Vom Kohlebagger gefressen


von Tageblatt-Redaktion

Mittels „Info-Saugern“ kann man sich in Horno über die verschwundenen Dörfer informieren.
Mittels „Info-Saugern“ kann man sich in Horno über die verschwundenen Dörfer informieren.

Alles, sagt der Volksmund, hat so seine Zeit. Die Schule von Buchwalde, die Försterei von Geißlitz, die Kneipe „Sechs Linden“ von Ratzen oder der Kolonialwarenladen von Scheibe haben die ihre hinter sich. Mitsamt den Orten sind sie verschwunden, weil der Mensch die darunter liegende Braunkohle zutage fördern wollte. Was aber wohl deutlich schwerer wiegt als die betreffenden Bauten benannte Forscher Frank Förster in seinem Buch „Verschwundene Dörfer“ schon im Jahr 1994: „die Dimensionen der menschlichen Betroffenheit und Entwurzelung, des Identitäts- und Kulturverlustes, aber auch der schrittweisen Wiederbeheimatung von Personen und Gruppen“.

Das TAGEBLATT will sich diesen Fragen in den nächsten Wochen zuwenden. In der Serie „Es war einmal ein Dorf“ spüren wir ab morgen den rund um Hoyerswerda abgebaggerten Orten nach und schildern, in welcher Weise ihr Verschwinden das Leben von einzelnen Menschen beeinflusst hat. Da sind natürlich die ehemaligen Bewohner. Da ist aber zum Beispiel auch ein Archäologe, der sein halbes Leben damit zugebracht hat, zu retten, was vor den Baggern zu retten war. Und da ist etwa der Künstler, der mit der Schaffung einer bleibenden Erinnerung an einen der Orte beauftragt worden ist.

Die Dörfer, um die es hier an den kommenden Samstagen gehen wird, sind lediglich ein Bruchteil der zumeist für lange Zeit vor allem sorbischen Kulturlandschaft, die in den vergangenen gut 200 Jahren zwecks Energiegewinnung umgewühlt worden ist. „Bisher sind in der Lausitz 136 Orte betroffen“, berichtet Dörthe Stein. Sie musste selbst umziehen, als vor einem Jahrzehnt der Tagebau Jänschwalde nach ihrem Heimatdorf Horno griff. Heute arbeitet sie im „Archiv verschwundener Orte“ in Neu-Horno. Ihr Heimatort ist bei Forst gewissermaßen neu errichtet worden. Dörthe Stein sagt, die Bewohner würden sich durchaus wohl fühlen. Nur nickt sie eben auch zu der Vermutung: „Heimat kann man wohl nicht umziehen.“

Das Neu-Hornoer Archiv ist ebenso wie der reichhaltige Fundus des Zejler-Smoler-Vereins Lohsa eine der Quellen für unsere morgen beginnende Artikel-Reihe. Wenn man seinen Ausstellungsraum betritt, muss man Museumsfüßlinge anziehen, denn der Teppich hier ist zugleich eine Landkarte, auf der die verschwundenen Dörfer markiert sind. Man kann darauf spezielle Geräte, die sogenannten Info-Sauger, platzieren und erhält dann – computergestützt – die wesentlichen Informationen zu den Orten. Zudem gibt es im „erzählenden Raum“ diverse Exponate und Multimediastationen zu den verschiedensten Punkten, die mit dem Thema verknüpft sind.

In Horno erfährt man so, wie vielschichtig die Angelegenheit ist und wie viele Facetten sie seit dem ersten Ortsabriss 1924 in Neu-Laubusch nach und nach bekommen hat. Einem ganz eigenen Teilbereich widmet sich das Kirchliche Informations- und Begegnungszentrum gleich vis-á-vis dem „Archiv verschwundener Orte“. Es befasst sich mit den 27 Lausitzer Kirchen, die mit ihren Dörfern dem Bergbau zum Opfer fielen, darunter jene in Groß Partwitz, in Tzschelln oder in Bückgen. Dem Abriss der letztgenannten Kirche verdankt die Kirche „Zur Heiligen Familie“ in Hoyerswerda Glocken und Fenster.

Wie deren Pfarrer Peter Paul Gregor die Sache sieht, wird er in einem Teil unserer Serie schildern. So wie die meisten, mit denen wir gesprochen haben, zieht er ein durchaus zwiespältiges Resümee, das sich in einem geflügelten Wort spiegelt: „Gott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel hat die Kohle darunter gelegt.“ Denn nicht wenige bezahlten Lohn und Brot in der Braunkohle mit dem Verlust der Heimat. Den Spruch findet man auch im Dörfer-Archiv in Horno, wo Dörthe Stein sagt: „Und es ist ja noch nicht zu Ende.“ Am Sonntag demonstrieren Tagebau-Gegner aus Atterwasch, Grabko und Kerkwitz, die dem Tagebau Jänschwalde im Weg sind.

Archiv verschwundener Orte, Neu-Horno, An der Dorfaue 9, geöffnet dienstags bis donnerstags von 10 bis 17 Uhr, freitags bis sonntags von 14 bis 17 Uhr, Eintritt: zwei Euro
web www.archiv-verschwundene-orte.de



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