Heimstatt des F 4 wird heute 50


von Tageblatt-Redaktion

Die Brikettfabrik Mitte in Schwarze Pumpe heute
Die Brikettfabrik Mitte in Schwarze Pumpe heute

Von Jost Schmidtchen

Es war eine stolze Schlagzeile: „Die ersten 1 000 Tonnen“ – so titelte vor 50 Jahren die „Sozialistische Zukunft“, die Betriebszeitung des Kombinates Schwarze Pumpe, zur Inbetriebnahme der Brikettfabrik Mitte. Denn am Vorabend des 14. Jahrestages der DDR ging am 6. Oktober 1963 die Brikettfabrik Mitte in Betrieb. Sie war die zweite Brikettfabrik in Schwarze Pumpe, in ihrer technischen Grundausführung im Wesentlichen identisch mit der Brikettfabrik West. Zunächst wurde die zweite Abteilung angefahren, „neun Monate vorfristig“, so ist es überliefert. Der Höhepunkt war Anlass für hochrangige Partei- und Wirtschaftsfunktionäre, dem bedeutenden Ereignis beizuwohnen. Der Anlagenlieferant, der VEB Zemag Zeitz, versicherte, „auch die restlichen drei Abteilungen in einwandfreier Qualität zu übergeben“.

Gute Startbedingungen

Für die Brikettfabrik Mitte konnten viele in der Brifa West aufgetretene Störungen bereits in der technologischen Projektierungsphase ausgeschlossen werden – die Erfahrungen zahlten sich aus. Es gab somit von Anbeginn an eine recht zuverlässige Fahrweise der Anlagen. Dazu trug auch bei, dass die erfahrensten Mitarbeiter aus West den Belegschaftskern von Mitte bildeten. Dennoch gab es schon zwei Tage nach dem Anfahren im Trockendienst eine Verpuffung, weil die Inertgas-Innenentstaubung versagt hatte. Ihre Elektrofilter wurden deshalb mit einer Ausnahmegenehmigung durch klassische Entstaubungen ersetzt.
Später wurden die Brikettpressen von Ganzstein- auf Industrieformate umgelegt. Viele Jahrzehnte wurden in Schwarze Pumpe in allen Fabriken Halbsteine produziert. Technologische Änderungen an der pneumatischen Staubförderung und der zunehmende Einsatz von Verschleißmaterial, beispielsweise an den Kettenförderern, trugen maßgeblich zur Stabilisierung der Produktions-Anlagen bei.

Begehrte Ware auch fürs Deputat

Mit dem Bau der BHT- (Braunkohlenhochtemperatur-)Kokerei wurde die Brikettfabrik Mitte auf die Produktion von sogenannten „F 4-Briketts“ umgestellt: verkokungsfähige Briketts, die über eine lange Bandstraße zur Kokerei transportiert wurden. Damit endete 1969/70 in der Brikettfabrik Mitte die Pressung von Versandbriketts für Industrie- und Hausbrandzwecke.
Um die F-4-Qualität zu sichern, machten sich Umbauten in den Feinkohlenachbehandlungen erforderlich, denn die F-4-Briketts durften nur einen Wassergehalt von elf Prozent haben, um den erforderlichen enorm hohen Heizwert nicht zu beeinträchtigen. Deputat-Empfänger und Belegschafter, die „Lesekohle“ vom Hof für zu Hause „dazu kauften“, bevorzugten des hohen Heizwerts halber sogar Mitte-Bruchbriketts der Qualität F 4 gegenüber „ganzen“ Briketts der Normalqualität. In den eigentlichen Kohlehandel gelangten F-4-Briketts nicht. Ihre Produktion endete im März 1992 mit der Stilllegung der Kokerei.
Wissenschaftliche Arbeit, die stets die Produktion begleitete, führte in Mitte zu erheblichen Leistungsverbesserungen. Die von neun auf sieben Prozent geänderte Neigung der Röhrentrockner erhöhte die spezifische Verdampfungsleistung (die Trocknung wurde effektiver, der 5-at-Heizdampf besser ausgenutzt); und auch die Automatisierung der Kohlebeschickung, der Kondensation, der Trockenkohleendfeuchteregelung und der Dampfdrosselung machte das Verfahren effektiver.

Sonderaufgabe: Erntehelfer!

Eine noch heute legendäre Sonderaufgabe kam dem Trockner 1 der Brikettfabrik von 1974 bis 1987 sommers zu: Er trocknete Getreide, machte es somit auch in „nassen“ Zeiten problemlos und umgehend langzeitlagerfähig. Der Trockner wurde vom Kohlestrom getrennt, zum Befüllen mit Getreide ein Provisorium auf der Einfallseite gebaut und hunderte Soldaten der Nationalen Volksarmee waren rund um die Uhr zum Schaufeln eingesetzt. An- und abgefahren wurde das Korn mit schweren Armee-Lastkraftwagen vom Typ „Ural“.

Die Ungewissheit der Wendejahre

Nach der Wende verdüsterte sich die Zukunft der Brikettierung auch am Standort Schwarze Pumpe, der nun ESPAG (Energiewerke Schwarze Pumpe Aktiengesellschaft) hieß, von einem Tag zum anderen: Der Brikettabsatz ging rapide zurück. Kokerei und Druckgaswerk wurden stillgelegt, die Brikettfabrik Ost vorerst außer Betrieb genommen und „kalt“ stehen gelassen. „Der Markt“ glaubte auf Energie aus Schwarze Pumpe verzichten zu können – oder wollte es zumindest. Wie sonst ist es zu verstehen, dass die noch unter Führung der Treuhand erfolgte Ertüchtigung der Brikettfabrik West keine Rolle mehr bei der weiteren Privatisierung spielte? Denn zu dieser Zeit waren die Prognosen für den Markt total nach unten korrigiert. Für die Mitarbeiter waren das schwere Zeiten. Die Kumpel, viele ihr Leben lang beruflich mit der Lausitzer Braunkohle verbunden, standen plötzlich vor der Frage: Wie wird es weitergehen? Ungewissheit, Personalabbau und Ausgründungen waren an der Tagesordnung.

Entscheidung „pro Brifa Mitte“

1994 fiel die Entscheidung über die Zukunft der Brikettierung in Schwarze Pumpe zugunsten von Mitte. Zunächst glaubte man, sie nur bis zum Jahr 2011 zu benötigen. Aber mit dem dramatischen Anstieg der Energiepreise 2001/02 wurde der Negativtrend der Trockenkohleerzeugung gestoppt. Neue Produkte aus Braunkohle eroberten rasch den Markt. Mit den EU-Beitritten von Polen und Tschechien taten sich neue Absatzgebiete auf. Mit dem Wirksamwerden des Emissionshandels und vor allem durch die notwendige Flexibilisierung des Kraftwerkseinsatzes wurde der Einsatz von Trockenkohle in den Kraftwerken möglich. Heute läuft die Brikettfabrik Mitte Tag und Nacht auf Hochtouren. Und das mit einem technisierten und automatisierten Ausstattungsgrad, von dem die einstigen Kumpel des Jahres 1963 noch nicht einmal träumten.  Für die heutigen Mitarbeiter ist das eine echte Herausforderung und eine Art Zeitreise, denn die einzelnen Bestandteile des Maschinenparks der Veredlungsanlagen tragen Herkunfts-Daten von den 1950er-Jahren bis in die Gegenwart. Es sind unterschiedlichste Aggregate vom Flügelbrecher bis zur Brikettbündelung und den beiden Staubmahlanlagen zu betreuen, und auch auf der Elektroseite blieben viele Veränderungen nicht aus.

Mit Vattenfall kam Gewissheit

Mit der Übernahme der Veredlung durch Vattenfall haben sich die Produktions- und die Anlagen-, aber nicht zuletzt auch die soziale Sicherheit neu gefestigt. Die „Mannschaft“ der Veredlung ist wieder zu einer großen Familie zusammengewachsen, in der sich jeder auf den anderen verlassen kann und wo man auch wieder füreinander da ist. Das wird heute die Festveranstaltung bestätigen.

Die Festveranstaltung „50 Jahre Brikettfabrik Mitte“ eröffnet am heutigen Freitag, dem 1. November, gegen 13 Uhr im Großen Saal der Zentralküche im Industriepark Schwarze Pumpe. Gegen 13.40 Uhr beginnen Fachvorträge; geplant sind deren drei, die sich vor allem mit der Zukunft der Brikettierung befassen. An der Brikettfabrik Mitte selbst werden ab 14.30 Uhr stündlich jeweils ca. 45-minütige Führungen beginnen, die auf unterhaltsame Weise Geschichte lebendig werden lassen. Zugang zur Zentralküche | zur Brikettfabrik über die Hauptwache, erreichbar über die (von Hoyerswerda aus gesehen) erste Ampelkreuzung in Schwarze Pumpe.

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Aus der Geschichte der Brikettfabrik Mitte Schwarze Pumpe

19.  8.1963: Beginn der Funktionsproben Abteilung 2 der Brikettfabrik Mitte
  6.10.1963: Inbetriebnahme Abteilung 2
  8.10.1963: Verpuffung im Trockendienst; Ursache ist die mangelhafte Projektierung der Entstaubung
  1.12.1963: Abteilung 1 geht in Betrieb, die weiteren Abteilungen (3 und 4) am 1. Juni und 1. August 1964
Ende 1969: Beginn der F-4-Brikettproduktion für die BHT-Kokerei
März 1992: Ende der F-4-Brikettproduktion mit Stilllegung der BHT-Kokerei
1993: Bau der Brikettbündelungsanlage
1994: Entscheidung des LAUBAG-Vorstandes zum Weiterbetrieb der Brifa Mitte
Dezember 1995: Grundsteinlegung für die erste Staubmahlanlage
1996: Beginn der Wirbelschichtkohleerzeugung für das Heizkraftwerk Cottbus, bis heute einziger Abnehmer
1996-98 | 2006/07: Silo- und Verladeanlagen für Braunkohlestaub entstehen
2011: Zweite Staubmahlanlage startet
Februar 2013: Aufnahme der Dampfdruckwirbelschichttrocknung
Heute: Produktion pro Jahr 800 000 t Briketts in vier Formaten und sechs Verpackungsvarianten | 1 Mio Tonnen Braunkohlestaub | 200 000 Tonnen Wirbelschichtkohle ||| Mitarbeiter: 230, davon 15 Prozent Frauen (JoS)

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ZUM TAGE

Glück hat auf Dauer nur, wer Verstand hat

Uwe Jordan zu unklugem Übereifer und einem Jubiläum

Heute wird 50-jähriges Bestehen der Brikettfabrik Schwarze Pumpe Mitte gefeiert. Die sollte schon zum „alten Eisen“: nach 1990; befürchteterweise 1994; dann wurde ihr Ende für 2011 geplant… Doch 2001 zogen Energie-Preis und -Hunger steil an. Tendenz heute? Ungebrochen. Zulegend! Vattenfall wird froh sein, Pumpe Mitte noch zu haben. Froh, nicht kopflos dem Zeitgeist hinterherhechelnd, in Tradition wurzelnde Zukunft verworfen zu haben. So glücklich/klug waren Kernkraft-Hasser nicht.

mail Jordan.Uwe@dd-v.de



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