Höllenlärm im Maschinenraum


von Tageblatt-Redaktion

Tageblatt-Mitarbeiter Rainer Könen bei der Spätschicht im Maschinenraum - einer Wittichenauer Faschingsbar.
Tageblatt-Mitarbeiter Rainer Könen bei der Spätschicht im Maschinenraum einer Wittichenauer Faschingsbar.

Wieder schwappt eine Woge in den Maschinenraum des U-Bootes. Bunt und schrill und laut ist sie. Erst an der blechernen Brüstung des Tresens bricht sie sich. Zahlreiche Hände klammern sich wie Ertrinkende dort fest.
„Ischschwillfirpeeer.“ Häh? Ich blicke in eine dämonenhafte Fratze. Zwei lange Eckzähne blecken mich an. Ringsherum ein infernalischer Lärm. Ich blicke zu Jan. Der hält mir vier Finger entgegen, zeigt auf den Zapfhahn. Vier Bier. Zahlreiche Augenpaare schauen uns an. Schnell, die Plastikbecher. Ich stoße in der Aufregung einen mit Gin-Tonic gefüllten Becher um. „Mach langsam, wir sind im Karneval“, rät mir Jan. Die nächste Welle stürzt hinein.

„Ich will eine ordentliche Meldung hören und stellen Sie sich mal richtig hin“, werde ich aufgefordert. Ich nehme Haltung an. Vor mir steht der Chef, der Kaleu dieses U-Bootes. Gedämpfter Lärm dringt in den küchenartigen Raum. Zwischen Getränkekisten sitzen Seemänner und kostümierte Frauen an einem Tisch. Feixend schauen sie mich an. Der Kapitänleutnant signalisiert mir grinsend, dass ihm der Wittichenauer Karnevalsgruß als Meldung ausreicht. Umziehen. Ich bin nun Matrose. Noch ein paar Erläuterungen von Jan Kochta, der mich auf das vorbereitet, was mich erwartet, wenn ich diesen Raum verlasse. Die Hölle werde es sein, meint der 34-Jährige. Um kurz nach 21 Uhr fängt am Samstagabend meine Schicht an. Wir stehen hinterm Tresen der Campusbar im Lindenhof. Ein Mix aus Musik, Lachen und Geschrei dringt auf unsere Ohren ein.

Ich helfe an diesem Abend mit, das närrisch-exzessive Treiben in Wittichenau am Laufen zu halten. Mit Cuba Libre, Kirschlikör, Wodka, Sekt. Vor mir stehen Flaschen, volle und halb volle Plastikbecher. Gefüllt mit grüner, roter oder schwarzer Flüssigkeit. Jans Stimme dringt in diesem Krach nur verschwommen zu mir. Jemand stößt mich an, reicht mir die Hand. „Ich bin der Bochi, mache die Musik hier.“ Federbüsche und Masken drehen sich auf der Tanzfläche, hüpfen auf und ab. „Zwei Sekt und drei Wodka-Cola.“ Zwei Frauen haben sich nach vorne gekämpft, stehen eingezwängt vor dem Tresen. Fordernde Blicke.

Für die Cocktails sind die „Professionellen“ zuständig, hat mir Jan zuvor erklärt. Drei kurzberockte Frauen, die sich mit dem Barbetrieb zur Faschingszeit auskennen. Unterstützt werden sie von Jan, Kaisi und Schimanski. Und von mir. „Kannst ruhig auch was trinken“, meint Jan, während er mit Freunden anstößt. Ich zapfe, hole Getränke aus dem Eisschrank, stehe im Weg, warte die nächste Woge ab, die wieder Kundschaft an den Tresen spült.

Hektisches Barpersonal? Fehlanzeige. „Wir sehen das überhaupt nicht so ernst, wir wollen doch unseren Spaß haben“, erzählt mir Jan, der im normalen Leben als Jurist in einem Wirtschaftsberatungsunternehmen arbeitet. Die Bar, eine von 19 in diesem Jahr, wird von „Campus ideal“, einem 17-köpfigen Verein geführt, zu dem etliche Ex-Wittichenauer gehören. Zum siebten Mal veranstalten die in ganz Sachsen verstreuten Mitglieder die Bar. Die alljährlich ein anderes Motto hat. Dadurch unterscheide man sich von den anderen, erzählt mir Jan. Das Motto „ziehen wir dann auf allen Ebenen durch“. So ist es nicht nur die Lebenslust, sondern auch die Neugier, die die Massen anlockt. Wer hineingeschwemmt wird, findet sich im Maschinenraum eines U-Bootes wieder. Vor den Bullaugen tanzen bizarr verkleidete Gestalten. Frauen zumeist, es ist ja Weiberfasching.

„Bier und ’ne Meerjungfrau“ will einer haben, winkt mit einem Geldschein. Dem Thema entsprechend stehen auf der Getränkekarte auch Matrosen-Specials. Die Meerjungfrau gehört dazu. Alkoholische Mixgetränke. „Macht sechsfuffzig“, ich halte ihm die Hand hin. Die Plastikbecher sind gefüllt bis zum Rand. „Nicht geizen, immer bis oben hin füllen“, so Jans Tipp. Ab 22 Uhr, so seine Erfahrungswerte, „brennt hier die Bude“. Wir löschen. Ausdauernd und ungeachtet des höllischen Lärms stressfrei. Unterstützt von Bier, Wein, Sekt und Pullis. Kleine Schnäpse.

Alkoholfreies gibt es auch. Wird jedoch nicht verlangt. Abstinenzler meiden die närrischen Zonen Wittichenaus. Cuba Libre und Torpedos gehen am häufigsten über den Tresen. Ausgelassen wird getanzt, das Barpersonal macht mit. Der große Andrang bleibt bisher aus. Noch haben sich keine Schlangen vor dem Eingang gebildet. „Kommt noch“, sagt man mir. Der Alkoholpegel steigt stündlich. Die Security ist für auffällig aggressive Gäste zuständig. Im Ernstfall werden die „ausgewechselt“, so Jan, der in Wittichenau aufgewachsen ist. Komme aber nicht häufig vor. „Ich bringe den Müll raus.“ Er schnappt sich die Tüten mit den leeren Dosen und Flaschen. Frische Luft tut gut. Um ein Uhr früh hat er Feierabend. Dann kommt die Nachtschicht. Die hat bis fünf Uhr Dienst. „Nach vier Tagen Karneval gehen wir alle auf dem Zahnfleisch“, erzählt der 34-Jährige. Jan nimmt sich dann ein paar Tage Urlaub. Vom Alkohol „habe ich dann erst mal genug“.



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Kommentare zum Artikel:

Zschorlich schrieb am

Hallo.
Sehr schöne Bilder.
Kommt man irgendwie an die Bilder???
Bräuchte das Bild 16!!!
Danke.

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