„Es ist besser, wenn man wenig Kontakt zur Familie hat“


von Tageblatt-Redaktion

Die Gastschüler des Lessing-Gymnasiums mit Lehrerin Birgit Schreck und Gastmutter Kerstin Jank.
Die Gastschüler des Lessing-Gymnasiums mit Lehrerin Birgit Schreck und Gastmutter Kerstin Jank.

Birgit Schreck, Lehrerin und Fachleiterin für den sprachlichen Bereich am Lessing-Gymnasium Hoyerswerda, ist erstaunt: „Einen größeren Zufall kann es wohl nicht geben.“ Soeben kam die Brasilianerin Leticia Ferreira, die 2007 für fünf Monate in Deutschland weilte und im Lessing-Gymnasium lernte, herein, um ihre alten Freunde und Lehrer zu besuchen. „Ich habe gerade Urlaub und wollte wieder einmal in Deutschland vorbeischauen“, erzählt die Zwanzigjährige. Doch zuvor gesellt sie sich zu den anderen fünf Austauschschülern, die zurzeit diese Schule besuchen und sich für einen Interviewtermin zusammengefunden haben.

Die Schüler machen sich gegenseitig bekannt und stellen sich in sehr gutem und fließendem Deutsch vor. Während die US-Amerikanerin Eliza Mc Gownd sowie der Thailänder Chawapon Chuengsaman seit September und die Neuseeländerin Stephanie Rose Kitchen seit Februar ihr Auslandsjahr absolvieren, sind die finnischen Gäste Aleksi Turpeinen und Riikka Simpura nur noch diese Woche da, ehe sie ihren vierwöchigen Aufenthalt in Hoyerswerda beenden. „Wir arbeiten mit der Deutsch-Finnischen Gesellschaft zusammen. Somit können die Jugendlichen Eindrücke in den jeweiligen Ländern sammeln“, erklärt Birgit Schreck.

Schnell kommen die Schüler ins Gespräch und erzählen von ihren Beweggründen, die sie zu diesem Austausch anregten. „Ich wollte vor allem nach Deutschland, da ich meine angelernten Sprachkenntnisse erweitern wollte“, erklärt die Finnin Riikka und findet Zustimmung bei den anderen. Während sie, Aleksi, Stephanie und Eliza schon ein wenig Deutschunterricht in ihrer Heimat genommen hatten, kam Chawapon ohne wesentliche Kenntnisse nach Hoyerswerda. „Die ersten zwei Monate waren sehr hart, da ich einfach nichts verstanden habe“, schildert der neunzehnjährige Thailänder und fährt fort: „Durch Kommunikation und mich selbst habe ich dann viel gelernt, so dass es mir hier immer besser gefällt.“

Er wollte die Unterschiede zwischen der asiatischen und europäischen Kultur erfahren, ist inzwischen vom deutschen Fußball begeistert. „Ich spiele jetzt selbst im Verein, habe mir aber auch alle EM-Spiele im Fernsehen angeschaut.“ Sein Lieblingsspieler ist der Stürmer Miroslav Klose. Auch Eliza sieht diesen Sport als Teil der deutschen Kultur an: „Fußball muss man schauen, wenn man in Deutschland ist.“ Andere typische Sitten sind für sie unverständlich. „Ich verstehe nicht, dass schon Wochen vorher so ein Wirbel um das Weihnachtsfest gemacht wird. Während hier alle Läden und Häuser geschmückt sind, feiern wir in Amerika nur zwei Tage dieses Fest und kehren dann in unseren Alltag zurück.“

Aleksi findet auch die Art der Menschen in Deutschland äußerst eigen: „Die Finnen sind viel zurückhaltender als die deutschen Bürger. Hier sind die Menschen mehr offen und sprechen sehr viel.“ Leticia ergänzt sofort: „Die Leute sind hier äußerst direkt. Sie sprechen einfach aus, was sie denken.“ Leticia ist nach ihrem Aufenthalt in Hoyerswerda selbst viel offener geworden, schätzt sie ein, und das habe ihr Leben im Allgemeinen einfacher gemacht.

Die deutsche Direktheit war auch für Chawapon etwas ganz Neues. Höflichkeit sei in Asien höchstes Gebot, erklärt er, und dabei wäre es auch besser, wenn man die Ehrlichkeit geschickt umgeht. „Wenn mir das gekochte Essen nicht schmeckt, lasse ich mir das in Thailand nicht anmerken, um die Etikette zu wahren. Hier ist es so, dass einfach gesagt wird, wenn es nicht gut schmeckt“, weist der Jugendliche auf die deutsch-thailändischen Unterschiede hin.

Den Kontakt zur Familie halten alle Austauschschüler per Skype, also mit einem Videochat. Die Probleme mit der Zeitverschiebung sind bei Elizas Heimat Alaska so extrem, dass sie dann doch mit regelmäßigen E-Mails besser den Kontakt pflegen kann. Leticia erzählt auch aus ihren Erfahrungen: „Es ist besser, wenn man nur wenig Kontakt zu seiner Familie hat, da man sich sonst nicht wirklich in die Gastfamilie integrieren kann.“

Und auch ihre frühere Gastmutter Kerstin Jank weiß: „Die jungen Leute brauchen ungefähr drei Monate, ehe sie sich wirklich an die Familie gewöhnt haben.“ Angst wegen der Vorgeschichte Deutschlands hatten die Jugendlichen alle nicht, Zweifel wegen verschiedener Kulturen und Sprachen kamen da eher auf. „Die deutsche Pünktlichkeit spürt man deutlich“, fällt Riikka sofort ein und Eliza übernimmt das Wort: „Ich finde es schade, dass die Menschen hier keine wirklichen Träume haben. Sie sind sehr durch ihre Gesellschaft und das System eingeschränkt und haben schon meist einen vorbestimmten Lebensweg.“ Die anderen pflichten ihr bei.

Eines Tages wollen die fünf Schüler, so wie es Leticia auch gemacht hat, wiederkehren. Eliza will sogar in Deutschland studieren, aber nicht ihr Leben lang bleiben, da ihr unter anderem die Häuser nicht gefallen. Die Austauschschüler freuen sich schon auf ihr Zuhause, werden aber ihre Freundschaften und alltägliche Dinge vermissen, wie auch Stephanie, die davon begeistert ist, dass sie jeden Tag mit dem Fahrrad zur Schule fahren kann. Und noch etwas werden sie vermissen. Befragt nach ihrem Lieblingsessen in Deutschland sind sie sich alle einig: „Natürlich eine typisch deutsche Bratwurst“.



Zurück

Einen Kommentar schreiben

Es werden nur jene Kommentare veröffentlicht, die unter Angabe von Vor- und Familienname und einer gültigen E-Mail-Adresse (für Rückfragen) abgegeben wurden.

Bitte addieren Sie 7 und 8.