Als der Landrat Haferflocken empfahl


von Tageblatt-Redaktion

So muss denn das Schwert entscheiden. -  Am 8. August 1914 lasen auch die Hoyerswerdaer eine Kaiser-Proklamation.
So muss denn das Schwert entscheiden. - Am 8. August 1914 lasen auch die Hoyerswerdaer eine Kaiser-Proklamation.

Von Mirko Kolodziej

Für den Knecht Matthäus Raack aus Seidewinkel begann der Erste Weltkrieg am Morgen eines Maitages im Jahr 1914. Regierungsassessor Scheffer hatte zur Musterung in den Saal von Härtels Ballhaus in Hoyerswerda geladen, das in Bälde als „Bürgerzentrum Konrad Zuse“ Wiedereinweihung feiern soll. So wie Raack hatten sich auch andere Männer des Jahrgangs 1892 einzufinden, darunter der Landarbeiter Johann Semisch aus Seidewinkel und der Knecht Nikolaus Korch aus Saalau. Kein Jahr später war Raack schon tot. Als Infanterist starb er im Februar 1915 in Frankreich. Die Namen von Semisch und Korch sind auf Verlustlisten von 1917 zu finden, die man im Internet einsehen kann. Gibt man dort den Namen „Hoyerswerda“ ein, erhält man mehr als 3 000 Einträge, die Soldaten aus der damals knapp 7 000 Menschen zählenden Stadt und ihrem Umland betreffen.

Direkte Kriegshandlungen im Sinne von Kämpfen hat es hier zwischen 1914 und 1918 zwar nicht gegeben. Aber wer im Stadtarchiv die entsprechenden Ausgaben des „Hoyerswerdaer Kreisblattes“ durchsieht, der lernt schnell, wie der Krieg auch das Leben der Stadtregion Hoyerswerda beherrschte. Nach dem August 1914 zum Beispiel finden sich in den Annoncen des Kinos „Weltspiegel“ am Schweinemarkt Filme wie „Auszug der bayerischen Löwen ins Feld“, „Unsere Truppen im Osten“ oder auch „Der Überfall auf Schloss Boncourt“, eine Reminiszenz an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Ab Ende 1914 gab es im Schützenhaus, dem späteren „Kastanienhof“ sogenannte „Vaterländische Vortragsabende“. Ihr Ziel laut der Ankündigungen dazu: „Sich einige Stunden in Gedanken innig mit den draußen für uns kämpfenden Gatten, Vätern, Söhnen und Brüdern zu vereinigen.“

Schon einen Tag nach Kriegsausbruch warnte Schlesiens Oberpräsident Hans von Guenther im „Kreisblatt“ vor Wucherpreisen bei Lebensmitteln. Anderenfalls sei er gezwungen, Preise festzulegen. Und so kam es dann bald. Zu lesen ist rasch auch von Getreide-Beschlagnahmen oder der Ausgabe von Brotkarten. Hoyerswerdas Bäcker annoncierten im Januar 1915, dass sie leider keine Rabatte mehr geben könnten. Ergänzend gab es wiederholt besorgte Aufforderungen der Behörden: „Versorgt Euch mit Vorrat an Schweinefleisch-Dauerware!“ Landrat Friedrich von Hegenscheidt war sich nicht zu schade, auf die „Zweckmäßigkeit der Verwendung von Haferflocken für die tägliche Nahrung“ hinzuweisen. Und natürlich wuchs die Zahl der Traueranzeigen. Schon im Dezember 1914 zählte Hoyerswerdas Stadtverordneten-Vorsteher Baer 15 Tote aus der Stadt auf, darunter Stadtrat Paul Schieblich, ein Anwalt. „Ich wüsste keinen, der so ohne Murren seine Akten und Schrankfächer schloss, der so froh und wohlgemut die Feder mit dem Schwert vertauscht hätte“, rief Baer ihm bei einer Sitzung im Rathaus nach.

Es starb der Sohn von Hoyerswerdas Pfarrer Paul Noack, der Wiednitzer Lehrer Paul Eichler kam in Russland um, sein Kollege Erich Baum aus Burghammer in Verdun. Die Zeitungsspalten verraten aber auch etwas über die Flucht von Kriegsgefangenen und also darüber, dass fremde Soldaten die fehlenden einheimischen Männer zum Beispiel in den Braunkohlegruben Heye bei Lauta oder Werminghoff in der Nähe des heutigen Knappenrode ersetzen mussten. Und sie verraten auch etwas über zunehmende Kriegsmüdigkeit. Anfang 1918 etwa laufen im „Weltspiegel“ fast nur noch Filme wie „Papachen macht ’nen Seitensprung“ oder „Zu Dir gehöre ich“. Im Schützenhaus gab es keine „Vaterländischen Vortragsabende“ mehr, sondern das Breslauer Gastspieltheater zeigte „Die Braut des Schmugglers“. Und schließlich forderte Landrat Friedrich von Hegenscheidt Ende November 1918 in einem Aufruf „An die Einwohnerschaft von Hoyerswerda“ in Erwartung der ersten Kriegsheimkehrer, „soweit möglich“, die Häuser zu schmücken: „Fahnen heraus!“

Während also Malermeister Otto Himmler mitteilte, er sei „aus dem Felde zurückgekehrt“ und könne sein Geschäft in der Kirchstraße 14 „in vollem Umfange“ wieder aufnehmen, musste die Freiwillige Feuerwehr Koblenz vermelden: „In den letzten Tagen des Weltkrieges fiel unser hochgeschätztes Mitglied Herr Andreas Noack.“ Und allein aus Wittichenau wurden nach einer ersten Zählung 124 Tote und zwölf Vermisste gemeldet. Doch da hatte das „Kreisblatt“ schon „Die Thronentsagung des Kaisers“ gemeldet und in derselben Ausgabe am 12. August 1918 konstatiert: „Berlin unter der roten Fahne“. In Windeseile bildeten sich in Hoyerswerda ein Arbeiter-, ein Soldaten-, ein Bauern- und ein Beamtenrat. Und für den 18. November wurde zur Bildung eines Bürgerrats ins Schützenhaus eingeladen. Ein paar Tage darauf sollte hier der AEG-Präsident und spätere Außenminister Walther Rathenau über die Wahlen zur National-Versammlung sprechen. Doch auch erneutes Unheil dräute schon. Einen Tag vor Rathenaus Rede hatte die Ortsgruppe der erst in derselben Woche gegründeten Deutsch-Nationalen Volkspartei DNVP zum selben Thema in Härtels Ballhaus eingeladen. Ein gutes Jahrzehnt später tat sie sich mit den Nationalsozialisten von der NSDAP zur Harzburger Front zusammen.

Im ersten Teil unserer Serie lesen Sie am Donnerstag, dem 10. Juli, vom Tod eines Soldaten aus Maukendorf.



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