Mit Schizophrenie auf der Anklagebank


von Hoyte24 News

Mit Schizophrenie auf der Anklagebank
Foto: Mirko Kolodziej

Hoyerswerda. Oft genug sind Gerichtsverfahren auch Sozialstudien. Was zum Beispiel macht man mit einer Straftäterin, die ohne eigene Wohnung ist, die eine fünfstellige Summe an Schulden abzuzahlen hat und die schon einmal nur mit einem Mantel bekleidet in einem Supermarkt auftaucht? Wie urteilt man über eine Frau, von der ein Ladendetektiv nicht nur sagt, sie habe auf ihn einen ungepflegten Eindruck gemacht, sondern auch: „Sie verhielt sich teilnahmslos und gleichgültig.“ Dies wohlgemerkt, nachdem sie bei einem Diebstahl ertappt worden war.

Die 46-Jährige saß dieser Tage im Amtsgericht Hoyerswerda auf der Anklagebank. Es dauerte etwas, bis die Staatsanwältin alle Anklagepunkte verlesen hatte. Neben der Juristin saß als Gutachter ein Rechtspsychologe, der am Ende der Beweisaufnahme von einer schizoaffektiven Störung sprach. Schlägt man es nach, erfährt man, dass bei so einer Erkrankung Wahnvorstellungen oder Halluzinationen mit Stimmungsstörungen zusammentreffen. Und dann steht da an der Rückwand des Gerichtssaals diese Mahnung aus dem ersten Grundgesetz-Artikel: „Die Würde des Würde des Menschen ist unantastbar.“

In Rede standen Ladendiebstähle bei Globus sowie bei Aldi und Rewe im Lausitz-Center im Gesamtwert von knapp 175 Euro; dazu Hausfriedensbuch sowie Körperverletzung und Bedrohung gegen ihre Tochter und deren Familie. Einmal, stellte sich heraus, ließ sie im Geschäft Flaschen leerlaufen, um den Pfand zu kassieren; einmal aß sie ein Baguette sowie Metzger-Ware gleich im Markt. Einmal zog sie sich bei Globus in einer Umkleidekabine gestohlene Sachen an und rannte – ertappt – davon. Im Bereich der Jenschwitzbrücke über die Schwarze Elster wurde sie gestellt.

Die Frau sagte im Prozess nicht viel. „Weiß ich nicht mehr.“ „Keine Meinung dazu.“ Ihre Zukunftspläne? „Ich habe keine.“ Wo fühlt sie sich wohl? „Nirgendwo.“ Soziale Kontakte? „Zu niemandem.“ Als ihre Tochter in den Zeugenstand tritt, ist klar, dass sie nicht will, dass ihre Mutter weiß, wo sie sie finden könnte. Allerdings ist dies der einzige Moment im gesamten Prozess, in dem die Angeklagte so etwas wie emotionale Beteiligung zeigt, versucht, von sich aus eine Art Gespräch anzufangen. Doch die Strafprozessordnung sieht Unterbrechungen von Zeugenbefragungen durch Angeklagte nicht vor. Am Ende, als sie hätte Fragen stellen können, lautete die Reaktion: „Hat sich erledigt.“

Nach der Anklageverlesung hatte die 46-Jährige die Diebstähle eingeräumt, die körperliche Attacke gegen ihre Tochter jedoch bestritten. Diese bestätigte: Bei einer Auseinandersetzung im Dezember 2022 vor dem damaligen Wohnhaus der Familie der Tochter im WK VIII habe es wohl Tritte und Schläge mit einem Rucksack gegeben. Es sei aber niemand getroffen worden. Was also tun? Der Richter fragt die eingesetzte Berufsbetreuerin, ob die Chance auf eine Wohnung besteht. Antwort: „Schwierig, die örtlichen Vermieter kennen sie.“ Und sonst? „Naja, sie nimmt Termine nicht wahr, kommt sporadisch, vor allem, wenn das Geld alle ist.“

Und eine Behandlung – das wird im Verfahren mehrfach klar - lehnt die Frau rundweg ab. Ihr Verteidiger versucht, ihre Sicht zu verdeutlichen: Chemie im Körper? Nichts da! Der psychologische Sachverständige stellt am Ende eine erheblich verminderte Steuerungs- und Schuldfähigkeit fest, prognostiziert bei weiter fehlender Behandlung ein weiteres „Verblassen von Normen“ und einen fortgesetzten „Abbau der Persönlichkeit“. Körperverletzung und Bedrohung werden fallen gelassen; nun kommen wegen fünf Diebstählen und zwei Hausfriedensbrüchen (nicht eingehaltene Hausverbote bei Globus) auf die Schulden noch 2.175 Euro Strafe obendrauf. Staatsanwältin, Verteidiger und Richter waren sich da einig. Es hätte - ohne die Anerkennung der verminderten Schuldfähigkeit - auch deutlich mehr werden können. „Und damit ist die Sitzung geschlossen.“ -red-

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