besuchten.



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