„Wir sind der unabhängige Dritte“


von Tageblatt-Redaktion

Als Sachbearbeiter Artenschutz ist Hagen Rothmann dem Landrat unterstellt, nicht dem Freistaat Sachsen.
Als Sachbearbeiter Artenschutz ist Hagen Rothmann dem Landrat unterstellt, nicht dem Freistaat Sachsen.

Nach Verkehrsunfällen bestimmen Gutachter die genauen Schäden, an denen sich die Zahlung der Versicherung orientiert. Wenn in Sachsen Schafe oder andere Nutztiere gerissen werden, bestimmen Rissgutachter, ob sie von einem Wolf oder einem anderen Tier getötet wurden. Danach richtet sich unter anderem, ob der Tierhalter Geld vom Freistaat bekommt oder nicht. Wir sprachen mit Hagen Rothmann, dem Rissbegutachter für den Landkreis Bautzen.


Herr Rothmann, Sie sind als Sachbearbeiter Artenschutz im Kreis Bautzen für die Schadensersatzfragen zuständig, die von geschützten Tieren verursacht werden. Verursacht der Wolf den meisten Schaden?
Nein, das meiste verursachen Kormorane und Fischotter. Wir haben auch Schäden durch Biber oder Kraniche in der Maissaat. Wir legen die Höhe des Schadens fest. Für das Jahr 2010 und die Winterperiode 2010/2011 wurden Schäden von 134 000 Euro bestätigt, die Wolfsrisse nicht mitgerechnet. Das Doppelte dieser Summe haben wir noch vor wenigen Jahren allein für die Schäden der Kormorane ausgegeben. Da die jetzt geschossen werden dürfen, gibt es nur in ausgewählten Bereichen, wo die Jagd nicht erlaubt ist, Entschädigungen, zum Beispiel an den Ratzener Teichen. Doch trotz Abschuss sind die Schäden nicht grundlegend zurückgegangen.


Wenn im Landkreis Bautzen ein Nutztier gerissen wird, dann sind Sie derjenige, der sagen kann, das war ein Wolf oder es war kein Wolf. Warum darf das offiziell kein anderer?
Im Mai 2009 ist der Managementplan für den Wolf in Kraft getreten. Dort steht eindeutig, wer die Rissbegutachtung durchzuführen hat. Das Büro Lupus ist dafür nicht mehr vordergründig zuständig. Die werden zwar noch zu Rate gezogen als Fachleute, aber die Rissbegutachtung ist vom Grundsatz her auf die Ebene der Landkreise verlagert worden. Es war bis 2009 so, dass Lupus allein die Risse begutachtete. Dann kam der Herr Klingenberger als Sachsenforst-Angestellter dazu.


… der ja auch Jäger ist …
… ja, und der jetzt für die Rissbegutachtung vor allem im Biosphärenreservat zuständig ist. Die Rissbegutachter der Landratsämter sind parallel dazugekommen. Für jeden Landkreis in Sachsen wurden Rissbegutachter ausgebildet, also auch da, wo noch keine Wölfe sind. Ich bin es für den Kreis Bautzen.


Wie wurden Sie ausgebildet?
Man ist nicht Fachmann von heute auf morgen. Wir wurden geschult und ausgebildet, aber die Rissbegutachtung ist bisher noch von denen begleitet worden, die es früher gemacht haben, also dem Büro Lupus. Erfahrung ist das Wichtigste. Den klassischen Wolfsriss, wie er in den Büchern beschrieben steht, den gibt es so draußen selten. Deshalb stehen wir immer untereinander im Erfahrungsaustausch, also beispielsweise mit den Kollegen aus dem Kreis Görlitz. Da sind ebenfalls zwei Rissbegutachter tätig. Die Dokumentationen und Bilder tauschen wir regelmäßig aus, sowohl über die Risse, die von Wölfen stammen, als auch von denen, die nicht von Wölfen sind.


Was ist ein typisches Zeichen für einen Wolfsriss oder wann ist es definitiv kein Wolfsriss?
Da gibt es mehrere Sachen. Der typische Wolfsriss sieht so aus, dass in der Regel ein Kehlbiss da ist, egal ob bei Schaf, Reh oder Damhirsch. Das Beutetier wurde bei der Kehle gepackt und dort erstickt. Es kann auch sein, dass mehrfach nachgefasst wird, zum Beispiel bei Schafen, die ein dickes Lederhalsband am Hals haben, weil sie angepflockt waren. Man darf sich das jetzt aber nicht so vorstellen, dass da die Kehle völlig zermatscht ist, sondern da sind zwei, drei Bisse drin. Das reicht auch zu. Der Wolf hat eine sehr hohe Beißkraft, höher als bei den üblichen Hunderassen. Der Wolf tötet sehr effizient. Dann wird der Bauchraum geöffnet. Der Pansen, die Eingeweide und das alles fällt heraus. Der Wolf verschmäht die Innereien.


Was frisst der Wolf von seinem Beutetier?
Er frisst das Muskelfleisch. Das bringt die Energie. Die ganzen Innereien, die bringen ihm ja nichts. Er tötet nicht aus Langeweile, sondern weil er Nahrung erlangen will. Also effizienter Tötungsbiss und dann ist vom Tier relativ viel gefressen. Der Wolf kann sechs bis acht Kilo, manche sprechen auch von bis zu zehn Kilo, hintereinander fressen, weil er nicht weiß, wann er wieder Nahrung bekommt. Er frisst so viel, wie in ihn hineinpasst. Wenn er Junge zu versorgen hat, wird das vorverdaut und bei den Jungen vorgebracht. Der Wolf will seine Beute in Sicherheit bringen. Deshalb sind getötete Schafe auch oft verschleppt.


Und wann handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um einen Wolfsriss?
Dann sind es aller Wahrscheinlichkeit nach Hunderisse. In solchen Fällen sind die Beutetiere oftmals sehr zerrissen. Hunde haben verlernt, effektiv zu töten. Sie töten selten aus Hunger, sondern aus Jagdleidenschaft. Die Beutetiere sind meist an allen möglichen Körperteilen sehr zerbissen. Das kann auch an der Kehle sein. Aber die Beißkraft reicht fast nie aus, um das Tier so auch zu töten.


Auch nicht bei vergleichbaren großen Hunden?
Die Beißkraft hat nichts mit der Größe des Hundes zu tun. Wenn Sie beispielsweise das Gebiss einer Dogge betrachten, dann sind die Zähne kleiner als die eines Schäferhundes. Beim Schäferhund ist das Gebiss noch relativ stark ausgeprägt. Sicher wird ein gut trainierter Schäferhund auch mal in der Lage sein, ein Lamm mit einem Kehlbiss zu töten. Er tut es trotzdem aus Jagdtrieb. Wenn es in einem solchen Fall zwar einen Kehlbiss gibt, aber so gut wie nichts gefressen wurde, ist es ein Merkmal, das für einen Hund als Angreifer gilt. Die Entscheidung läuft darauf hinaus, ob ein Wolf als Verursacher ausgeschlossen werden kann oder nicht. Im Zweifelsfalle wird stets zugunsten des Tierhalters entschieden.


Wie groß ist das Problem der wildernden Hunde?
Es ist immer noch so, dass die Zahl der von wildernden Hunden gerissenen Nutztiere größer ist als die von Wölfen verursachten Schäden. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass auf fünf Hundeangriffe ein Wolfsangriff kommt. Oftmals ist es so, dass wir zu einem gerissenen Schaf gerufen werden und der Besitzer sagt: So, wie das zugerichtet ist, kann es nur ein Wolf gewesen sein. Es ist umgekehrt der Fall. Je brutaler ein Tier zugerichtet ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ein Wolf war. Wir haben Kadaver gefunden, da hat man äußerlich keine Bissverletzungen gesehen. Bei Hundeangriffen haben wir es oft, dass große Fetzen Haut fehlen oder Keulen und andere Körperteile zerbissen sind.


Wird ein Schaf gerissen, sagt vielleicht der Tierarzt meines Vertrauens: Das war ein Wolf. Sie sagen aber: Er war es nicht. Wenn ich Ihnen nicht glaube, habe ich die Möglichkeit, noch jemand anderes zu hören?
Nein, diese Möglichkeit gibt es nicht. Wir sind ja schon der unabhängige Dritte. Auf der einen Seite der Tierhalter, der die Entschädigung will, auf der anderen Seite der Freistaat, der zahlen soll. Die frühere Regelung mit dem Büro Lupus barg den Vorwurf, dass diese vom Freistaat bezahlt werden und damit abhängig sind. Deshalb wurden ja Mitarbeiter der Landratsämter für die Rissbegutachtung ausgebildet. Ich bin Angestellter des Landratsamtes, also der Kommunalbehörde. Mir ist der Landrat weisungsberechtigt, nicht der Umweltminister. Ich bin nicht befangen und bekomme keinen Druck, das Gutachten in eine bestimmte Richtung anzufertigen. Wenn das Tierärzte hätten machen können und in jedem Landratsamt gibt es ja auch eine Veterinärbehörde, dann hätte man sich die Ausbildung der Rissbegutachter sparen können.


Wenn ich die Rissbegutachtung lernen will, kann ich das?
Das kann man lernen. Aber unsere Tätigkeit hat ja eine direkte Folge. Wenn wir als Rissbegutachter bestätigen, dass ein Wolfsriss vorliegt, dann löst das automatisch einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Freistaat aus. Mit unserem Gutachten kann der Nutztierhalter den Schadensersatz beantragen. Das kann er mit der Meinung eines Tierarztes oder Jägers nicht.


Was ist mit den Hybriden, also den Nachkommen, wenn sich ein Wolf mit einem Hund eingelassen hat. Davon soll es mittlerweile mehrere Tiere geben.
Erstens: Diese Theorie mit den Hybriden ist bislang bis auf einen Fall nicht bestätigt worden. Alle genetischen Untersuchungen, die durchgeführt wurden, haben ergeben, dass das bei uns hier reinrassige Wölfe sind. Es ist nicht davon auszugehen, dass hier Hybriden unterwegs sind. Zweitens ist es so, dass Hybriden bis in die vierte Generation genauso durch das Bundesnaturschutzgesetz geschützt sind.

Die würden als Wölfe gelten?
Ja, unabhängig davon, ob sie gewünscht sind oder nicht. So ist es rein juristisch. Andererseits ist es so, dass Hybriden nicht geduldet werden sollten, weil es wirklich sein könnte, dass die irgendwann die Scheu vor den Menschen verlieren. Schon aus Sicht des Artenschutzes ist es erstrebenswert, eine reinrassige Population zu haben.


Wer ist dafür zuständig, die Ausbreitung des Wolfes in einem Gebiet, beispielsweise der Königsbrücker Heide, zu bestätigen - Sie oder das Büro Lupus?
Zusätzlich zur Rissbegutachtung beschäftigen wir uns mit dem sogenannten Monitoring, also der Beobachtung der Wolfspopulation. Wir stellen unsere Dokumentationen dem Büro Lupus zur Verfügung. Alle Beobachtungen, also Funde von Spuren oder Losung, das wird alles recht aufwändig dokumentiert. Das geht alles nach Spreewitz zum Büro Lupus und wird dort zentral ausgewertet. Auch die Bilder von Fotofallen. Wir arbeiten in diesem Fall praktisch nur als Erfasser mit. Das läuft ja nach europäisch einheitlichen Kriterien. Der Wolf wird in der FFH-Richtlinie mit benannt und daher muss der europäischen Kommission regelmäßig über den Zustand der Population berichtet werden. Das kann man nur mit den Monitoringergebnissen. Damit die international vergleichbar sind, gibt es die einheitlichen Kriterien.

Was gilt als Nachweis, Fotos?
Ja, Fotos sind ein hundertprozentiger Nachweis oder der Fund eines überfahrenen Wolfes. Unsicher wäre, wenn man nur eine Losung findet. Mehrere Losungsfunde in einem Gebiet erhöhen natürlich die Wahrscheinlichkeit.
Welche Rolle spielen dabei die Hinweise aus der Jägerschaft?
Es sind Jäger geschult worden, wie dieses Monitoring durchzuführen ist. Aber es kommt wenig.Weil dieses Monitoring aufwändig ist. Dafür braucht man Zeit. Man muss Zollstock und Kamera und die entsprechenden Protokolle dabeihaben. Es gibt aus der Jägerschaft zwar Hinweise auf Spuren oder Risse, jedoch oft zu spät und schlecht oder gar nicht dokumentiert. Aufgefundene Kadaver werden manchmal vorschnell den Wölfen zugeordnet, ohne ausreichende Begutachtung. Wildtierrisse zu beurteilen ist meist schwierig, weil die Tiere in der Regel meist ein paar Tage oder Wochen liegen. Meist ist dann nicht mehr viel übrig und man kann den Verursacher nicht mehr feststellen. Da waren ja dann auch andere Aasfresser dran, wie Fuchs oder Kolkrabe. Nutztierrisse werden viel eher bemerkt. Trotzdem gehen wir in der Regel jedem Hinweis nach, insbesondere solchen, die aus Regionen kommen, die noch nicht als ständiges Rudelterritorium bekannt sind. Die Jägerschaft kann hier sehr wertvolle Zuarbeiten leisten.


Zu wie viel Rissbegutachtungen werden Sie im Schnitt gerufen?
Das ist unterschiedlich. Man kann es nicht monatlich festmachen. Es gibt immer so Phasen. Im letzten Winterhalbjahr war es relativ viel. Die ganz heiße Phase beginnt aber so Mitte August. Das hängt damit zusammen, dass dann der Nahrungsbedarf der Welpen, die dann etwa ein Vierteljahr alt sind, größer wird. Im Dezember/Januar hatten wir eine Häufung von Meldungen, insgesamt acht, aber immer nur von einem Jäger im Raum Elstra. Bei ihm waren zwei Hunde unterwegs, die regelmäßig Wild gerissen haben. Die Hunde sind dann auch lokalisiert worden. In drei der Fälle war nur noch so wenig übrig von den Tieren, dass man nicht sagen konnte, wer der Verursacher war. In lediglich einem Fall konnte der Wolf als Verursacher nicht ausgeschlossen werden. Etwa zwei Wochen später wurde der Wolf bei Burkau gesichtet und fotografiert.


Was passiert eigentlich dem Hundebesitzer?
Wenn Hunde Schaden angerichtet haben, kann der Geschädigte Anzeige erstatten. Grundsätzlich ist der Hundehalter zu Schadensersatz verpflichtet. Bei Frankenthal berichteten uns Schafhalter, dass beobachtet wurde, wie ein Hund ein Schaf angriff. Wildernde Hunde müssen eigentlich in Gewahrsam genommen werden.
Die Zahl bestätigter Wolfsrisse geht trotz wachsender Wolfspopulation zurück, warum?
Eine wachsende Zahl von Schafhaltern wendet mittlerweile die empfohlenen Schutzmaßnahmen an. Man hat das in Brandenburg beobachten können. Die mussten die gleichen bitteren Erfahrungen machen wie wir hier in Sachsen. Am Anfang stehen die Schafe ungeschützt. Aber es geht ja nicht darum, was der Schafhalter über den Wolf denkt, sondern um seine Tiere. Dass der Schafhalter kein Wolfsfreund wird, das ist mir schon klar, aber deshalb kann er ja trotzdem seine Schafe schützen. Was mittlerweile auch viele tun. Der Erwerb des Zubehörs wird in Sachsen durch Förderprgramme mit bis zu 60 Prozent der Kosten unterstützt. Das Problem ist, wenn man nur ein oder zwei Schafe hat, scheut man oft den Aufwand und hofft, dass es gutgeht. Aber gerade solche Schafhalter erweisen den anderen einen Bärendienst. Denn der Wolf lernt. Wenn Schafe leichte Beute sind, dann holt er sich die, auch wenn sie nah an den Häusern sind.



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Kommentare zum Artikel:

Darwin schrieb am

Bei uns hat ein Saarloos-Wolfhund-Mischling drei Soayschafe getötet und eines davon im Hals/Brustbereich stark angefressen. Die beiden anderen wurden mit sauberen Kehlbissen getötet und wiesen sonst keine weiteren Verletzungen auf. Die Risse wären von dem eines Wolfes wohl kaum zu unterscheiden gewesen.

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