„Ich musste neu über Hoyerswerda nachdenken“


von Tageblatt-Redaktion

Das Motiv könnte man heute so nicht aufnehmen - Die Schmetterlings-Plane am künftigen Bürgerzentrum ist inzwischen abgenommen. Felix Ringel war bereits vergangene Woche in der Stadt.
Das Motiv könnte man heute so nicht aufnehmen - Die Schmetterlings-Plane am künftigen Bürgerzentrum ist inzwischen abgenommen. Felix Ringel war bereits vergangene Woche in der Stadt.

Vor fast genau drei Jahren hast Du Hoyerswerda nach 16 Monaten Feldforschung verlassen. Jetzt liegt Deine Doktorarbeit vor. Wie waren die drei Jahre?
Ich musste mich irgendwie wieder von Hoyerswerda distanzieren, um die Stadt zu einem Forschungsobjekt zu machen, über das man schreiben kann. Ich musste neu über die Stadt, über die Disziplin der Sozialanthropologie und über mich nachdenken. Und peu á peu kam mit viel Kampf eine Dissertation heraus. Ich musste mich zum Beispiel zum inhaltlichen Kern entscheiden. Weil: So eine Fülle von Leben kann beim Schreiben darüber natürlich auch überfordern.
Es geht in der Arbeit nun um Zukunft und Hoffnung in Deutschlands am schnellsten schrumpfender Stadt. Warum das?
Das ist dem geschuldet, dass man Hoyerswerda sonst genau als das Gegenteil dessen wahrnimmt. Also man beschreibt Hoyerswerda als Stadt ohne Zukunft und vielleicht auch, wenn man über postsozialistische Transformation nachdenkt, als eine Stadt, die nur über diese Vergangenheit definiert werden kann. Das wollte ich aufbrechen, einerseits um die Perspektive der Hoyerswerdaer zu ergänzen. Andererseits ging es darum, die anthropologische Sicht auf Transformation selber infrage zu stellen. Es geht darum, den Menschen nicht immer nur davon abzuleiten, was ihm die Vergangenheit mitgegeben haben soll. Man kann ihn ja auch hin zur Zukunft offen verorten.

Was sagen Deine Anthropologen-Kollegen denn dazu?
Für die bin ich jetzt der Fachmann für Zukunft und Hoffnung, was schön ist. Es gibt ja auch andere, die darüber geschrieben haben. Damit kenne ich mich aus und kann dazu referieren. Das finden andere spannend, weil sie eben viel vergangenheitsbezogene Sachen machen. Das war eben lange en vogue. Wenn ich ihnen von Hoyerswerda erzähle, sind sie immer erstaunt, wie sehr sich die Stadt und ihre Bürger mit Zukunft auseinandersetzen. Anderswo ist der Zwang vielleicht nicht so stark, das zu tun.

Die Arbeit ist fertig, aber Doktor bist Du noch nicht. Warum?
Also die Arbeit wurde abgegeben. Nun müssen alle möglichen Leute ihre Unterschriften dazu setzen. Ende des Monats findet die Verteidigung statt. Danach muss noch die Graduierung stattfinden. Das ist im Senate House in Cambridge hochrituell und förmlich – in Latein. Ich muss im Talar antreten und erst wenn ich niedergekniet bin und meinen Segen empfangen habe, darf ich mich Doktor nennen.

Was ist aus den 60 Hoyerswerda-Notizbüchern geworden?
Die sind zwischengelagert. Ich denke, es wäre spannend, sie in zehn Jahren noch einmal durchzusehen. Es ist ja schade, dass so eine Arbeit sich immer nur auf einen Teil dessen beziehen kann, was man wirklich erlebt hat. Aber das Erlebnis selber ist ja wichtig, um Entscheidungen über Relevanz treffen zu können. Man muss den Blick schärfen. Deswegen war es wichtig, diese 60 Bücher zu füllen.

Wie sieht Deine Zukunft aus?
Sie wird hoffentlich mit einer „Auszeit“ in Hoyerswerda anfangen – also dem entsprechenden KuFa-Projekt im WK X. Und dann muss ich akademisch weiter über Hoyerswerda publizieren, was hoffentlich auch in einem Buch münden wird. Und das Zweite ist ein neues Forschungsprojekt – je nachdem, wo ich eine Stelle bekomme.

Du bist vier Tage in der Stadt und hast jetzt Gelegenheit, Dich bei allen zu entschuldigen, die Du leider nicht aufsuchen kannst!
Ja, Entschuldigung (lacht)! Also es ist schon schön und so intensiv, wie es schon immer war – aber in sehr positivem Sinn. Wir sind leider auch schon wieder zu spät. Ich muss los!



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