Mit Mietrachs Bus unterwegs

So berichtete Tageblatt am 21.August 2007 von der ersten erfolgreichen Spurensuche nach dem Über-Bus, mit dem der Hoyerswerdaer Hans Mietrach von 1936 bis um 1945 einen Werks-Zubringerverkehr von Bernsdorf über Hoyerswerda nach Lauta fuhr. Europas einst größter Bus: Wo stand und fuhr er zwischen Bernsdorf, Hoyerswerda und Lauta?

Willig startet der Mercedes-Motor mit dumpfem, bulligem Klang. Walter Stuska bugsiert das Bus-Ungetüm aus dessen Garage am Bernsdorfer Fabrikweg. Zeit, die Schicht nach Lauta zu fahren! 182 Mann haben Platz in dem Giganten, den das Ulmer Käßbohrer-Karosseriewerk extra für den Hoyerswerdaer Bus-Unternehmer Hans Mietrach angefertigt hat, 1936; gefeiert als „der größte Bus Europas“: Zweiundzwanzigundeinenhalbenmeter lang, zweifünfzig breit, der Aufleger mit feinstem Mahagoni beschlagen, gezogen von einer Mercedes-Benz-Maschine. Als sie das Gefährt 1936 aus Ulm geholt haben, war ein Fotograf dabei, der den Bus von allen möglichen Seiten ablichtete. Zuguterletzt kam nicht nur das Gespann, das extra vor das Ulmer Münster gefahren worden war, auf die Platte, sondern es wurden 122 Leute davor gestellt – so viele, wie auf den Sitzplätzen des Anhängers bequem reisen konnten.

Der Hoyerswerdaer Heinz Böhme (im Alter von 82 Jahren verstorben; hier auf einer Aufnahme wenige Monate vor seinem Tode) hat den Bus noch fahren gesehen. An einer Hoyerswerda-Karte von 1900 zeigt er einen Kreuzungspunkt, den der Mietrach-Bus damals noch nicht hätte passieren können: Von der Friedrichs- (damals Dresdener) Straße links ab, an der Hauptpost vorbei auf die Elster-, heute Kolpingstraße. Auch die Kreuzung am linken unteren Bildrand zur Senftenberger Vorstadt wäre ein unüberwindliches Hindernis gewesen.

Können wie Caracciola

Naja, das ist schon wieder
 ein paar Monate her. Heute geht es, so wie jeden Tag, von Bernsdorf über Hoyerswerda nach Lauta. Stuska und sein Kollege Paul Kosian, die beide in Bernsdorf unmittelbar an der Bus-Garage wohnen, wechseln sich ab bei den Fahrten. Gut, mit etwa 40 Kilometern in der Stunde ist der Bus nicht gerade ein Silberpfeil, wie sie mit den gleichfarbenen Wagen der Auto Union auf den Großer-Preis-Stecken Europas derzeit konkurrenzlos um Siege und den inoffiziellen Europameistertitel wetteifern – aber ein Busfahrer ist ja auch kein Rudolf Caracciola, Richard Seaman, Hermann Lang, Manfred v. Brauchitsch, Ernst von Delitzsch oder Bernd Rosemeyer, wie die automobilen Helden dieser Zeit heißen. Trotzdem verlangt es ziemliches Können, den Bus auf der Strecke von Bernsdorf über Hoyerswerda nach Lauta zu bringen – die Straßen sind eng, und hätte es nicht ein paar hilfreiche Bau-Vorhaben und Abrisse gegeben, könnte der Bus gar nicht verkehren. Das fängt schon an der Kreuzung an, an der der Käßbohrer-Mercedes wenige Meter nach dem Start vom Fabrikweg links auf die Dresdener Straße biegen muss. Wären da nicht die Eichen gefällt worden- keine Chance, um die Kurve zu zirkeln.

Schwieriges Hoyerswerda

In Hoyerswerda gibt es gleich zwei solcher Stirnfalten-Punkte. Wenn der Bus die Dresdener Straße hereinkommt, vorbei an der Kreuzkirche direkt auf die Nasse Post zusteuert, die Gaststätte, die ihren Haupt-Namen vom Postamt hat, das linker Hand liegt – noch 1935 wäre da wie in einer Sackgasse Schluss gewesen. Denn die Kurve nach links war zu eng, weil vor der Kneipe die Elster floss. 1936 hat sie der Reichsarbeitsdienst trocken gelegt; seitdem ist die Post (von außen und unten) nicht mehr nass, und der Bus kann unter Ausnutzung der gesamten Fahrbahnbreite, Bürgersteig eingeschlossen, nach links in die Elsterstraße. Wenige hundert Meter später hätte sich neuerlich ein unüberwindliches Hindernis aufgetan: Auf dem Neumarkt; dort, wo es nach links in die Senftenberger Vorstadt gehen muss, in der auch das Unternehmen Mietrach seinen Sitz hat, auf besagtem Neumarkt standen noch vor nicht all zu langer Zeit Häuser. Nur gut, dass die, allesamt recht marode, abgerissen wurden, so dass das Bus-Gespann nun ohne all zu große Mühe einbiegen kann, rechter Hand das Firmen-Areal passieren kann und dann freie Fahrt nach Lauta hat – zum Kraft- und zum Aluminiumwerk …

Grenzgänger – An Bernsdorfs Kreuzung Dresdener Straße (B97)/ Fabrikweg steht dieser alte Grenzstein. Mietrachs Bus war rechts in Sachsen zu Hause, wechselte bei der Dienstfahrt täglich nach und von Preußen.

So oder ähnlich hätte es vor knapp 90 Jahren aussehen können, als der findige Hoyerswerdaer Unternehmer Hans Mietrach besagten Bus anfertigen ließ und in Dienst stellte. Dass er für einen Reise-Linien-Verkehr nicht infrage käme, war rasch klar: Nicht nur die außergewöhnliche Größe des Busses, die ihn in verwinkelten Altstadtteilen hoffnungslos hätte feststecken lassen, sondern auch die Höchstgeschwindigkeit von nur etwa 40km/h schloss das aus. Aber das Lautawerk ist ein solventer, zuverlässiger Kunde – der Berufsverkehr lässt das Gefährt sich rentierten. Wie sonst hätten die Arbeiter auch von Bernsdorf und Hoyerswerda nach Lauta kommen sollen? Einen öffentlichen Personennahverkehr, Bus oder geeignete Bahnlinie, gab es nicht. Privat-Autos? Unerschwinglich! Selbst Motorräder waren Ausnahmen. Zu Fuß? Das ging gar nicht. Auch für das Fahrrad waren die Wege weit; zu weit, um ausgeruht und schaffensfreudig ins Werk zu finden. Da war Hans Mietrachs Geschäfts-Idee die Rettung. Und auch für Mietrach dürfte das Geschäft ein lohnendes gewesen sein.

Der Bus überlebte allerdings den II. Weltkrieg nicht. In dessen letzten Tagen versuchten Elfriede und Hans Mietrach, das Gefährt vor der näher rückenden Roten Armee in Sicherheit zu bringen, wählten aber fatalerweise den Weg ins tschechische Nachbarland. Dort geriet der von Walter Stuska chauffierte Hoyerswerdaer Riesenbus unter Infanteriefeuer und brannte dabei völlig aus- unwiederbringlich dahin, bis zur Unkenntlichkeit zerstört.

Nach dem Krieg versuchte jeder, so gut es ging, einen Neuanfang: Paul Kosian warf sich auf ein Taxi-Unternehmen. Das Gefährt wurde mit einem Holzgas-Generator betrieben; umgerüstet auf einheimischen Brennstoff, da es an Benzin mangelte, erst recht für privat. Walter Stuska startete mit einem gleichfalls holzgasgeneratorbefeuerten Zweitonner-Lastkraftwagen eine Spedition. Helfer, wenn die stör-anfällige Elektrik nicht mehr wollte.

Aber auch Heinz Böhme „veränderte“ sich, hing die Strippenzieherei an den Nagel und begann, den Kreislichtspielbetrieb aufzubauen. Da hatte er indirekt letztmals mit den Mietrachs zu tun. Die ließen wieder Bus fahren; genau gesagt, einen zur Personenbeförderung auf der Ladefläche umgebauten Lkw: morgens nach Dresden, abends zurück. Fahrkarten gab’s: beim Landrat. Böhme durfte/ musste oft fahren, denn in Dresden galt es ja, die Film-Kopien für die Hoyerswerdaer Kinos auszuleihen: „Da hatte ich oft einen Rucksack voller Briketts dabei – zum einen, um den Dresdner Kollegen zu helfen; die hatten ja gar nichts – zum anderen, um auch mal außerplanmäßig einen guten oder gar einen «West-Film» für Hoyerswerda zu ergattern …“

Geschichten aus Geschichten

Das wäre dann aber schon wieder
 eine eigene Geschichte. Nachgereicht sei heute schon dies: 1953 gingen die Mietrachs in den Westen- nach Bielefeld. Enkel Carsten führt dort heute in dritter Generation das Unternehmen weiter. Das eingangs erwähnte Foto von 1936 mit den 122 „Passagieren“ vor dem Ulmer Münster ist auf der Mietrach-Website zu sehen. Das Original eines anderen Fotos des Busses fand über ebay seinen Weg nach Hoyerswerda – und wurde Auslöser dieser Geschichte. (DR)

Ein besonderer Dank gilt posthum Heinz Böhme für seine fachliche Unterstützung
www.mietrach-reisen.de

Die einstige Garage des überlangen Mietrach-Busses. Sie stand nicht in Hoyerswerda (wie von uns ursprünglich vermutet), sondern, wie Heinz Böhme mit diesem Foto beweist, das sein Erinnern stützt: sie stand und steht am Bernsdorfer Fabrikweg, der seinen Namen nach der einstigen Spiegelfabrik hat. Heute wird das Gebäude nicht mehr als Remise genutzt, sondern zu Wohnzwecken. Seine eigentümliche Form erschließt sich jetzt aus der Geschichte.
Der Mietrach-Bus bei einer kurzen Rast in Schwarzkollm vor dem Gasthaus nahe des Bahnhofes. Links hinten sind die Schlote des Kraftwerkes Lauta zu erkennen, das den VAW, den Vereinigten Aluminium-Werken, den zur Bauxit- (Metall-) Aufschmelze dringend benötigten Strom lieferte. Der Hoyerswerdaer Bus-Unternehmer beförderte die Arbeiter aus Hoyerswerda und Bernsdorf zur und von der Schicht in diesem rüstungs-wichtigen Betrieb.
Hier bog der Bus von Bernsdorfs Dresdener Straße rechts in den Fabrikweg – oder vom Fabrikweg nach links auf die jetzige B97. Dafür mussten an der Kreuzung, wohl am Hauptstraßen-Schild, Eichen gefällt werden. Rechts: das Gasthaus“Zum Waldhof“, hinterm Hauptstraßenschild (am Haus): Grenzstein.
Einst floss vor der Hoyerswerdaer Gaststätte „Zur Post“ (“Nasse Post“, helles Gebäude) noch die Elster. Erst 1936 wurde sie hier aus dem Stadtbild genommen, der Groß-Bus konnte von der Dresdener (heute Friedrichs-) Straße mühevoll an der Post nach links abbiegen- in die Elster- (heute Kolping-) Straße.
Von der Elster- (Kolping-) Straße ging’s hinter der Acker- (R.-Luxemburg-) Straße links in die Senftenberger Vorstadt, wo die Firma Mietrach (heute Autohaus Elitzsch) saß. Damals war die Verkehrsführung anders. Vor der Bus-Zeit standen, wo der bronzefarbene Pkw ist, am Neumarkt Häuser.

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