Wiedersehen am Baustellenzaun

Regina Schwendener kehrte Anfang der 50er Jahre Hoyerswerda den Rücken. Die frisch gebackene Abiturientin begann Medizin zu studieren und lernte später ihren zukünftigen Ehemann kennen. Gleichberechtigung für Frauen war damals für viele ein Fremdwort. Auch für Reginas Ehemann, der die Meinung vertrat, dass Frauen in die Küche gehören und nicht Ärztin werden müssen. „Ich wollte anders und besser leben, mich auch beruflich entfalten können. Nach dem abgebrochenen Studium hatte ich nur meinen «Lessing-Rucksack», mehr nicht. Aber was ich erlernt hatte, half mir in meinem Leben sehr viel weiter“, sagt die heute 69-Jährige, die viele Jahre als Wissenschaftsjournalistin tätig war.
Der Kontakt zum Lessing-Gymnasium ist nie abgerissen. Die Jubiläumsfeier am Wochenende war für Regina Schwendener deshalb ein absolutes Muss. Mehr als 500 ehemalige Schüler, Besucher und Freunde des Gymnasiums nutzten die Chance, um sich von der baulichen Entwicklung der Bildungseinrichtung zu überzeugen oder über alte Zeiten zu plaudern.
Ein besseres Motto als „Baustellenparty“ hätte es nicht geben können, wird doch die Schule momentan saniert und erweitert. Bauplaner Thomas Gröbe führte Interessierte durch die beiden entstehenden Neubauten. „Die 9,5 Millionen Euro sind hier gut angelegt“, meinte eine Besucherin.
Birgit Thiem war hingegen ganz vom Baustellenzaun fasziniert. Denn dort hingen viele Fotos aus alten Zeiten, auf denen sich mancher wiedererkannte. „Weißt du noch? Den dort kenne ich auch. Das war unsere Sturm- und Drangzeit“ sagte die heutige Musiklehrerin zu ihrer früheren Schulkameradin schmunzelnd.
Und wie das so: mancher wollte oder konnte nicht zum Fest kommen, andere sind schon lange tot. Dazu zählt der berühmteste Abiturient der Schule, Konrad Zuse, ebenso wie Gerhard Gundermann„Dem Liedermacher hätte seine alte Schule jetzt bestimmt sehr gut gefallen“, meinte ein älterer Herr beim Anblick der Zeitdokumente, auf denen auch der singende Baggerfahrer als Schüler zu sehen ist. Aber sein musikalisches Erbe lebte am selben auch auf dem Schulgelände weiter. Da trafen sich ehemalige Schüler und Besucher auf dem Schulhof und sangen mit Gitarrenmusik Lieder von Gundi.
Musikalisch war auch schon der Auftakt der Festivitäten anlässlich des 90-jährigen Bestehens des Lessing-Gymnasiums erfolgt.
Unter dem Motto „90 Jahre und kein bisschen alt“ erwartete die etwa 600 Besucher ein ganz besonderes Klangerlebnis mit allen Lessing-Chören, den beiden Vokalgruppen sowie den Jazzdancern. Denn „alt und verstaubt“ präsentierte sich das Gymnasium wahrlich nicht. Stattdessen erlebten die Besucher nicht nur gewohnt qualitativ hohe Gesangskunst, sondern auch eine besonders frische und moderne Moderation von Patrick Jüngling und Felix Hanke. Bestes und jüngstes Beispiel für erfolgreiche Arbeit war der Auftritt des Mädchenchores unter Leitung von Lothar Kusche, der sich Ende Mai beim Kinder- und Jugendchorwettbewerb in Erwitte (Nordrheinwestfalen) gegen sieben andere Chöre aus ganz Deutschland durchsetzte.
Am Freitagabend sang der Chor Ausschnitte aus dem erfolgreichen Wettbewerbsprogramm. Lothar Kusche hatte für seine Schüler deshalb noch eine ganz besondere Überraschung: Jedes Mädchen bekam von dem Musiklehrer als Dankeschön eine gelbe Rose überreicht. Diese Geste kam auch bei den Besuchern an. Erich Fischer sagte beispielsweise: „Ich bin extra aus Berlin angereist, denn das Jubiläum wollte ich mir nicht entgehen lassen. Hoyerswerda kann wirklich stolz auf sein Lessinggymnasium und die erfolgreiche Arbeit.“
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