Der Kampf ums Kreuz


von Tageblatt-Redaktion

Das Lippener Sühnekreuz steht seit 1960 im Hoyerswerdaer Schlosshof.
Das Lippener Sühnekreuz steht seit 1960 im Hoyerswerdaer Schlosshof.

Vielleicht ist es 900 Jahre alt, vielleicht auch jünger. So genau weiß das niemand. Es ist einen Meter hoch, oben knapp 60 Zentimeter breit und bis zu 20 Zentimeter dick. Wer immer dieses Sühnekreuz einst aus hartem Granit gehauen hat, der leistete damit Buße. Nach allem, was man so über Sühnekreuze weiß, wurden sie von Schwerverbrechern gefertigt. Sie wurden am Ort des Verbrechens, das sie begangen, aufgestellt. Und in der Vorderseite der Kreuze sieht man noch heute oft die Tatwaffe eingemeißelt.

Im konkreten Fall ist es eine Axt, die Schneide nach rechts. Man kann noch gut den Stiel erkennen. Der Rest ist ziemlich verwittert. Über viele Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte lag es im Erdreich, schaute nur zum Teil heraus. 1929 stellte man es wieder in voller Größe auf.

Das Kreuz steht seit 50 Jahren aber im Hoyerswerdaer Schlosshof neben einem zweiten, kleineren. Doch wenn es nach dem Willen der Einwohner von Lippen geht, soll das nicht mehr lange der Fall sein. Sie wollen das Kreuz mit dem Beil umsetzen lassen. Zurück nach Lippen. Denn das kleine Dorf im äußersten Osten der Gemeinde Lohsa erinnert sich gerade seiner Geschichte. Im Juni wird man hier den Tag des abgebaggerten sorbischen Dorfes feiern. „Es ist das erste Mal, dass dieser in einem teilabgebaggerten Dorf begangen wird“, sagt Werner Srocka, Referent beim sorbischen Dachverband Domowina und maßgeblich an den Vorbereitungen für den alljährlich stattfindenden Tag beteiligt.

Es geht um die Erinnerung an ausgelöschte Dörfer, die der Braunkohle weichen mussten. Auch den Lippenern wurde vor fünfzig Jahren übel mitgespielt. Entschädigungen und Umsiedlungsmaßnahmen, wie sie heute vollzogen werden, waren damals unvorstellbar. Was dem Tagebau im Weg stand, wurde abgerissen. Immerhin: Das Sühnekreuz, das gegenüber der Schule am alten Feuerwehrdepot stand, ließ man bergen und ins damalige Heimatmuseum Hoyerswerda bringen.

Werner Srocka hat aus dieser Zeit keine Unterlagen gefunden. Die Lippener Akten fehlen. Er vermutet, dass es keinen entsprechenden Beschluss in dem Ort gab, das diesem Vorhaben zustimmte. Vermutlich sind die Lippener überhaupt nicht befragt worden. Auch im Stadtmuseum Hoyerswerda sind bislang keine eindeutigen Dokumente gefunden worden, die den Besitz des Kreuzes regeln. Fakt ist: Hier steht es jetzt seit einem halben Jahrhundert. Das benachbarte Kreuz aus Scado kam fünf Jahre später hinzu, weil der Ort vollständig abgebaggert wurde. Viele Jahre standen die Kreuze eng nebeneinander an der Schlossmauer. Bei der Schlosssanierung vor zwanzig Jahren wurden sie ein Stück von der Wand weggerückt, dafür aber umfallsicher einbetoniert. So schnell sollten die Kreuze nicht mehr umziehen.

Allerdings ist das alles mehr als nur eine fixe Idee. In Lippen wird derzeit eine Gedenkstätte hergerichtet, die an die Teildevastierung erinnert. Der zentrale Findling soll heute aufgestellt werden. Und hier, so sagt Werner Srocka für die Koordinierungsgruppe des Gedenktages, solle auch das Kreuz hin. Es gab bereits ein Treffen von Vertretern der Koordinierungsgruppe und der Gemeinde Lohsa bei Oberbürgermeister Stefan Skora, wo das Anliegen vorgetragen wurde. Die Gemeinde Lohsa stellte laut Bernd Wiemer, Hoyerswerdas Rathaus-Sprecher, einen offiziellen Rückführungsantrag. So etwas ist allen Beteiligten nicht bekannt. Auch Werner Srocka sagt, dass man ein solches Ansinnen zum ersten Mal hege.

Die meisten anderen sorbischen Dörfer, die der Kohle weichen mussten, wurden ja komplett devastiert. Von Lippen blieb nur ein kleiner Teil stehen. Das Dorf wurde Uhyst zugeschlagen. Nach der Wende ging man nach Lohsa. Da war der Tagebau längst Geschichte und auch die Panzer, die die Folgelandschaft nutzten, fuhren nicht mehr durchs Dorf. Zu allem Überfluss wurde auch noch das Dorfgemeinschaftshaus verkauft, dass die Lippener selbst errichtet hatten. Und nun ist man wieder ins Hintertreffen geraten, da der komplette ehemalige Tagebau-Bereich nach dem Grundbruch im Dezember 2010 zum rutschungsgefährdeten Gebiet erklärt wurde – samt dem Radweg, der nach Lohsa führt. Warum also nicht das Sühnekreuz rücküberführen?

Im Lohsaer Gemeinderat wurde die Idee geboren, von dem Kreuz eine Kopie anfertigen zu lassen, die Kosten könnten sich ja Lohsa und Hoyerswerda teilen. Gegen die Kopie hat auch Hoyerswerdas Stadtverwaltung nichts. Nur schließt sie aus, sich an den Kosten zu beteiligen. Freilich sollen Ältesten- und Stadtrat noch dazu befragt werden. Werner Srocka betont, dass man in Lippen selbst in diesem Fall das echte Kreuz haben will. Die Kopie könne ja in Hoyerswerda verbleiben.

Doch die Zeichen mehren sich, dass das Kreuz wohl bleibt, wo es ist. Es war einst im unteren Bereich auseinandergebrochen und wieder zusammengefügt worden. Museumsleiter Dr. Andreas W. Vetter befürchtet, das eine erneute Umsetzung dem Kreuz nur schaden würde. Interessanterweise sind sich alle Beteiligten in dem Punkt einig, dass die Überführung ins Museum Hoyerswerda überhaupt das Kreuz gerettet hat. Hier steht es witterungs- und vandalismussicher. Bernd Wiemer verweist zudem auf eine angeforderte Stellungnahme der Sächsischen Landesstelle für Museumswesen, das die Hoyerswerdaer These stützt, das Sühnekreuz im Hof des Hoyerswerdaer Schlosses zu belassen. Und im Lohsaer Gemeinderat signalisierte Bürgermeister Udo Witschas, dass die Gemeinde Lohsa kein Interesse daran hat, wegen des Kreuzes den Klageweg gegen die Stadt Hoyerswerda zu beschreiten.



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